»Wollen Sie nicht bald fahren, Herr?« sagte eine Stimme über dem Kopfe des dasitzenden Herrn Goljadkin. Herr Goljadkin fuhr zusammen; vor ihm stand sein Kutscher, ebenfalls völlig durchnäßt und durchfroren; vor Ungeduld und Langerweile war er auf den Gedanken gekommen, sich einmal nach Herrn Goljadkin hinter dem Holzhaufen umzusehen.
»Ich weiß nicht, mein Freund... ich werde bald fahren, mein Freund, sehr bald, sehr bald; warte noch ein bißchen!...«
Der Kutscher ging, etwas vor sich hin brummend, wieder weg. »Was mag er da brummen?« dachte Herr Goljadkin, und die Tränen kamen ihm in die Augen. »Ich habe ihn doch für den ganzen Abend genommen; also kann ich... hm... ich bin jetzt in meinem Rechte... so ist das! Ich habe ihn für den ganzen Abend genommen; also ist die Sache in Ordnung. Wenn er auch so dasteht, das ist ganz gleich. Das hängt alles von meinem Belieben ab. Wenn ich fahren will, kann ich fahren, und wenn ich nicht fahren will, kann ich es unterlassen. Und wenn ich hier hinter dem Holze stehe, so ist auch dagegen nichts einzuwenden... und er darf sich nicht erdreisten, etwas darüber zu sagen; wenn der Herr Lust hat, hinter dem Holze zu stehen, nun, dann steht er eben hinter dem Holze... und damit befleckt er niemandes Ehre; so ist das! Ja, so ist das, mein Fräulein, wenn Sie es wissen wollen. Und in einer Hütte, mein Fräulein, hm, in einer Hütte lebt in unserem Zeitalter niemand. So ist das! Und ohne Moralität kann man in unserem Zeitalter der Industrie nichts erreichen, mein Fräulein; dafür dienen Sie selbst jetzt als trauriges Beispiel... Also Ihrer Meinung nach soll ich das Amt eines Tischvorstehers bekleiden und in einer Hütte am Gestade des Meeres leben. Erstens, mein Fräulein, gibt es am Gestade des Meeres keine Tischvorsteher, und zweitens können wir beide mir keine Stelle als Tischvorsteher verschaffen. Denn gesetzt z.B. ich reiche eine Bittschrift ein und sage darin: ›So und so, ich bitte, mich zum Tischvorsteher zu machen und mich vor meinem Feinde zu schützen ...‹, dann werden Sie merken, mein Fräulein, daß es viele Tischvorsteher gibt, und daß Sie hier nicht bei der Emigrantin Falbala sind, wo Sie Moralität gelernt haben, wofür Sie selbst als trauriges Beispiel dienen. Moralität, mein Fräulein, das bedeutet: zu Hause sitzen, seinen Vater ehren und nicht vorzeitig an Freier denken. Die Freier, mein Fräulein, werden sich zur rechten Zeit schon finden; so ist das! Gewiß, man muß unstreitig auch allerlei Fertigkeiten und Kenntnisse besitzen, als da sind: ein bißchen Klavierspielen, Französisch sprechen, Geschichte, Geographie, Religion und Rechnen, – so ist das! Aber mehr ist nicht vonnöten. Dazu kommt noch die Küche; zu dem Wissensgebiete eines jeden wohlgesitteten Mädchens gehört unbedingt auch die Küche! Aber was wird mit Ihnen werden? Erstens, mein schönes gnädiges Fräulein, wird man Sie nicht so einfach davonlassen, sondern eine Verfolgung veranstalten und Sie, wenn man Sie attrapiert hat, in ein Kloster stecken. Was dann, mein Fräulein? Was befehlen Sie mir dann zu tun? Befehlen Sie mir, mein Fräulein, nach Anweisung einiger dummer Romane auf einen nahegelegenen Hügel zu gehen und, nach den kalten Mauern Ihres Gefängnisses hinblickend, in Tränen zu zerfließen und