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Ich konnte keines ausmachen.

Die Zuidermaar war fort.

Obwohl ich damit gerechnet hatte, durchfuhr mich eisiger Schrecken. So schnell ich konnte, rannte ich weiter, setzte mit einem gewagten Sprung über die Erdspalte hinweg und lief durch eine bizarre Allee aus brennenden Häusern weiter zur Küste hinunter.

Endlich erreichte ich den schmalen weißen Sandstreifen, der vor der Brandungslinie lag. Der Geruch nach heißem Wasser und brennender Erde nahm mir den Atem. Die Gischt spritzte hoch auf, und das Meer war aufgewühlt, als winde es sich in Krämpfen. Ein Stück vor der Küste mußte eine unterseeische Magmaader aufgebrochen sein, denn das Meer kochte und spie Dampf und kleine zischende Steinbrocken in den Himmel. Wieder bebte die Erde wie unter einem Hammerschlag, und diesmal vermochte ich der Erschütterung nicht mehr standzuhalten. Ich stolperte, fiel der Länge nach ins knietiefe Wasser und kam keuchend und nach Atem ringend wieder hoch. Eine Welle brühheißer Luft fauchte von der Insel aufs Meer hinaus, versengte meinen Rücken und trieb die Nebelschwaden auseinander.

Verzweifelt blickte ich die Küstenlinie entlang. Vergebens. Die Zuidermaar war fort. Aber was hatte ich denn erwartet? Daß Harmfeld Hunderte von Menschenleben aufs Spiel setzte, nur um das meine zu retten?

Und auch meine letzte Hoffnung, wenigstens noch die NAUTILUS anzutreffen, hatte sich nicht erfüllt. Ich war gefangen - auf einem Pulverfaß, das in wenigen Stunden explodieren würde.

Ich ließ mich in den weichen Sand fallen und starrte aufs Meer hinaus. Doch bevor ich noch vollends resignierten konnte, hörte ich Stimmen - hinter mir!

Mit einem Sprung war ich auf den Beinen und fuhr herum. Es waren drei von Nemos Männern! Sie schienen nicht halb so überrascht, mich zu sehen, wie umgekehrt.

»Ah, Monsieur Craven!« rief einer von ihnen und lief auf mich zu. »Gott sei Dank! Wir hielten Sie schon für tot.«

»Viel hat auch nicht gefehlt«, antwortete ich grimmig. »Was ist geschehen? Wo sind die Zuidermaar und die NAUTILUS?«

»Die Zuidermaar ist abgesegelt, vor Stunden schon«, sagte der Matrose. »Wir haben gut dreihundert Eingeborene auf dem Schiff untergebracht; das war alles, was wir in der kurzen Zeit...«

»Schon gut«, fiel ich ihm ins Wort. »Was ist mit der NAUTILUS?«

Der Matrose wies auf die kochende See hinaus. »Nemo wartet auf uns«, sagte er. »Allerdings in sicherer Entfernung von der Küste.« Er zog ein flaches, eigentümlich geformtes Etui unter seiner Jacke hervor. »Wir sollten so lange wie möglich hier warten, ob Sie zurückkehren, Monsieur.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor er schloß: »Wir wollten eben das Signal geben. Sie kamen in buchstäblich letzter Minute.«

Damit klappte er das kleine Metalletui auf und legte einen Schalter in seinem Inneren um. Eine kleine Glaskugel leuchtete blendend hell auf.

Obwohl mich das seltsame Gerät faszinierte, stellte ich keine Fragen; dazu war hier weder der rechte Ort noch die rechte Zeit.

Der Matrose hob die Lampe hoch über seinen Kopf und schwenkte sie hin und her.

Eine Minute lang geschah nichts. Dann begann die See weit draußen zu brodeln, und etwas Schwarzes schob sich aus den Wellen.

Die NAUTILUS nahm Kurs auf den Strand.

