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»Sehen Sie mal, Gerasimowitsch,« sagte unser Held, indem er sich lächelnd an den Kammerdiener wandte, »veranlassen Sie doch... sehen Sie doch die Kerze da auf dem Kronleuchter, Gerasimowitsch... die wird gleich herunterfallen... veranlassen Sie also doch, daß sie in Ordnung gebracht wird; sie wird wahrhaftig gleich herunterfallen, Gerasimowitsch...«

»Die Kerze da? Nicht doch, die Kerze steht gerade; aber es fragt da jemand nach Ihnen.«

»Wer fragt denn da nach mir, Gerasimowitsch?«

»Wer es eigentlich ist, weiß ich wirklich nicht. Es ist ein Bote von jemandem. Er sagt: ›Befindet sich Jakow Petrowitsch Goljadkin hier? Dann rufen Sie ihn doch einmal heraus; es handelt sich um eine sehr notwendige, eilige Angelegenheit ...‹ So verhält sich das.«

»Nein, Gerasimowitsch, Sie irren sich; darin irren Sie sich, Gerasimowitsch.«

»Wohl kaum...«

»Nein, Gerasimowitsch, nicht ›wohl kaum‹; hier gibt es kein ›wohl kaum‹, Gerasimowitsch. Niemand fragt nach mir, Gerasimowitsch; niemand hat Anlaß nach mir zu fragen; ich bin hier zu Hause, ich will sagen: an meinem richtigen Platze, Gerasimowitsch.«

Herr Goljadkin holte tief Atem und blickte um sich. Wahrhaftig! Alle im Saale Anwesenden schauten und horchten in einer Art von feierlicher Erwartung nach ihm hin. Die Männer drängten sich näher heran, um das Gespräch mit anzuhören; weiter davon flüsterten die Damen unruhig miteinander. Der Hausherr selbst erschien in sehr geringer Entfernung von Herrn Goljadkin, und obgleich an seiner Miene nicht zu erkennen war, daß auch er an Herrn Goljadkins Affäre direkt und unmittelbar Anteil nahm (denn alles vollzog sich mit größter Diskretion), so konnte der Held unserer Erzählung doch aus alledem mit Sicherheit entnehmen, daß für ihn der entscheidende Augenblick nahe herbeigekommen war. Herr Goljadkin erkannte klar, daß der rechte Zeitpunkt da sei, um einen kühnen Schlag auszuführen und seine Feinde zu beschämen. Er war in großer Aufregung. Er fühlte eine Art von Begeisterung und begann von neuem mit zitternder, feierlicher Stimme, indem er sich an den wartenden Gerasimowitsch wandte:

»Nein, mein Freund, niemand läßt mich rufen. Du irrst dich. Ich will noch mehr sagen: du hast dich auch heute nachmittag geirrt, als du mir gegenüber behauptetest... ich sage, als du mir gegenüber zu behaupten wagtest« (Herr Goljadkin erhob die Stimme), »daß Olsufi Iwanowitsch, der seit undenklichen Jahren mein Wohltäter gewesen ist und in gewissem Sinne an mir Vaterstelle vertreten hat, mir am Tage eines für sein Vaterherz so hocherfreulichen Familienfestes den Eintritt in sein Haus verboten habe.« (Herr Goljadkin blickte selbstzufrieden, aber mit tiefer Empfindung um sich; an seinen Wimpern zeigten sich Tränen.) »Ich wiederhole, mein Freund,« schloß unser Held, »du hast dich geirrt, hast dich arg und unverzeihlich geirrt...«

