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Eigentlich hat der Junge ja niemanden aufgeweckt, dachte Isgrimnur. Die anderen haben sich auch nur hin- und hergewälzt und gestöhnt, als ich hereinkam – als hätten sie alle den gleichen Alptraum. Was für eine götterverfluchte seltsame Nacht!

Der Herzog sah zu, wie die ruhelosen Gestalten ringsum langsam wieder still wurden und wandte seine Aufmerksamkeit dann erneut dem Jungen zu.

Sieh an – der kleine Welpe hustet ja fürchterlich. Um die Wahrheit zu sagen, so klein ist er gar nicht mehr, nur dünn wie ein verhungerndes Fohlen.

Isgrimnur stellte die Laterne in eine Nische und zog das vor den Alkoven gespannte Laken aus hausgesponnenem Tuch zur Seite, damit er die Schultern des Jungen besser anfassen konnte. Er richtete ihn im Bett auf und gab ihm einen derben Klaps auf den Rücken. Der Junge hustete noch einmal und hörte dann auf. Isgrimnur klopfte ihn noch ein paarmal mit der breiten, haarigen Hand und sagte dann: »Tut mir leid, Bursche, tut mir leid. Nur schön langsam.«

Während der Junge wieder zu Atem kam, sah sich der Herzog in dem durch den Vorhang abgetrennten Alkoven um, in dem das Lattenbett stand. Hinter dem herabhängenden Tuch hörte man die murmelnden Nachtgeräusche von etwa einem Dutzend in der Nähe schlafenden Küchenjungen.

Isgrimnur nahm die Laterne wieder in die Hand und spähte nach den sonderbaren Dingen, die an der im Schatten liegenden Wand des Alkovens hingen: ein auseinanderfallendes Vogelnest, ein seidenes Band – in dem schwachen Lampenlicht sah es grün aus –, das wahrscheinlich von der Festkleidung irgendeines Ritters stammte. Daneben, ebenfalls an in Mauerspalten getriebenen Nägeln hängend, fanden sich eine Falkenfeder, ein grobgeschnitzter hölzerner Ädonbaum und ein Bild, dessen unregelmäßiger Rand erkennen ließ, daß es aus einem Buch herausgerissen worden war. Isgrimnur kniff die Augen zusammen und schien einen starr blickenden Mann zu sehen, dem die Haare wild vom Kopf abstanden – oder war es ein Geweih?

Als er wieder nach unten schaute und über das unheilige Gerumpel junger Leute vor sich hinlächelte, war der Junge zu Atem gekommen. Mit großen, unruhigen Augen sah er zu dem Herzog auf.

Mit dieser Nase und dem – was ist es, rot? – Haarschopf sieht der Junge aus wie ein verdammter Marschvogel, dachte Isgrimnur.

»Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, erklärte der alte Herzog, »aber du warst der nächste an der Tür. Ich muß mit Strupp sprechen – dem Narren. Kennst du ihn?« Der Junge nickte und sah ihm gespannt ins Gesicht. Gut, dachte der Rimmersmann, wenigstens ist er nicht einfältig. »Man hat mir gesagt, daß er heute nacht hier schläft, aber ich sehe ihn nicht. Wo ist er?«

»Ihr … Ihr seid…« Der Junge hatte Mühe, es herauszubringen. »Ja, ich bin der Herzog von Elvritshalla – und jetzt fang nicht an, dich zu verbeugen und mich mit Titeln zu belästigen. Sag mir nur, wo der Narr ist, und ich lasse dich weiterschlafen.«

Ohne ein weiteres Wort rutschte der Junge vom Strohsack, stand auf, zog die Decke herunter und warf sie sich um die Schultern. Darunter schaute der Saum seines Hemdes vor und schlotterte um die nackten Beine, als er über die ringsum schlummernden Männer hinwegstieg, von denen einige, in ihre Mäntel gehüllt, mitten auf dem Boden lagen, als hätten sie es nicht mehr ganz ins Bett geschafft. Isgrimnur ging mit der Lampe hinterher und stapfte vorsichtig über die dunklen Gestalten, als folgte er einer von Uduns Geisterjungfrauen durch ein Schlachtfeld voller Erschlagener.

Auf diese Art durchquerten sie zwei weitere Räume, der große Geist und der kleine, der größere trotz all seinen Umfangs genauso lautlos. Im letzten Zimmer funkelten noch ein paar trübe Kohlen im Kamin.

Auf den Ziegeln vor dem Rost, zusammengerollt in einem Nest aus Mänteln, einen Weinschlauch aus Schafleder noch fest in der hornigen alten Faust, lag schnarchend und vor sich hinmurmelnd Strupp der Narr.

