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»Sie brauchen Leben!« keuchte er. »Ihn! Töte ihn!« Seltsamerweise zögerte Dagon. Sein Blick irrte unstet zwischen dem gigantischen THUL SADUUN und mir hin und her, und ich glaubte den inneren Kampf, den er durchstand, direkt auf seinem Gesicht ablesen zu können.

»Tu es!« befahl Necron. Seine Stimme wurde schrill, überschlug sich fast. »Tu es! Ich befehle es dir!«

Langsam, als koste ihn die Bewegung unendliche Kraft, drehte sich Dagon herum, hob die Hände und machte einen schwerfälligen Schritt auf mich zu. Er führte die Bewegung nie zu Ende.

»Halt!«

Die Stimme schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen, und sie erfüllte den Raum wie ein Donnerschlag. Dagon und Necron fuhren herum und starrten auf die Gestalt, die ich bereits gesehen hatte, als sie hinter einem Felsen hervorgetreten war.

»Jennifer!« murmelte ich fassungslos.

Das Mädchen blieb stehen, wandte den Kopf und blickte auf mich herab.

Und im selben Moment, in dem ich in ihre Augen sah, wußte ich, daß sie nicht Jennifer war.

»Du?« keuchte Dagon. Hinter ihm tobte der THUL SADUUN noch immer in seinem Gefängnis aus Schatten und Nichts, aber Dagon schien das bizarre Wesen vergessen zu haben.

»Du?« wiederholte er. »Wer... bist du?«

Jennifer trat auf ihn zu, hob die Hand und berührte ihn beinahe sanft an der Stirn. Dagon brüllte, taumelte nach hinten und prallte gegen den Basaltblock. Die Kristallkugel rollte aus ihrer Ruheposition, hüpfte über den Rand des Blockes und fiel klirrend zu Boden, aber das bemerkte er nicht einmal. Eine furchtbare Veränderung ging mit seinem Körper vonstatten.

Was schon begonnen hatte, vollendete sich; aus Dagon, dem Fischmenschen, wurde ein Ungeheuer, eine Bestie, die zu beschreiben sich mein Bewußtsein weigerte.

Jeglicher Rest von Menschlichkeit verschwand, sein Körper verwandelte sich, wurde zu einem peitschenden, sich windenden gräßlichen Ding, das fürchterliche, glucksende Laute ausstieß. Kopf und Gesicht verschwanden, wurden eins mit der fürchterlichen Gallertmasse.

Aber auch Jennifer veränderte sich.

Die Umrisse ihres Körpers schienen zu flackern, als sei sie in Wirklichkeit nichts als das Bild einer Laterna Magica, lösten sich auf, trieben wie farbiger Nebel auseinander und formten sich neu.

Und dann war auch aus dem Mädchen ein Ungeheuer geworden.

Es war kleiner als Dagon - oder das, zu dem er geworden war -, wirkte aber auf seine Weise noch gräßlicher, noch bedrohlicher und finsterer. Ein Paar gewaltiger, feuchter Flügel war dicht an seinen Körper angelegt und zuckte unentwegt.

Es war das gleiche Wesen, dem ich auf der Dagon begegnet war, das Fremde das mir damals gegen Necrons Drachenkrieger beigestanden hatte.

Dagon kreischte, ein Laut voller entsetzlicher Angst, aber das Wesen, das einmal Jennifer gewesen war, beugte sich zu ihm nieder, berührte ihn mit einem seiner schrecklichen Tentakelhände, und aus Dagons Angstschreien wurde ein Wimmern.

Auch der THUL SADUUN in seinem Gefängnis aus Finsternis begann sich stärker zu winden und zu toben. Das Jennifer-Ungeheuer richtete sich auf, hob die Hand und deutete mit einer befehlenden Geste auf den Kreis aus Finsternis. Er begann zu schrumpfen, wurde zu einem kleinen pulsierenden Fleck - und verschwand.

»Das nutzt dir nichts!« keuchte Necron.

Der Krakenköpfige drehte sich herum, musterte ihn einen Moment aus seinen riesigen gelben Augen und trat drohend auf ihn zu. Necron wich hastig zurück.

Seine Stimme zitterte, aber in seinen Augen blitzte der Trotz.

