»Ist Seine Exzellenz zu Hause?« fragte Herr Goljadkin den Diener, der ihm geöffnet hatte.
»Was wünschen Sie?« fragte der Diener, indem er Herrn Goljadkin vom Kopf bis zu den Füßen musterte.
»Ich möchte, mein Freund, hm... Mein Name ist Goljadkin, Titularrat Goljadkin. Ich möchte mich aussprechen...«
»Da müssen Sie warten; das geht jetzt nicht...«
»Mein Freund, ich kann nicht warten; meine Angelegenheit ist wichtig und duldet keinen Aufschub...«
»Von wem kommen Sie denn? Haben Sie Akten?«
»Nein, mein Freund, ich komme in einer persönlichen Angelegenheit... Melde mich, mein Freund; sage nur, ich wollte mich aussprechen. Ich werde dir dankbar sein, mein Lieber...«
»Es geht nicht; ich darf niemand annehmen; es ist Besuch da. Bitte, kommen Sie am Vormittag um zehn Uhr!«
»Melde mich doch, mein Lieber; ich kann nicht warten; es ist unmöglich... Du wirst es zu verantworten haben, mein Lieber...«
»Na, geh doch und melde ihn! Du willst wohl die Stiefelsohlen schonen, was?« sagte ein anderer Diener, der sich auf einer Wandbank herumrekelte und bis dahin noch kein Wort gesprochen hatte.
»Die Stiefelsohlen werde ich mir dabei nicht ablaufen. Aber er hat befohlen, niemand anzunehmen, weißt du das? Für den Herrn da ist der Vormittag die richtige Zeit.«
»Melde ihn nur! Du denkst wohl, die Zunge wird dir davon abfallen?«
»Na, dann werde ich ihn melden; die Zunge wird mir davon nicht abfallen. Aber er hat es verboten; wie gesagt, er hat es verboten. Kommen Sie in das Zimmer dort!«
Herr Goljadkin trat in das erste Zimmer; auf dem Tische stand eine Uhr. Er blickte danach hin: es war halb neun. Das Herz in der Brust schmerzte ihn. Er wollte schon umkehren; aber gerade in diesem Augenblicke rief der langaufgeschossene Diener, auf der Schwelle des folgenden Zimmers stehend, mit lauter Stimme Herrn Goljadkins Namen aus. »Hat der eine Kehle!« dachte unser Held in unbeschreiblicher Beklemmung. »Er hätte doch sagen sollen: ›So und so, er ist gekommen, um sich untertänigst und ganz ergebenst auszusprechen... hm... haben Sie die Güte ihn zu empfangen!‹ Aber jetzt ist die Sache verdorben; meine ganze Angelegenheit ist zunichte geworden. Übrigens...ja...nun, es macht nichts...« Indes war zu Überlegungen keine Zeit. Der Diener wandte sich um, sagte: »Bitte, treten Sie näher!« und führte Herrn Goljadkin in das Arbeitszimmer.
Als unser Held eintrat, hatte er eine Empfindung, als sei er blind geworden; denn er sah absolut nichts... Nur zwei oder drei Gestalten flimmerten undeutlich vor seinen Augen. »Na ja, das sind die Gäste,« fuhr es ihm durch den Kopf. Endlich begann unser Held den Stern auf dem schwarzen Fracke Seiner Exzellenz deutlich zu unterscheiden; dann gelangte er stufenweise dazu, auch den schwarzen Frack zu erkennen; schließlich gewann er die volle Sehkraft wieder...
»Was gibt es?« sagte eine bekannte Stimme über dem gebeugt dastehenden Herrn Goljadkin.
»Titularrat Goljadkin, Exzellenz.«
»Nun?...«
»Ich bin gekommen, um mich auszusprechen...«
»Wie?... Was?«
»Ja, so ist es. Hm... ich bin gekommen, um mich auszusprechen, Exzellenz...«
»Aber Sie... wer sind Sie doch?«
»Herr Gol-gol-goljadkin, Exzellenz, Titularrat.«
»Nun, also was wünschen Sie?«
»Nämlich... hm... ich nehme die Behörde zu meinem Vater an; ich selbst werde mich von dieser Angelegenheit ganz zurückziehen, und beschützen Sie mich vor meinem Feinde... Das wollte ich sagen.«
»Was bedeutet das?«
»Es ist bekannt...«
»Was ist bekannt?«
Herr Goljadkin schwieg; sein Kinn begann ein wenig zu zucken.
