Sobald Johans Körper feierlich aufgebahrt war, befahl Vater Helfcene, der Kanzler des Königs, über der Felsfeste von Wentmund das Hayefur anzuzünden, etwas, das nur in Kriegszeiten oder bei großen Ereignissen geschah. Wenige unter den Lebenden konnten sich noch an das letzte Mal erinnern, als man den gewaltigen Fackelturm in Brand gesetzt hatte.
Helfcene gebot außerdem, auf dem Swertclif, oben auf dem östlich von Erchester gelegenen Vorgebirge, das weit über den Kynslagh hinausblickte, eine gewaltige Grube auszuheben. Auf diesem windigen Gipfel erhoben sich bereits die sechs schneebedeckten Hügel der Könige, die vor Johan Presbyter auf dem Hochhorst geherrscht hatten. Es war elendes Wetter zum Graben, der Boden vom Winter gefroren, aber die Arbeiter auf dem Swertclif waren stolz und ertrugen die beißende Luft, die Frostbeulen und die aufgesprungene Haut um der Ehre des Auftrags willen. Der größte Teil des kalten Johanever-Monats verging, bevor man mit dem Ausschachten fertig war und die Grube mit einem riesigen Zelt aus rotweißem Segeltuch überdeckt hatte.
Die Vorbereitungen auf dem Hochhorst nahmen einen weniger gemächlichen Verlauf. Die vier Küchen der Burg glühten und qualmten wie geschäftige Eisenwerke, während eine Horde schwitzender Küchenjungen den Leichenschmaus vorbereitete, Fleisch und Brot und Festwaffeln. Der Seneschall Peter Goldschüssel, ein kleiner, verbissener, gelbhaariger Mann, war wie ein Racheengel überall gleichzeitig. Mit derselben Geschicklichkeit kostete er die in gewaltigen Fässern wogende Brühe, untersuchte die Risse der Großen Tafel auf Staub – mit wenig Aussicht, denn hier war Rachel zuständig – und überhäufte die hin und her eilende Dienerschar mit Verwünschungen. Es war, darüber waren sich alle einig, seine größte Stunde.
Auf dem Hochhorst versammelte sich die Trauergemeinde aus allen Völkern Osten Ards. Skali Scharfnase von Kaldskryke, Herzog Isgrimnurs ungeliebter Vetter, erschien mit zehn verdächtig ausschauenden vollbärtigen Verwandten. Von den drei Stämmen, die über die wilden, grasigen Thrithinge herrschten, kamen die Markthane der regierenden Familien. Zur allgemeinen Verblüffung stellten die Stammeskrieger ausnahmsweise die Feindseligkeiten untereinander zurück und trafen gemeinsam ein – ein Zeichen ihrer Achtung für König Johan. Ja, es hieß sogar, als die Nachricht von Johans Tod die Thrithinge erreichte, hätten die Randwarte der drei Stämme sich an den Grenzen, die sie so eifersüchtig gegeneinander hüteten, getroffen und gemeinsam geweint und die ganze Nacht auf des Königs Geist getrunken.
Aus der Sancellanischen Mahistrevis, dem Herzogpalast in Nabban, schickte Herzog Leobardis seinen Sohn Benigaris mit einer Kolonne von Legionären und gepanzerten Rittern, an die hundert Köpfe stark. Als sie aus ihren Kriegsschiffen stiegen, die alle drei Nabbans goldenen Eisvogel auf dem Segel trugen, ging ein bewunderndes Raunen durch die Menge am Anlegeplatz. Sogar für Benigaris gab es ein paar respektvolle Hochrufe, als er auf einem hohen, grauen Zelter vorbeiritt; viele jedoch flüsterten, wenn das der Neffe von Camaris, dem größten Ritter im Zeitalter König Johans, sei, so müsse dieser Apfel vom Stamm seines Vaters und nicht dem seines Onkels gefallen sein. Camaris war ein hünenhafter, alle anderen überragender Mann gewesen, jedenfalls sagten das jene, die alt genug waren, sich noch an ihn zu erinnern; Benigaris dagegen sah, um die Wahrheit zu sagen, ein bißchen verfettet aus. Aber es war ja auch schon fast vierzig Jahre her, daß Camaris-sá-Vinitta auf dem Meer verschollen war; viele von den Jüngeren hatten den Verdacht, daß sich seine Statur in der Erinnerung der Großväter und Klatschbasen ein wenig vergrößert hatte.
Noch eine weitere bedeutende Abordnung kam aus Nabban, kaum weniger kriegerisch als Benigaris' Leute: der Lektor Ranessin selbst segelte auf einem wunderbaren Schiff über den Kynslagh, und auf dem Azursegel strahlten der weiße Baum und die goldene Säule der Mutter Kirche. Die Menge am Kai, die Benigaris und die Nabbanai-Soldaten so milde begrüßt hatte – als erinnere sie sich noch undeutlich der Tage, in denen Nabban mit Erkynland um die Vormacht gerungen hatte –, empfing den Lektor mit lautem Willkommensruf. Die an der Schiffslände Versammelten drängten vorwärts, und es erforderte die vereinten Kräfte der Wachen von König und Lektor, sie zurückzuhalten. Trotzdem wurden einige unsanft nach vorn gestoßen, so daß sie in den eiskalten See fielen und nur schnelle Rettung sie vor dem Erfrieren bewahrte.
