»Gott sei Dank, Anton Antonowitsch, ich...« erwiderte Herr Goljadkin stotternd, »ich bin ganz gesund, Anton Antonowitsch; ich kann augenblicklich nicht klagen, Anton Antonowitsch,« fügte er in unsicherem Tone hinzu, da er diesem Anton Antonowitsch, dessen Namen er so häufig angebracht hatte, noch immer nicht ganz traute.
»So so! Und ich hatte schon geglaubt, Sie wären nicht wohl. Übrigens wäre das ja auch kein Wunder, im Gegenteil! Es herrschen jetzt allerlei ansteckende Krankheiten, wissen Sie ...!«
»Ja, ich weiß, Anton Antonowitsch, daß solche Krankheiten herrschen... Aber, Anton Antonowitsch, das ist nicht der Grund, weswegen ich...« fuhr Herr Goljadkin, seinen Tischvorsteher unverwandt anblickend, fort. »Sehen Sie, Anton Antonowitsch, ich weiß nicht einmal, wie ich Ihnen... d. h. ich will sagen, von welcher Seite ich diese Sache anfassen soll, Anton Antonowitsch...«
»Was meinen Sie? Ich habe Sie... wissen Sie... ich muß bekennen, ich verstehe Sie noch nicht recht; bitte, erklären Sie deutlicher, was Sie so in Verlegenheit setzt,« sagte Anton Antonowitsch, der selbst ein wenig verlegen wurde, da er sah, daß Herrn Goljadkin sogar Tränen in die Augen getreten waren. »Ich weiß wirklich nicht, Anton Antonowitsch... hier... da ist ein Beamter, Anton Antonowitsch...«
»Na! Ich verstehe immer noch nicht.«
»Ich will sagen, Anton Antonowitsch, es ist hier ein neu eingetretener Beamter.«
»Ja freilich; ein Namensvetter von Ihnen.«
»Wie?« rief Herr Goljadkin.
»Ich sage: ein Namensvetter von Ihnen; er heißt ebenfalls Goljadkin. Ist er kein Verwandter von Ihnen?«
»Nein, Anton Antonowitsch, ich...«
»Hm! Nun sagen Sie mal! Und ich hatte geglaubt, er wäre gewiß ein naher Verwandter von Ihnen. Wissen Sie, es ist da so eine gewisse Familienähnlichkeit.«
Herr Goljadkin war starr vor Erstaunen, und eine Weile versagte ihm die Zunge den Dienst. Wie konnte der andre eine in ihrer Art so seltene, eine so ungeheuerliche, unerhörte Sache so leichthin behandeln, eine Sache, die sogar einen ganz unbeteiligten Zuschauer befremden mußte! Wie konnte er von Familienähnlichkeit sprechen, wo ein reines Spiegelbild vorlag!
»Wissen Sie, was ich Ihnen raten möchte, Jakow Petrowitsch?« fuhr Anton Antonowitsch fort. »Sie sollten zu einem Arzte gehen und den befragen. Wissen Sie, Sie sehen ganz krank aus. Besonders Ihre Augen... wissen Sie, Ihre Augen haben so einen besonderen Ausdruck.«
»Nicht doch, Anton Antonowitsch; ich fühle allerdings... d. h. ich wollte noch fragen, wie es mit diesem Beamten steht.«
»Wieso?« »Das heißt, haben Sie an ihm nicht etwas Besonderes bemerkt, Anton Antonowitsch... etwas sehr Auffälliges?«
»Inwiefern?«
»Ich meine zum Beispiel eine überraschende Ähnlichkeit mit jemand, Anton Antonowitsch, d. h. zum Beispiel mit mir. Sie sprachen soeben von einer Familienähnlichkeit, Anton Antonowitsch, und machten darüber so eine beiläufige Bemerkung... Wissen Sie, es kommen manchmal Zwillinge vor, die sich ähnlich sehen wie ein Ei dem andern, so daß man sie gar nicht unterscheiden kann. Nun also, von solcher Ähnlichkeit rede ich.«