»Nun?«
»Ich hielt es für ritterlich, Exzellenz... Ich meinte, das sei hier ritterlich, und nehme meinen hohen Vorgesetzten zu meinem Vater an... ja, hm... beschützen Sie mich, ich fl-flehe darum mit Trä-änen, und daß solche Be-bestrebungen unter-unter-unterstützt werden mü-müßten...«
Seine Exzellenz wandte sich ab. Unser Held konnte eine kurze Zeit mit den Augen nichts unterscheiden. Die Brust war ihm wie zusammengepreßt. Er konnte kaum atmen. Er wußte nicht, wo er stand... Scham und Trauer erfüllten sein Herz. Dann war er eine Weile ganz benommen... Als unser Held wieder zu sich kam, bemerkte er, daß Seine Exzellenz mit seinen Gästen sprach und mit ihnen anscheinend in entschiedenem, energischem Tone etwas erörterte. Einen von den Gästen erkannte Herr Goljadkin sofort. Das war Andrei Filippowitsch; den andern erkannte er nicht, indessen kam ihm das Gesicht ebenfalls bekannt vor; es war eine hohe, kräftige Gestalt, ziemlich bejahrt, mit sehr dichten Augenbrauen, starkem Backenbart und scharfem, ausdrucksvollem Blicke. Am Halse trug der Unbekannte einen Orden; im Munde hatte er eine Zigarre stecken. Der Unbekannte rauchte und nickte, ab und zu nach Herrn Goljadkin hinblickend, bedeutsam mit dem Kopfe, ohne die Zigarre aus dem Munde zu nehmen. Herrn Goljadkin wurde das einigermaßen unbehaglich; er wandte seine Augen zur Seite und erblickte dort noch einen sehr sonderbaren Gast. In einer Tür, die unser Held bis dahin für einen Spiegel gehalten hatte, wie ihm das manchmal begegnete, erschien er, – der Leser weiß schon, wer: der sehr nahe Bekannte und Freund des Herrn Goljadkin. Herr Goljadkin der jüngere hatte sich wirklich bisher in einem anderen, kleinen Zimmer befunden und war damit beschäftigt gewesen, schnell etwas zu schreiben; jetzt erschien er, weil dies offenbar nötig geworden war, mit Papieren unter dem Arme, trat zu Seiner Exzellenz heran, und in der Absicht, die Aufmerksamkeit ausschließlich auf seine Person zu lenken, brachte er es fertig, sich in das Gespräch und die Beratung einzudrängen. Seinen Platz hatte er nicht weit hinter Andrei Filippowitschs Rücken genommen, zum Teil verdeckt durch den Unbekannten, der eine Zigarre rauchte. Anscheinend interessierte sich Herr Goljadkin der jüngere außerordentlich lebhaft für das Gespräch, bei dem er zunächst den wohlgesitteten Zuhörer spielte, indem er mit dem Kopfe nickte, mit den Füßen trippelte, lächelte und alle Augenblicke Seine Exzellenz ansah, wie wenn er mit seinem Blicke um die Erlaubnis bitten wollte, ebenfalls ein Wörtchen dazugeben zu dürfen. »Du Schurke!« dachte Herr Goljadkin und trat unwillkürlich einen Schritt weiter vor. In diesem Augenblicke wandte sich der Chef um und trat selbst in ziemlich unentschlossener Haltung auf Herrn Goljadkin zu.
»Nun gut, gut; gehen Sie in Gottes Namen! Ich werde Ihre Angelegenheit untersuchen; ich werde Ihnen jetzt einen Begleiter mitgeben...« Hier blickte der Chef den Unbekannten mit dem starken Backenbarte an. Dieser nickte zum Zeichen der Beistimmung mit dem Kopfe.
Herr Goljadkin fühlte und verstand deutlich, daß man von seiner Person ganz und gar nicht die Meinung hatte, die man von ihr hätte haben sollen. »Auf die eine oder die andere Weise muß ich mich jedenfalls aussprechen,« dachte er; » ›so und so;‹ werde ich sagen, ›Exzellenz‹.« Hier schlug er in seiner Ratlosigkeit die Augen zu Boden und sah zu seinem äußersten Erstaunen auf den Stiefeln Seiner Exzellenz einen weißen Fleck von beträchtlicher Größe. »Sind sie wirklich geplatzt?« dachte Herr Goljadkin. Bald indes kam er zu der Erkenntnis, daß die Stiefel Seiner Exzellenz keineswegs geplatzt waren, sondern nur das Licht stark zurückwarfen, ein Phänomen, das sich vollständig daraus erklärte, daß es stark glänzende Lackstiefel waren. »Das nennt man einen ›Blick‹,« dachte unser Held; »besonders hat sich diese Bezeichnung in den Ateliers der Künstler gehalten; an andern Stellen nennt man diesen Widerschein Lichtreflex.« Hier schlug Herr Goljadkin die Augen in die Höhe und sah, daß es Zeit war zu reden, weil die Sache sonst sehr leicht einen schlimmen Ausgang nehmen konnte... Unser Held trat einen Schritt vor.