»Das ist nicht das, was ich mir gewünscht hätte«, flüsterte der Lektor seinem jungen Adlatus Vater Dinivan zu. »Ich meine – sieh dir nur dieses aufgeputzte Ding da an, das sie mir geschickt haben.« Er deutete auf die Sänfte, ein prunkvolles Gebilde aus geschnitztem Kirschholz mit blauer und weißer Seide. Vater Dinivan, in schlichtes Schwarz gewandet, grinste.
Ranessin, ein schlanker, gutaussehender Mann von fast siebzig Jahren, sah mit ärgerlichem Stirnrunzeln auf die wartende Sänfte und winkte dann mit milder Gebärde einen aufgeregten Offizier der Erkyngarde heran.
»Bitte entfernt das«, sagte er. »Wir wissen Kanzler Helfcenes Fürsorglichkeit zu würdigen, aber wir ziehen es vor, mit dem Volk zu gehen.«
Das anstoßerregende Transportmittel wurde eiligst fortgeschafft, und der Lektor schritt auf die überfüllte Kynslagh-Treppe zu. Als er das Zeichen des Baumes machte – Daumen und kleiner Finger wie ineinandergehakte Zweige, dazu ein senkrechter Strich mit den Mittelfingern –, öffnete die unruhige Menge langsam einen Durchgang, der über die ganze Länge der großen Treppe reichte.
»Lauft bitte nicht so schnell, Meister«, sagte Dinivan und schob sich an ausgestreckten, winkenden Armen vorbei. »Ihr überholt sonst noch Eure Wachen.«
»Und woher weißt du« – Ranessin ließ, so schnell, daß niemand außer Dinivan es sah, ein neckendes Lächeln über sein Gesicht huschen –, »daß es nicht genau das ist, was ich vorhabe?«
Dinivan fluchte ganz leise und bereute sofort diese Schwäche. Der Lektor war bereits einen Schritt voraus, und die Menge drängte nach. Zum Glück frischte jetzt der Wind von den Docks auf, und Ranessin war gezwungen, langsamer zu steigen. Mit der freien Hand umklammerte er seinen Hut, der fast so dünn, hoch und bleich aussah wie Seine Heiligkeit selbst. Als Vater Dinivan merkte, daß der Lektor leicht schräg im Wind zu liegen begann, schob er sich eilig weiter. Er holte den Älteren ein und packte ihn energisch am Ellbogen.
»Vergebt mir, Meister, aber Escritor Velligis würde es nie verzeihen, wenn ich Euch in den See fallen ließe.«
»Natürlich, mein Sohn«, nickte Ranessin und formte, während die beiden weiter die lange, breite Treppe hinaufstiegen, immer wieder nach beiden Seiten das Zeichen des Baumes in der Luft. »Ich habe nicht genügend nachgedacht. Du weißt ja, wie sehr ich diesen unnötigen Pomp verachte.«
»Aber Lektor«, wandte Dinivan milde ein und hob mit dem Ausdruck geheuchelter Überraschung die buschigen Augenbrauen, »Ihr seid Usires Ädons weltliche Stimme. Es schickt sich nicht, daß Ihr hier die Stufen hinaufrennt wie ein Seminarschüler.«
Dinivan war enttäuscht, daß diese Worte nur ein leichtes Lächeln auf das Gesicht Seiner Heiligkeit brachten. So kletterten sie in wortlosem Gleichschritt bergan, und der jüngere Mann hielt weiter den Arm des älteren in schützendem Griff.
Armer Dinivan, dachte Ranessin. Er gibt sich solche Mühe und ist so achtsam. Nicht, daß er mich – immerhin den Lektor der Mutter Kirche – nicht mit einer gewissen Respektlosigkeit behandelte. Natürlich tut er das, weil ich es ihm erlaubt habe – zu meinem eigenen Besten. Aber heute bin ich nicht in heiterer Stimmung, und er sollte das wissen.
Selbstverständlich war Johans Tod der Grund – aber es war nicht nur der Verlust eines guten Freundes und hervorragenden Königs; es war die damit verbundene Veränderung, und die Kirche in Gestalt von Lektor Ranessin konnte es sich nicht erlauben, Veränderungen allzuleicht Vertrauen zu schenken. Natürlich bedeutete es auch den Abschied – nur in dieser Welt, erinnerte der Lektor sich selber energisch – von einem Mann, der ein gutes Herz und gute Absichten gehabt hatte, auch wenn er bei der Ausführung dieser Absichten bestimmt manchmal allzu direkt vorgegangen war. Ranessin schuldete Johan viel, und nicht das Geringste davon war, daß der Einfluß des Königs bei der Erhebung des einstigen Oswin von Stanshire in die Höhen der Kirche und schließlich sogar zum Amt des Lektors, das fünf Jahrhunderte von keinem Erkynländer mehr bekleidet worden war, eine große Rolle gespielt hatte. Man würde den König sehr vermissen.