Einen von den ›Weißfüchsen‹ hat mein Vater ihn genannt.
Isgrimnur fragte sich, ob die alten Geschichten vielleicht doch stimmten – sollte es wirklich Sithiblut in den adligen Familien von Hernystir geben?
Eolair strich sich im Weiterreden mit der Hand über die Stirn, wischte die winzigen Schweißtropfen ab, und die vorübergehende Ähnlichkeit war verschwunden. »Wir haben oft genug darüber gesprochen, um zu wissen, daß die ganze Sache entsetzlich schiefgegangen ist. Worüber wir jetzt reden müssen – und zwar ungestört und unbelauscht –«, er deutete mit der Hand auf den vollgestopften Archivraum, ein dunkles Nest aus Papier und Pergament, dem ein hohes, dreieckiges Fenster Helligkeit gab, »ist, was wir dagegen tun können. Wenn wir etwas tun können. Und genau das ist das Problem: Was kann man unternehmen?«
Isgrimnur war noch nicht bereit, so kühn über Dinge zu sprechen, die, was immer Eolair auch sagen mochte, schon jetzt den schwachen, Übelkeit erregenden Geruch von Verrat an sich trugen. »Es ist folgendermaßen«, begann er. »Ich wäre der letzte, der Elias die Schuld an diesem verdammten Wetter geben würde. Ich sollte es schließlich besser wissen, denn während es hier heiß wie Teufelsatem und knochentrocken ist, haben wir bei uns im Norden einen furchtbaren Winter; Schnee und Eis sind schlimmer denn je seit Menschengedenken. Also kann man dem König nicht das hiesige Wetter vorwerfen, genauso wenig wie es meine Schuld ist, daß in Rimmersgard die Dächer unter der weißen Last einstürzen und in den Stallungen das Vieh erfriert.« Er zupfte heftig, und eine weitere Flechte seines Bartes löste sich auf. Aus dem grauen Gestrüpp hing das Band schlaff herunter.
»Was man Elias allerdings vorwerfen muß, ist, daß er mich hier festhält, aber das ist eine andere Schnur und ein anderer Haken … Nein, das Schlimme ist, daß der Mann sich gar nichts aus allem zu machen scheint! Die Brunnen versiegen, die Höfe liegen brach, in den Feldern schlafen Verhungernde, und die Städte ersticken an der Pest – und Elias scheint das alles gar nicht zu kümmern. Steuern und Abgaben steigen, und den ganzen Tag sind diese verfluchten Arschlecker von Adelswelpen, die er seine Freunde nennt, um ihn herum, trinken, singen und raufen und … und…« Isgrimnur grunzte angewidert.
»Und die Turniere! Bei Uduns rotem Speer, in meiner Jugend war ich genauso wild auf ein Turnier wie alle anderen, aber unter dem Thron seines Vaters zerbröckelt das Erkynland zu Staub; die Länder unter dem Königsfrieden sind unruhig wie erschreckte Fohlen, und trotzdem nimmt das Turnieren kein Ende! Und dann diese Bootsfahrten auf dem Kynslagh! Und die Gaukler und die Akrobaten und die Bärenhatzen! Es ist so arg, wie es damals in den ärgsten Zeiten von Crexis dem Ziegenbock gewesen sein soll!« Jetzt selbst rot im Gesicht, ballte Isgrimnur die Fäuste und stierte zu Boden.
»In Hernystir« – Eolairs Stimme klang nach dem heiseren Ausbruch des Rimmersmanns sanft und melodisch –, »sagen wir: ›Ein Hirte, kein Schlächter‹, und wir meinen damit, daß ein König Land und Volk wie eine Herde hüten und ihnen nur das nehmen soll, was er unbedingt braucht, daß er sie aber nicht so ausbeuten darf, daß ihm zum Schluß nichts anderes übrigbleibt als sie aufzuessen.« Eolair sah hinauf zu dem kleinen Fenster und den Pergamentstaubkörnchen, die im schwachen Licht tanzten. »Das ist es nämlich, was Elias tut: Er ißt sein Land auf, einen Bissen nach dem anderen, so sicher wie einst der Riese Croich-ma-Feareg den Berg bei Crannhyr verschlang.«