»Ja,« versetzte Anton Antonowitsch nach kurzem Nachdenken, und wie wenn ihm dieser Umstand jetzt zum ersten Male auffiele, »ja, allerdings! Sie haben recht, die Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich; und Sie urteilen ganz richtig: sie ist so groß, daß man wirklich den einen für den andern nehmen kann,« fuhr er fort, indem er die Augen immer weiter öffnete. »Und wissen Sie, Jakow Petrowitsch, es ist sogar eine wunderbare Ähnlichkeit, eine märchenhafte Ähnlichkeit, wie man zu sagen pflegt, d. h. er sieht vollständig so aus wie Sie... Haben Sie das bemerkt, Jakow Petrowitsch? Ich wollte Sie schon selbst bitten, es mir zu erklären; aber ich muß bekennen, ich habe es anfänglich nicht gebührend beachtet. Es ist ein Wunder, in der Tat ein Wunder! Sagen Sie mal, Jakow Petrowitsch, Sie sind ja wohl nicht hier geboren, wie?«
»Nein.«
»Er ist auch kein Hiesiger. Vielleicht stammt er aus demselben Orte wie Sie. Gestatten Sie die Frage: wo hat Ihre Mutter meistens gelebt?«
»Sie sagten... Sie sagten, Anton Antonowitsch, er sei kein Hiesiger?«
»Allerdings, er ist nicht von hier. Aber wirklich, es ist ein reines Wunder,« fuhr der redselige Anton Antonowitsch fort, für den es das größte Vergnügen war, wenn er über irgendetwas plaudern konnte. »In der Tat, die Sache kann einen neugierig machen; wie oft geht man an dergleichen vorüber, streift daran an, stößt daran an und bemerkt es nicht! Beunruhigen Sie sich übrigens nicht! So etwas kommt vor! Wissen Sie, da möchte ich Ihnen erzählen: ganz dasselbe begegnete meiner Tante von mütterlicher Seite; die sah sich auch vor ihrem Tode doppelt...«
»Nein, ich... entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, Anton Antonowitsch... ich wollte mich erkundigen, was es mit diesem Beamten für eine Bewandtnis hat, d. h. aus welchen Gründen er hier ist.«
»Er ist an Stelle des verstorbenen Semjon Iwanowitsch hier; in dessen vakanten Platz ist er eingerückt; es war eine Vakanz entstanden, und da hat man ihn eingestellt. War doch ein prächtiger Mensch, dieser Semjon Iwanowitsch; drei Kinder hat er hinterlassen, wie man sagt, eines immer kleiner als das andere. Die Witwe hat sich Seiner Exzellenz zu Füßen geworfen. Man sagt übrigens, sie verberge Geld; sie habe welches, verberge es aber...«
»Nein, Anton Antonowitsch, ich wollte gern noch mehr über jenen eigentümlichen Fall hören.« »Was meinen Sie? Ach ja! Aber warum interessieren Sie sich so dafür? Ich sage Ihnen: beunruhigen Sie sich nicht darüber! Das geht alles vorüber. Was ist denn dabei? Sie können ja nichts dafür; das hat nun einmal unser Herrgott selbst so eingerichtet; das ist sein Wille gewesen, und darüber zu murren ist Sünde. Darin erkennt man seine Weisheit. Sie aber, Jakow Petrowitsch, sind, soviel ich davon verstehe, in keiner Weise schuld daran. Was gibt es nicht alles für Wunderdinge auf der Welt! Mutter Natur ist freigebig, und Sie werden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden; Sie werden das nicht zu verantworten brauchen. Da fällt mir zum Beispiel ein. Sie haben ja wohl gehört, wie die.. wie nennt man sie doch?... ja, die siamesischen Zwillinge, wie die mit dem Rücken zusammengewachsen sind und so zusammen leben und essen und schlafen; es heißt, sie nehmen eine Menge Geld ein.«
»Erlauben Sie, Anton Antonowitsch...«
»Ich verstehe Sie, ich verstehe Sie! Ja! Nun ja, was ist dabei? Gar nichts! Ich sage: nach meiner vollen Überzeugung haben Sie keinen Anlaß, sich zu beunruhigen. Was liegt denn vor? Er ist ein Beamter wie andere, und es scheint ja, daß er ein tüchtiger Arbeiter ist. Er sagt, er heiße Goljadkin und sei nicht von hier und sei Titularrat. Er hat persönlich mit Seiner Exzellenz gesprochen.«