»Aha«, knurrte Isgrimnur. »Nun, dann vielen Dank, Junge. Geh mit meinen Entschuldigungen zurück ins Bett – auch wenn ich glaube, daß du etwas geträumt hast, aus dem man nur allzugern aufwacht. Also los.«

Simon drehte sich um und bewegte sich an Isgrimnur vorbei zur Tür. Als er neben ihm war, stellte der Herzog mit leichtem Erstaunen fest, daß der Jüngling beinahe genauso groß war wie er – und Isgrimnur war kein kleiner Mann. Es waren die Schlankheit des Jungen und sein vorgebeugter Gang, die seine Größe nicht auffallen ließen.

Schade, daß ihm niemand beigebracht hat, sich gerade zu halten, dachte er. Und wahrscheinlich wird er es in der Küche, oder wo er sonst steckt, auch nie lernen.

Als der Junge verschwunden war, bückte sich Isgrimnur und schüttelte Strupp – zuerst sanft, dann immer kräftiger, da ihm klar wurde, daß der kleine Mann sturzbetrunken war; doch selbst das stärkste Rütteln erbrachte weiter nichts als schwache Protestlaute. Endlich verlor Isgrimnur die Geduld. Er griff nach unten, packte mit jeder Hand einen Knöchel des Älteren und hielt sie in die Luft, bis Strupp kopfüber baumelte und nur der Scheitel seines kahlen Kopfes noch den Boden berührte. Strupps Brummen verwandelte sich in ein gequältes Gurgeln und schließlich in gute, verständliche Westerlingworte.

»Was …? … Runter … laß mich … runter! Ädon verdamm dich…«

»Wenn du nicht bald aufwachst, alter Säufer, werde ich deinen Kopf auf den Fußboden hämmern, bis du in alle Ewigkeiten glaubst, daß Wein Gift ist!« Isgrimnur ließ dem Wort die Tat folgen, indem er die Knöchel des Narren noch ein paar Handbreit höher hob und dann den Kopf des Alten nicht allzu sanft auf den kalten Stein zurücksinken ließ.

»Laß ab! Dämon … ich ergebe mich! Dreh mich um, Mann, dreh mich um – ich bin doch nicht Usires, daß ich hier mit dem Kopf nach unten hänge … zur Belehrung der … Massen!«

Isgrimnur ließ ihn vorsichtig hinunter, bis Strupp der Länge nach auf dem Rücken lag.

»Besoffensein reicht, du brauchst nicht auch noch zu lästern, alter Narr«, grollte Isgrimnur und schaute zu, wie Strupp sich mühsam auf den Bauch rollte. Dabei übersah er einen schlanken Schatten, der sich hinter ihm gegen die Türöffnung preßte.

»O gnadenreicher Ädon«, stöhnte Strupp und richtete sich zu sitzender Stellung auf. »Mußtet Ihr meinen Kopf als Grabstock benutzen? Falls es ein Brunnen ist, den Ihr aufscharren wolltet, so hätte ich Euch sagen können, daß der Boden hier in den Dienstbotenquartieren zu steinig ist.«

»Genug, Strupp. Ich habe dich nicht zwei Stunden vor Sonnenuntergang aufgeweckt, um Witze auszutauschen. Josua ist fort.«

Strupp rieb sich den Scheitel und tastete mit der anderen Hand blind nach seinem Weinschlauch. »Fort wohin, Isgrimnur? Um Himmels willen, Mann, habt Ihr mir den Schädel gebrochen, weil Josua Euch irgendwo treffen wollte und nicht aufgetaucht ist? Ich hatte nichts damit zu tun, das verspreche ich Euch.« Er nahm einen langen Schluck aus dem Schlauch und schüttelte sich.

»Idiot«, sagte Isgrimnur, aber es klang nicht grob. »Ich meine, daß der Prinz fort ist. Nicht mehr auf dem Hochhorst.«

»Unmöglich«, versetzte Strupp energisch. Mit dem zweiten zittrigen Schluck Malvasier hatte er einen Teil seiner Selbstbeherrschung zurückgewonnen. »Er reist nicht vor nächster Woche ab, das hat er selbst erzählt. Er hat mir gesagt, ich könnte mitkommen, wenn ich wollte, und sein Hofnarr in Naglimund sein.« Strupp legte den Kopf schief und spuckte aus. »Ich habe ihm erklärt, daß ich ihm morgen – das heißt, inzwischen wohl heute – meine Antwort geben würde, denn Elias scheint es gleichgültig zu sein, ob ich bleibe oder gehe.« Er schüttelte den Kopf. »Und dabei war ich doch seines Vaters liebster Gefährte…«