»Und doch war Elias einmal ein guter Mann«, sagte Isgrimnur grübelnd, »viel umgänglicher als sein Bruder. Gewiß sind nicht alle Prinzen zum König geboren, aber mir scheint, daß hier mehr nicht stimmt, als daß nur einem Mann seine Macht nicht bekommt. Irgend etwas liegt verdammt im argen – und es sind nicht nur Fengbald und Breyugar und ihresgleichen, die ihn in den Abgrund führen.« Der Herzog war wieder zu Atem gekommen. »Wir wissen doch, daß es dieser bösartige Bastard Pryrates ist, der ihm die seltsamen Raupen in den Kopf setzt und ihn nachts mit Lichtern und unheiligem Lärm da oben im Turm wachhält, so daß man manchmal den Eindruck hat, daß der König nach Sonnenaufgang überhaupt nicht weiß, wo er ist. Was kann Elias von einem Kerl wie diesem Hurensohn von Priester nur wollen? Er ist der König der bekannten Welt – was könnte ihm Pryrates darüber hinaus bieten?«
Eolair, den Blick noch immer auf das Oberlicht geheftet, stand da und wischte sich mit dem Ärmel die Stirn. »Ich wünschte, ich wüßte es«, sagte er endlich. »Nun denn. Was also können wir tun?«
Isgrimnur kniff die alten, wilden Augen zusammen. »Was hat Escritor Velligis gesagt? Schließlich ist es ein Dom der Mutter Kirche, den man mit Sankt Sutrin beschlagnahmt hat. Es sind Herzog Leobardis' Nabbanai-Schiffe – neben denen Eures eigenen Königs Lluth –, die Guthwulf unter dem Vorwand der ›Pestgefahr‹ aus dem Reichshafen von Abaingeat gestohlen hat. Leobardis und Lektor Ranessin sind gute Freunde; sie herrschen über Nabban wie ein Monarch mit zwei Köpfen. Velligis muß doch irgend etwas zum Besten seines Gebieters vorbringen können.«
»Er hat viel vorzubringen, aber mit wenig Inhalt«, meinte Eolair und ließ sich wieder auf seinen Schemel fallen. Der helle Streifen Sonnenlicht war kleiner geworden, weil die sinkende Sonne den Durchlaß teilweise versperrte, und der kleine Raum lag in noch tieferem Schatten. »Velligis behauptet, er wisse nicht, was Herzog Leobardis von diesem Piratenstück – drei Kornschiffe, ganz unverhohlen aus einem Hernystirhafen geraubt – hält. Was seinen Meister angeht, ist er vage wie stets. Ich glaube, Seine Heiligkeit beabsichtigt, den Friedensstifter zwischen Elias und Herzog Leobardis zu spielen und dadurch zugleich die Stellung Eurer ädonitischen Kirche hier am Hof zu stärken. König Lluth, mein Herr, hat mich beauftragt, als nächstes nach Nabban zu reisen, und vielleicht werde ich dort die Wahrheit herausfinden. Ich fürchte aber, falls das wirklich sein Plan ist, irrt sich der Lektor: Denn wenn die Mißachtung, mit der der König und seine Ohrenbläser Velligis behandelt haben, überhaupt auf etwas hindeutet, dann darauf, daß der König sich unter dem breiten Schatten der Mutter Kirche noch unbehaglicher fühlt als sein Vater.«
»So viele Pläne!« stöhnte Isgrimnur. »So viele Intrigen … Mir wird ganz schwindlig. Ich bin kein Mann für so etwas. Gebt mir ein Schwert oder eine Axt und laßt mich Schläge austeilen!«
»Ist das der Grund dafür, daß Ihr Euch in Schränke zurückzieht?« lächelte Eolair und zauberte aus seinem Mantel einen Schlauch mit Sauerhonigmet. »Es sieht nicht so aus, als gäbe es hier jemanden zum Draufhauen. Ich finde, Ihr nehmt Euch auch in Eurem fortgerückten Alter als Intrigant recht gut aus, ehrwürdiger Herzog.«
Isgrimnur runzelte die Stirn und nahm den angebotenen Schlauch. Er ist selber ein geborener Intrigant, unser Eolair, dachte er. Ich sollte zumindest dankbar sein, daß ich jemanden habe, mit dem ich reden kann. Trotz seines ganzen Hernystiri-Geschwätzes über Dichtkunst, mit dem er die Ohren der Damen verstopft, ist er im Kern hart wie Schildstahl – ein guter Verbündeter in Zeiten des Verrats.
»Da ist noch etwas.« Isgrimnur gab Eolair den Schlauch zurück und wischte sich den Mund ab. Der Graf nahm einen tiefen Zug und nickte dann mit dem Kopf.
»Heraus damit. Ich bin ganz Ohr – wie ein Circoille-Hase.«
»Der Tote, den der alte Morgenes im Kynswald fand«, erklärte Isgrimnur, »von einem Pfeil erschossen« – Eolair nickte wieder –, »war einer von meinen Männern: Bindesekk, aber als sie ihn endlich entdeckten, hätte ich ihn nicht wiedererkannt, wenn er nicht einen Knochenbruch im Gesicht gehabt hätte, den er sich vor langer Zeit in meinem Dienst zugezogen hatte. Natürlich habe ich nichts gesagt.«
»Einer von Euren Männern?« Eolair hob eine Braue. »Und was wollte er? Wißt Ihr es?«