Heute war das gewöhnliche Heer von Marktleuten, fliegenden Händlern mit schrillen Stimmen, gaffenden Provinzlern, Spielern, Beutelschneidern und Musikanten noch viel größer als sonst, vermehrt durch die Soldaten der verschiedenen Abordnungen an den Hof des sterbenden Königs. Rimmersmann, Hernystiri, Warinstenner oder Perdruinese – ihr Stolzieren und die bunten Trachten reizten Simons Elsterngeschmack. Er folgte einer Gruppe in Blau und Gold gekleideter Nabbanai-Legionäre, bewunderte ihr prahlerisches Auftreten und die zur Schau getragene Überlegenheit und verstand ohne Sprachkenntnisse die lässige Art, in der sie sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen. Gerade wollte er näher herangehen, weil er hoffte, die kurzen Dolchschwerter, die sie in einer Scheide hoch am Gürtel trugen, etwas genauer betrachten zu können, als einer von ihnen, ein helläugiger Mann mit dünnem, schwarzem Schnurrbart, sich umdrehte und ihn bemerkte.
»Heja, Brüder!« sagte er mit einem Grinsen und packte einen anderen am Arm. »Schaut doch! Ein junger Taschendieb, wette ich, der ein Auge auf deinen Geldbeutel hat, Turis!«
Beide Männer machten kehrt und bauten sich vor Simon auf. Der Stämmige, Bärtige namens Turis warf dem Jungen einen grimmigen Blick zu und knurrte: »Wenn mich berührt, dann ich würde töten.«
Er beherrschte die Westerling-Sprache nicht so gut wie der andere; auch schien ihm dessen Humor abzugehen.
Inzwischen waren drei andere Legionäre hinzugekommen; langsam begannen sie Simon einzukreisen, bis er sich vorkam wie ein in die Enge getriebener Fuchs.
»Was gibt es hier, Gelles?« fragte einer der Neuankömmlinge Turis' Begleiter. »Hué fauge? Hat er gestohlen?«
»Nai, nai…«, lachte Gelles, »ich habe nur Turis ein wenig geneckt. Der dürre Bengel hat nichts angestellt.«
»Ich habe meinen eigenen Geldbeutel!« sagte Simon empört. Er knüpfte ihn vom Gürtel und schwang ihn vor den feixenden Gesichtern der Soldaten. »Ich bin kein Dieb! Ich gehöre zum Haushalt des Königs! Eures Königs!« Die Männer lachten.
»Heja, hört ihn euch an!« rief Gelles. »Unser König, sagt er kühn!«
Simon wurde langsam klar, daß der junge Legionär betrunken war. Ein Teil seiner Bewunderung – aber bei weitem nicht alle – verwandelte sich in Abscheu.
»Heja, Burschen!« Gelles wackelte mit den Augenbrauen. »›Mulveiz-nei cenit drenisend‹ heißt es – also hüten wir uns vor diesem Welpen und lassen ihn schlafen!« Ein neuer Heiterkeitsausbruch folgte. Simon, feuerrot im Gesicht, zurrte seinen Geldbeutel wieder fest und wollte sich entfernen.
»Auf Wiedersehen, Burgmaus!« rief ihm einer der Soldaten spöttisch nach. Simon schaute sich nicht um und erwiderte auch nichts, sondern eilte rasch davon.
Schon hatte er einen der Steinöfen passiert und die überdachte Mittelgasse verlassen, als er eine Hand auf der Schulter fühlte. Er fuhr herum, weil er dachte, die Nabbanai-Legionäre seien ihm gefolgt, um ihn noch weiter zu kränken, aber vor ihm stand ein rundlicher Mann mit wettergegerbtem, rosigem Gesicht. Der Fremde trug das graue Gewand und die Tonsur eines Bettelmönches.
»Vergebung, mein junger Bursche«, sagte er im schnalzend-schnarrenden Tonfall der Männer von Hernystir, »ich wollte mich nur vergewissem, daß du wohlbehalten bist und diese goirach Kerle dir nichts angetan haben.« Der Fremde streckte die Hand aus und klopfte Simon ab, als suche er nach Schäden. Seine schwerlidrigen Augen, wenn auch von Falten umgeben, die auf ein häufiges Lächeln schließen ließen, hielten etwas zurück: einen tieferen Schatten, beunruhigend, doch nicht furchteinflößend. Simon merkte, daß er ihn, fast gegen seinen Willen, anstarrte und scheute zurück.