»Ich weiß nicht, wer du bist!« keuchte er. »Und ich weiß nicht, was du hier willst - aber es wird dir nichts nutzen. Das Tor ist geöffnet, und sie werden hindurchgehen. Keine Macht der Welt kann sie noch aufhalten. Auch du nicht.«

»Du weißt nicht, wer ich bin?« fragte das Krakenungeheuer. »Das solltest du. Du selbst bist es gewesen, der mich gerufen hat, Necron.«

Necrons Augen weiteten sich. Er wurde blaß. »Du?« keuchte er. »Du... du bist,..«

»Sprich den Namen nicht aus!« sagte der Riese drohend. »Es wäre dein Tod.«

Necrons Lippen begannen zu zittern. Der Ausdruck von Trotz in seinem Blick war purem Grauen gewichen. »Du!« keuchte er. »Aber das ist unmöglich. Du kannst... kannst nicht hier sein. Du bist...«

»Ich bin hier!« unterbrach ihn mein geheimnisvoller Lebensretter. »Um zu verhindern, was du und dieser Narr Dagon beinahe getan hättet.«

»Dazu ist es zu spät«, behauptete Necron. »Das Tor ist geöffnet. Niemand kann sie noch aufhalten. Das weißt du. Du weißt es, weil es bereits geschehen ist.«

Wieder wich er einen Schritt zurück, blieb stehen, blickte auf etwas hinab, das zu seinen Füßen lag, und starrte wieder den krakenköpfigen Dämon an. »Nicht einmal du kannst die Zeit verändern.«

»Bist du dir da so sicher?« fragte das Ungeheuer.

»Das bin ich«, antwortete Necron.

Und plötzlich verschwand seine Hand unter dem Umhang, kam wieder zum Vorschein und machte eine blitzschnelle Bewegung. Der Krakenköpfige schrie wütend auf und wollte auf ihn zuspringen.

Aber zwischen ihm und dem Zauberer war plötzlich ein silberner, blitzender Nebel, ein flirrendes Etwas, das sich wie ein zerbrochenes Spinnennetz auf seinen Körper legte. Tausende winziger Explosionen schleuderten das bizarre Wesen zurück. Es schrie, torkelte, fiel plötzlich zur Seite und kam mit einem wütenden Fauchen wieder auf die Füße. Necrons Angriff hatte ihn überrascht, mehr nicht.

Aber mehr war auch nicht nötig gewesen.

Necron war blitzschnell herumgefahren und hatte ein zweites Mal die Hände gehoben, und in der leeren Luft hinter ihm war ein flimmerndes, grünliches Etwas erschienen, ein Tunnel in die Unendlichkeit, den ich nur zu gut kannte - ein Tor! Necron hatte ein Tor geöffnet, mit der Kraft seines puren Willens. Und noch bevor sich das Ungeheuer vom Boden erhoben und auf ihn gestürzt hatte, sprang er hinein und war verschwunden. Der grüne Lichtkreis des Tores erlosch hinter ihm wieder.

Aber so schnell er auch verschwunden war - er hatte noch immer Zeit gefunden, sich zu bücken und die kleine Kugel an sich zu reißen. Es dauerte einen Sekundenbruchteil, bis ich begriff, was er wirklich getan hatte - und dann war es beinahe zu spät. Ich starrte Dagon an, und ich verschwendete noch einmal kostbare Augenblicke, mich über den entsetzten Ausdruck seines Gesichtes zu wundern, ehe mir klar wurde, daß er gar nicht mich ansah - sondern etwas hinter mir.

Ich fuhr herum und schrie auf, aber das Geräusch ging in dem ungeheuerlichen Krachen und Tosen unter, in dem die hintere Wand des Raumes zusammenzubrechen begann. Necron hatte mehr mitgenommen als nur das zweite SIEGEL - er hatte den Zauber zerstört, der das Wasser des Meeres Jahrmillionen lang daran gehindert hatte, in diese Höhle zu strömen.

Jetzt gab es dieses Hindernis nicht mehr. Das Wasser neigte sich - absurd genug - in einer einzigen, senkrechten Fläche nach vorn, stürzte brüllend und schäumend herein - und erstarrte.

Selbst Dagon stand sekundenlang einfach da und blickte das unglaubliche Bild an. Das Wasser bildete keine lotrechte Fläche mehr, sondern eine bizarre, nach oben und außen und innen und rechts und links gleichzeitig gewölbte, verzerrte und verdrehte Skulptur, die mit Millionen kleiner und großer Auswüchse, Spitzen, Stacheln und Speeren übersät war, erstarrte Wasserspritzer und Tropfen, die Skulptur eines verrückten Glasbläsers, von einer anderen, kaum weniger starken Magie gebändigt. Es war ein Bild wie aus einem Alptraum, denn etwas bewegte sich darin, das mit Blicken nicht richtig zu erfassen war. Und endlich begriff ich.

Es war Jennifer - das Jennifer-Ding, dessen Magie die Wassermassen hielt.