Da begab sich etwas ganz Unerwartetes... Die Saaltür wurde geräuschvoll geöffnet, und auf der Schwelle erschien ein Mensch, dessen bloßer Anblick Herrn Goljadkin zu Eis erstarren ließ. Seine Füße wuchsen am Boden fest. Ein Schrei erstarb in seiner beengten Brust. Übrigens hatte Herr Goljadkin alles vorher gewußt und schon längst etwas Ähnliches geahnt. Der Unbekannte näherte sich Herrn Goljadkin würdevoll und feierlich. Herr Goljadkin kannte diese Gestalt sehr gut. Er hatte sie schon gesehen, sehr oft gesehen, noch an diesem selben Tage gesehen... Der Unbekannte war ein hochgewachsener, kräftig gebauter Mann, in schwarzem Frack, mit einem hohen Orden am Halse, mit dichtem, sehr schwarzem Backenbart; es fehlte nur die Zigarre im Munde, um die Ähnlichkeit vollständig zu machen. Der Blick des Unbekannten bewirkte, daß, wie schon oben gesagt, Herr Goljadkin vor Angst zu Eis erstarrte. Mit würdevoller, feierlicher Miene trat der furchtbare Mensch auf den bedauernswerten Helden unserer Erzählung zu... Unser Held streckte ihm die Hand entgegen; der Unbekannte ergriff sie und zog ihn hinter sich her... Verstört und niedergedrückt blickte unser Held rings um sich.
»Das ist Krestjan Iwanowitsch Rutenspitz, Doktor der Medizin und Chirurgie, Ihr alter Bekannter, Jakow Petrowitsch!« schnatterte eine widerwärtige Stimme dicht an Herrn Goljadkins Ohr. Er sah sich um: es war der wegen seiner Nichtswürdigkeit hassenswerte Zwillingsbruder des Herrn Goljadkin. Eine unedle, boshafte Freude glänzte auf seinem Gesichte: entzückt rieb er sich die Hände; entzückt drehte er seinen Kopf nach allen Seiten; entzückt trippelte er um all und jeden herum; er schien Lust zu haben, gleich auf dem Flecke vor Entzücken loszutanzen; zuletzt sprang er vor, nahm einem der Diener eine Kerze aus der Hand und ging voran, um Herrn Goljadkin und Krestjan Iwanowitsch zu leuchten. Herr Goljadkin hörte deutlich, wie alle, die im Saale waren, hinter ihm herströmten, wie alle sich stießen und drängten und ihm einhellig immer dasselbe wiederholten: »Das hat nichts zu bedeuten; fürchten Sie sich nicht, Jakow Petrowitsch! Das ist ja Ihr alter Freund und Bekannter Krestjan Iwanowitsch Rutenspitz...« Endlich traten sie auf die hellerleuchtete Treppe hinaus; auch auf der Treppe standen eine Menge Leute. Geräuschvoll wurde die Haustür geöffnet, und nun stand Herr Goljadkin mit Krestjan Iwanowitsch auf den davor befindlichen Stufen. Vor der Tür stand eine Kutsche, mit vier Pferden bespannt, die vor Ungeduld schnaubten. Der schadenfrohe Herr Goljadkin der jüngere kam in großen Sätzen die Treppe herabgesprungen und öffnete selbst die Kutsche. Krestjan Iwanowitsch ersuchte durch eine einladende Handbewegung Herrn Goljadkin, einzusteigen. Übrigens bedurfte es einer solchen einladenden Handbewegung gar nicht; es waren genug Leute da, um ihm hineinzuhelfen... Halbtot vor Angst blickte Herr Goljadkin zurück: die ganze hellerleuchtete Treppe war mit Menschen besetzt; von allen Seiten blickten neugierige Augen nach ihm hin; selbst Olsufi Iwanowitsch saß in seinem bequemen Lehnstuhl auf dem oberen Treppenflur und verfolgte aufmerksam mit lebhaftem Interesse den ganzen Vorgang. Alle warteten. Ein Gemurmel der Ungeduld lief durch die Menge, als Herr Goljadkin sich umwandte und zurückblickte.