Es war ein feierlicher Augenblick. Herr Goljadkin hatte das Gefühl, daß er einen tiefen Eindruck gemacht habe. Er stand, die Augen bescheiden niederschlagend, da und wartete darauf, daß Olsufi Iwanowitsch ihn umarme. Unter den Gästen war eine starke Erregung und Verwunderung wahrnehmbar; selbst der unerschütterliche, schreckliche Gerasimowitsch stotterte bei den Worten »Wohl kaum«... als plötzlich das erbarmungslose Orchester, wie wenn nichts vorgefallen wäre, eine Polka intonierte. Alles war in den Wind gesprochen, alles vergeblich geredet. Herr Goljadkin fuhr zusammen; Gerasimowitsch trat zurück; alles, was im Saale war, wogte wie ein Meer durcheinander, und Wladimir Semjonowitsch trat schon als erstes Paar mit Klara Olsufjewna an und der schöne Leutnant mit der jungen Fürstin Tschewtschechanowa als zweites. Neugierig und entzückt drängten sich die Zuschauer herum, um bei der Polka zuzusehen, diesem interessanten, neuen, modernen Tanze, der allen die Köpfe verdrehte. Herr Goljadkin war vorläufig vergessen. Aber auf einmal geriet alles in Aufregung, Verwirrung und Unruhe; die Musik brach ab... es hatte sich etwas Sonderbares begeben. Von dem Tanze erschöpft war Klara Olsufjewna, vor Ermüdung nur mühsam atmend, mit glühenden Wangen und hochwogender Brust, endlich ganz kraftlos auf einen Stuhl gesunken. Alle blickten mit herzlicher Freude auf das reizende, bezaubernde Mädchen; alle beeilten sich wetteifernd, ihr Liebenswürdigkeiten zu sagen und ihr für das Vergnügen, das sie ihnen bereitet habe, zu danken, – da stand auf einmal Herr Goljadkin vor ihr. Er war blaß und ganz verstört; er schien sich ebenfalls in einem Schwächezustande zu befinden; er konnte sich kaum bewegen. Er lächelte verlegen und streckte bittend die Hand aus. In ihrem Erstaunen hatte Klara Olsufjewna nicht Zeit, ihre Hand fortzuziehen, und erhob sich mechanisch auf Herrn Goljadkins Aufforderung hin. Herr Goljadkin neigte sich wankend nach vorn, zuerst einmal, dann ein zweites Mal; dann hob er das Bein und machte eine Art Scharrfuß; dann stampfte er polkamäßig auf; dann stolperte er... er hatte ebenfalls mit Klara Olsufjewna tanzen wollen. Klara Olsufjewna schrie auf; alle stürzten zu ihr hin, um ihre Hand aus Herrn Goljadkins Hand zu befreien, und auf einmal sah sich unser Held durch die Menge etwa zehn Schritte weit weggedrängt. Um ihn herum bildete sich ebenfalls ein Kreis. Man hörte das Kreischen und Schreien zweier alter Damen, die Herr Goljadkin bei seinem Rückzuge beinah umgestoßen hatte. Die Verwirrung war entsetzlich; alle fragten, alle schrien, alle schalten. Das Orchester verstummte. Unser Held drehte sich in seinem Kreise hin und her und murmelte mechanisch, ab und zu lächelnd, etwas vor sich hin, worin folgende Bruchstücke vorkamen: warum er denn nicht... und die Polka sei, wenigstens nach seinem Urteil, ein neuer, sehr interessanter Tanz, der zum Vergnügen der Damen erfunden sei... aber unter diesen Umständen sei er gern bereit zu erklären, daß er verzichte. Aber eine solche Erklärung schien niemand von Herrn Goljadkin zu verlangen. Unser Held fühlte, daß sich plötzlich eine Hand auf seinen Arm legte, daß eine andere Hand sich ein wenig gegen seinen Rücken stemmte, und daß er mit besonderer Sorgfalt nach einer bestimmten Seite dirigiert wurde. Endlich bemerkte er, daß es geradeswegs auf die Tür zu ging. Herr Goljadkin wollte schon etwas sagen, etwas tun... Aber nein, er wollte nichts mehr. Er lächelte nur mechanisch. Dann merkte er, daß man ihm seinen Mantel anzog und ihm seinen Hut auf die Augen drückte. Dann fühlte er sich auf dem Flur, in der Dunkelheit und Kälte, und dann auf der Treppe. Zuletzt stolperte er, und es kam ihm vor, als fiele er in einen Abgrund; er wollte aufschreien... plötzlich befand er sich auf dem Hofe. Die frische Luft schlug ihm entgegen, und er blieb einen Augenblick stehen; gerade in diesem Augenblick schlugen die Klänge des von neuem einsetzenden Orchesters an sein Ohr. Auf einmal erinnerte Herr Goljadkin sich an alles; es schien, als ob alle seine gesunkenen Kräfte ihm wieder zurückkehrten. Er riss sich von der Stelle los, an der er bis dahin wie angenagelt gestanden hatte, und stürzte Hals über Kopf hinaus, irgendwohin, in die Luft, ins Freie, wohin ihn die Beine trugen.

5. Kapitel

Auf allen Petersburger Türmen, auf denen Uhren die Stunden zeigten und schlugen, schlug es gerade Mitternacht, als Herr Goljadkin ganz außer sich dicht bei der Ismailowski-Brücke auf die Uferstraße an der Fontanka hinausgelaufen kam, nachdem er sich vor seinen Feinden gerettet hatte, und vor den Verfolgungen, und vor dem Hagel von Püffen, der auf ihn niedergeprasselt war, und vor dem Geschrei der aufgeregten alten Damen, und vor den Ach's und Oh's der übrigen Weiblichkeit, und vor Andrei Filippowitschs vernichtenden Blicken. In Herrn Goljadkin war gar kein Leben mehr, im vollen Sinne des Wortes kein Leben mehr, und wenn ihm in diesem Augenblicke noch die Fähigkeit zu laufen verblieben war, so war das nur durch ein Wunder geschehen, durch ein Wunder, an das er selbst nicht glauben wollte. Es war eine schreckliche Nacht, eine richtige Novembernacht, feucht, neblig, mit Regen und Schnee, eine Nacht, in der man auf das leichteste zu Rheumatismus, Schnupfen, Bräune und allen möglichen Arten und Gattungen von Fiebern gelangen konnte, kurz eine Nacht, die alle Annehmlichkeiten des Petersburger Novembers in sich vereinigte. Der Wind heulte in den öden Straßen, staute das schwarze Wasser der Fontanka auf und rüttelte ingrimmig an den schlanken Laternen der Uferstraße, die ihrerseits sein Geheul mit einem hellen, durchdringenden Getön beantworteten, was ein jedem Einwohner von Petersburg wohlbekanntes schrilles, klirrendes Konzert ergab. Es regnete und schneite gleichzeitig. Vom Winde getrieben fuhren die Regenstrahlen beinah in horizontaler Richtung einher wie aus einer Feuerspritze und stachen dem unglücklichen Herrn Goljadkin ins Gesicht wie tausend Nadeln. Inmitten der nächtlichen Stille, die nur durch das ferne Wagenrollen, das Geheul des Windes und das Klirren der Laternen unterbrochen wurde, ließ sich trübselig das Plätschern und Rauschen des Wassers vernehmen, das von allen Dächern und Gesimsen und aus allen Dachrinnen auf das granitne Trottoir strömte. Weit und breit war keine Menschenseele zu erblicken; ja, dies schien zu solcher Zeit und bei solchem Wetter von vornherein unmöglich zu sein. So trabte denn Herr Goljadkin jetzt allein mit seiner Verzweiflung auf dem Trottoir an der Fontanka in seiner gewöhnlichen trippelnden, eiligen Gangart dahin, mit dem Wunsche, möglichst schnell nach seiner Schestilawotschnaja-Straße, nach seiner vierten Etage und nach seiner Wohnung zu gelangen.