»Nein, danke, Vater«, erwiderte er und benutzte vor Schreck die förmliche Anrede. »Sie haben sich nur über mich lustig gemacht. Es ist nichts passiert.«
»Gut ist das, sehr gut … Oh, verzeih mir, ich habe mich nicht vorgestellt. Ich bin Bruder Cadrach ec-Crannhyr vom Orden der Vilderivaner.« Er setzte ein kleines, demütiges Lächeln auf. Sein Atem roch nach Wein. »Ich kam mit Prinz Gwythinn und seinen Männern. Und wer bist du?«
»Simon. Ich wohne auf dem Hochhorst.« Er machte eine unbestimmte Gebärde zur Burg hinauf.
Der Mönch lächelte erneut, sagte aber nichts und wandte sich dann um, einem vorübergehenden Hyrkamann nachzuschauen, der, in schreiendbunte Farben gekleidet, einen Bären mit Maulkorb an der Kette führte. Als das Paar vorbei war, heftete Cadrach die kleinen, scharfen Augen wieder auf Simon.
»Manche Leute behaupten, die Hyrkas könnten mit Tieren sprechen, wußtest du das? Vor allem mit ihren Pferden. Die Tiere sollen jedes Wort verstehen.« Der Mönch zuckte ironisch die Achseln, um anzudeuten, daß ein Gottesmann solchen Unsinn natürlich nicht glauben konnte.
Simon gab keine Antwort. Selbstverständlich hatte er auch schon solche Geschichten über die wilden Hyrkamänner gehört, und Shem Pferdeknecht schwor, sie wären die reine Wahrheit. Man sah die Hyrkas oft auf dem Markt, wo sie wunderschöne Pferde zu schamlosen Preisen verkauften und die Einwohner mit Tricks und Rätseln verwirrten. Beim Gedanken an sie und besonders ihren alles andere als ehrenhaften Ruf griff Simon nach unten und packte seinen ledernen Geldbeutel, um sich zu vergewissern, daß er die Schätze darin noch fühlen konnte.
»Ich danke Euch für Eure Hilfe, Vater«, meinte er endlich, obwohl er sich nicht recht erinnern konnte, womit der Mann ihm geholfen haben sollte. »Ich muß jetzt gehen und Gewürze einkaufen.«
Cadrach sah ihn einen langen Augenblick an, als versuche er, sich an etwas zu erinnern, einen Hinweis, der vielleicht in Simons Gesicht verborgen war. Dann erklärte er: »Ich würde dich gern um einen Gefallen bitten, junger Mann.«
»Welchen?« erkundigte Simon sich mißtrauisch. »Wie erwähnt, bin ich in deinem Erchester fremd. Vielleicht könntest du so gut sein und mich ein wenig herumführen, nur so zur Orientierung. Dann könntest du deiner Wege gehen und hättest eine gute Tat getan.«
»Oh.« Simon fühlte sich ein wenig erleichtert. Seine erste Regung war gewesen, nein zu sagen – es kam so selten vor, daß er einen Nachmittag auf dem Markt ganz für sich allein hatte. Andererseits – wie oft fand er Gelegenheit, mit einem Ädonitermönch aus dem heidnischen Hernystir zu plaudern? Auch schien dieser Bruder Cadrach nicht zu denen zu gehören, die einem nur Vorträge über Sünde und Verdammnis halten wollten. Er betrachtete den anderen noch einmal von oben bis unten, aber das Gesicht des Mönches blieb undurchschaubar.
»Also gut, ich denke, das kann ich tun – sicher. Kommt mit. Wollt Ihr die Nascadu-Tänzer auf dem Platz der Schlachten sehen?«
Cadrach war ein interessanter Begleiter. Obwohl er viel redete, Simon von der kalten Reise mit Prinz Gwythinn von Hernysadharc nach Erchester erzählte und häufig Scherze über die Vorübergehenden und ihre mehr oder weniger exotischen Kostüme machte, schien er doch immer etwas zurückzuhalten und ständig nach irgend etwas auszuschauen, selbst dann, wenn er über seine eigenen Geschichten lachte. Einen guten Teil des Nachmittags wanderte er mit Simon über den Markt. Sie besahen sich die Tische mit Kuchen und gedörrtem Gemüse, die vor den Ladenfronten der Mittelgasse standen, und rochen die warmen Düfte der Brotbäcker und Kastanienverkäufer. Der Mönch bemerkte Simons sehnsüchtigen Blick und bestand darauf, daß sie haltmachten und ein grobes Strohkörbchen mit gerösteten Nüssen kauften, das er freundlich bezahlte, indem er dem Maronenmann mit dem rissigen Gesicht ein behende aus einer Tasche seiner grauen Kutte zutage gefördertes Halbfithingstück gab. Nachdem sie sich beim Versuch, das Nußfleisch zu essen, Finger und Zungen verbrannt hatten, kapitulierten sie und blieben stehen, um den komischen Streit zwischen einem Weinhändler und einem Gaukler, der den Eingang des Weinladens versperrte, zu verfolgen, während sie darauf warteten, daß ihr Einkauf abkühlte.