»Ich hoffe, daß darin nichts... nichts Anstößiges liegt... nichts, was der Behörde zu strengem Verfahren gegen mich Anlaß geben... oder die allgemeine Aufmerksamkeit mit Bezug auf meine amtliche Stellung erregen könnte?« sagte unser Held ganz fassungslos. Ringsum wurde lärmend darauf geantwortet; alle schüttelten verneinend die Köpfe. Die Tränen stürzten Herrn Goljadkin aus den Augen.
»In diesem Falle bin ich bereit... ich vertraue mich ganz Krestjan Iwanowitsch an... ich lege mein Schicksal in seine Hände...«
Kaum hatte Herr Goljadkin gesagt, daß er sein Schicksal ganz in Krestjan Iwanowitschs Hände lege, als alle, die ihn umgaben, in ein furchtbares, betäubendes Freudengeschrei ausbrachen, das sich dann in unheilverkündendem Widerhall durch die ganze wartende Menge hinwälzte. Nun faßten Krestjan Iwanowitsch von der einen Seite, Andrei Filippowitsch von der andern Seite Herrn Goljadkin unter den Arm und machten Anstalt, ihn in den Wagen zu setzen; der Doppelgänger half nach seiner nichtswürdigen Gewohnheit von hinten nach. Der unglückliche Herr Goljadkin der ältere warf auf alle und alles einen letzten Blick und kroch zitternd wie ein Kätzchen, das man mit kaltem Wasser begossen hat, wenn dieser Vergleich gestattet ist, in den Wagen hinein; nach ihm stieg sogleich auch Krestjan Iwanowitsch ein. Die Wagentür wurde zugeschlagen; die Peitsche fiel klatschend auf die Rücken der Pferde; die Pferde zogen an... alle stürzten hinter Herrn Goljadkin her. Gellendes, wütendes Geschrei aller seiner Feinde schallte ihm als Abschiedsgruß nach. Eine Zeitlang huschten noch einige Gestalten um den Wagen herum, der Herrn Goljadkin entführte; aber allmählich blieben sie zurück und verschwanden schließlich ganz. Am längsten von allen blieb Herrn Goljadkins unedler Zwillingsbruder. Die Hände in die Taschen seiner grünen Uniformhosen gesteckt, lief er mit zufriedener Miene einher, indem er bald von der einen, bald von der andern Seite an den Wagen heransprang; manchmal griff er auch nach dem Fensterrahmen, hängte sich daran, steckte den Kopf ins Fenster und warf Herrn Goljadkin zum Abschied Kußhändchen zu; aber auch er begann müde zu werden, zeigte sich immer seltener und seltener und verschwand schließlich vollständig. Herr Goljadkin fühlte einen dumpfen Schmerz im Herzen; das Blut pochte ihm wie eine heiße Quelle im Kopfe; es war ihm drückend heiß; er wollte sich gern die Kleider aufknöpfen, seine Brust entblößen, sie mit Schnee beschütten und mit kaltem Wasser begießen. Endlich versank er in Bewußtlosigkeit... Als er wieder zu sich kam, sah er, daß der Wagen auf einem ihm unbekannten Wege dahinfuhr. Rechts und links lag schwarzer Wald; alles war öde und menschenleer. Auf einmal wurde er starr vor Schreck: zwei feurige Augen blickten ihn in der Dunkelheit an und funkelten in boshafter, teuflischer Freude. »Das ist nicht Krestjan Iwanowitsch!« dachte Herr Goljadkin. »Wer ist das? Oder ist er es doch? Er ist es! Es ist Krestjan Iwanowitsch; aber nicht der frühere, sondern ein anderer Krestjan Iwanowitsch! Das ist ein entsetzlicher Krestjan Iwanowitsch!...«