schließlich so zu sterben, gemäß der Vorschrift einiger verdrehter deutscher Dichter und Romanschriftsteller? Ja, mein Fräulein? Aber gestatten Sie mir, Ihnen in aller Freundschaft zu sagen, erstens, daß die Dinge sich nicht in dieser Weise vollziehen, und zweitens, daß ich am liebsten Sie und Ihre Eltern gehörig dafür durchhauen möchte, daß sie Ihnen französische Bücher zu lesen gegeben haben; denn aus französischen Büchern kann man nichts Gutes lernen. In denen steckt Gift, verderbliches Gift, mein Fräulein! Oder denken Sie etwa (gestatten Sie die Frage!), oder denken Sie etwa, wir werden ungestraft entfliehen können und dann zusammen in einer Hütte am Meeresstrande wohnen? Und dann fangen wir an zu girren und zu schnäbeln und von allerlei Gefühlen zu sprechen und verbringen so unser ganzes Leben in Zufriedenheit und Glück? Und dann stellt sich ein Kleines ein, und wir sagen: ›So und so, Sie unser Vater Staatsrat Olsufi Iwanowitsch, da hat sich ein Kleines eingestellt; nehmen Sie also bei diesem passenden Anlaß Ihren Fluch zurück, und segnen Sie uns junges Paar!‹? Nein, mein Fräulein, da vollziehen sich die Dinge wieder nicht in dieser Weise, und der erste Punkt ist der, daß es kein Girren und Schnäbeln mehr gibt; hoffen Sie darauf nicht! Heutzutage, mein Fräulein, ist der Mann der Herr, und eine gute, wohlgesittete Frau muß ihm in allen Stücken zu Gefallen leben. Zärtlichkeiten aber, mein Fräulein, sind heutzutage in unserm Zeitalter der Industrie nicht mehr beliebt; die Zeiten Jean Jacques Rousseaus sind vorüber. Heutzutage kommt z. B. der Mann hungrig vom Dienste nach Hause; da sagt er dann: ›Mein Herzchen, hast du nicht vor dem Mittagessen ein bißchen was zu essen, ein Schnäpschen zu trinken, ein Stückchen Hering zu essen?‹ Da müssen Sie dann ein Schnäpschen und ein Stückchen Hering gleich in Bereitschaft haben. Der Mann ißt das mit gutem Appetit; aber Sie sieht er gar nicht an, sondern er sagt: ›Geh in die Küche, mein Kätzchen, und sieh nach dem Mittagessen!‹ und vielleicht gibt er Ihnen in der Woche nur ein einziges Mal einen Kuß, und auch das nur mit gleichgültigem Wesen... So ist das jetzt bei uns, mein Fräulein! Und auch das nur mit gleichgültigem Wesen!... So wird das sein, wenn man es recht überlegt, wenn es nun einmal dahin gekommen ist, daß man die Sache in dieser Weise zu betrachten anfängt... Und was habe denn ich, ich damit zu schaffen? Warum haben Sie mich in Ihr launenhaftes Treiben hineingezogen, mein Fräulein? Sie schreiben: ›Edler, für mich leidender und meinem Herzen in jeder Hinsicht teurer Mann‹ usw. Ja, erstens, mein Fräulein, passe ich gar nicht für Sie; Sie wissen selbst, daß ich mich auf Komplimente nicht verstehe, es nicht liebe, den Damen allerlei parfümierten Unsinn vorzuschwatzen, das seladonhafte Wesen nicht ausstehen kann und auch, offen gestanden, kein schönes Äußeres besitze. Lügenhafte Prahlerei und Ziererei werden Sie bei mir nicht finden; das gestehe ich Ihnen jetzt mit aller Offenherzigkeit. So ist das; ich besitze nur einen geraden, offenen Charakter und einen gesunden Verstand; mit Intrigen gebe ich mich nicht ab. Ich bin kein Intrigant und bin stolz darauf; so ist das!... Ich bewege mich unter guten Menschen ohne Maske, und um Ihnen alles zu sagen...«