Die Stunde der Katastrophe brach an, aber noch lag das Meer ruhig da. Die einzige Bewegung kam von den Schrauben der NAUTILUS, die wie rasend arbeiteten, um das Schiff nach Westen zu treiben; fort, nur fort von der Insel und dem, was in wenigen Minuten geschehen würde.

Es fiel mir schwer, meine Gedanken darauf zu konzentrieren. Nemo hatte mir alles erzählt. Alles, was geschehen würde - was bereits geschehen war, aber die Worte kamen mir sonderbar leer vor, ohne wirkliche Bedeutung, ohne Sinn.

Sechsunddreißigtausend Tote.

Vielleicht war es diese Zahl, die der Vorstellung ihren Schrecken nahm, auf einen bloßen, abstrakten Begriff reduziert, an dem mein Bewußtsein nichts Schlimmes mehr zu entdecken wußte; einfach, weil sie zu groß war, zu unvorstellbar, um wirklich begriffen zu werden.

Sechsunddreißigtausend.

Ich versuchte, den Gedanken zu verarbeiten, aber es ging nicht. Sechsunddreißigtausend, das war die Zahl der Todesopfer, die die Explosion des Krakatau und die anschließende Springflut an den Küsten Javas und Borneos fordern würde. Ich blickte auf das Meer hinaus. Die NAUTILUS schoß durch das Wasser wie ein Pfeil, aber Krakatau war noch immer sichtbar, eine grelle Flamme, die die Nacht durchstach. In wenigen Augenblicken würde aus den Flammen ein lodernder Ball werden, und es war die Energie dieser Explosion, die die NAUTILUS durch Zeit und Raum wieder um zwei Jahre in unsere Gegenwart schleudern würde. Jedenfalls war es das, was Nemo mir gesagt hatte.

Aber irgendwie glaubte ich ihm nicht.

Ich hatte die heimlichen Blicke gesehen, die Howard und er getauscht hatten; und ich war nicht so dumm, daß mir die gletscherspaltentiefen Lücken, die in der Geschichte klafften, wie die NAUTILUS angeblich hierher in die Vergangenheit gekommen war, entgangen wären. Die beiden verbargen etwas vor mir, und ich war ziemlich sicher, daß es etwas mit der unheimlichen Zeitreise der NAUTILUS zu tun hatte - und mit Howard. Ganz sicher mit Howard. Ich würde ihn fragen, sobald wir hier heraus waren und einem Moment der Muße fanden. Und, bei Gott, ich hatte mir fest vorgenommen, ihm seine verdammten stinkenden Zigarren einzeln bis in den Magen hinunterzustopfen, wenn er mir diesmal nicht die Wahrheit sagte.

Trotzdem war dies im Moment nicht meine größte Sorge. Es war vorbei. Wir hatten vielleicht nicht gewonnen, aber wir waren immerhin noch am Leben, und wir hatten zumindest verhindern können, daß die THUL SADUUN zu neuem Leben und neuer Macht erwachten.

Was ich nicht hatte verhindern können, war, daß Necron ein weiteres der SIEGEL in die Hand bekam. Viele fehlten ihm jetzt nicht mehr.

Nein - es war kein Sieg gewesen, nicht einmal ein kleiner. In diesem Moment zerriß ein blendend weißer Blitz die Nacht hinter uns, und als ich herumfuhr, sah ich eine neue, lodernd weiße Sonne über dem Meer aufgehen, einen Ball aus höllischem Feuer, der die Insel Krakatau aus dem Meeresboden riß und sich zu einem meilenhohen wabernden Pilz aus Flammen und Glut formte.

Nemo gab einen scharfen Befehl, und die NAUTILUS begann zu tauchen, um der Flutwelle zu entgehen, die in wenigen Minuten den Ozean durchpflügen würde.

Kurz bevor sich das Wasser über dem Turm des Schiffes schloß, erreichte uns der Schall der Explosion: ein ungeheures Dröhnen und Kreischen, als stürzten ganze Berge zusammen.

Aber in meinen Ohren klang es wie ein Schrei.

Der Todesschrei aus sechsunddreißigtausend Kehlen.

ENDE