Выбрать главу

»Ich weiß nicht, warum es Euch leid tut, Doktor«, meinte er und versuchte, seine Stimme nicht zittern zu lassen. »Mir tut es leid … weil ich mich wie ein Kind benommen habe.« Er stand auf, und die Blicke des kleinen Mannes folgten ihm, als er den Raum durchquerte und an den langen Tisch trat. Dort blieb er stehen und fuhr mit dem Finger über das Durcheinander offener Bücher. »Ich habe Euch belogen und mich selbst zum Narren gemacht«, sagte er, sah dabei aber nicht auf. »Bitte vergebt die Torheit eines Küchenjungen, Doktor, eines Küchenjungen, der glaubte, er könnte mehr sein.«

Im Schweigen, das diesen tapferen Worten folgte, hörte Simon, wie Morgenes einen wunderlichen Laut von sich gab – weinte er etwa? Aber gleich darauf zeigte es sich nur zu deutlich: Morgenes gluckste vor sich hin – nein, er lachte und versuchte, es hinter seinem wallenden Ärmel zu ersticken.

Simon schoß mit glühroten Ohren herum. Sekundenlang fing Morgenes seinen Blick auf, dann sah er zur Seite. Seine Schultern zuckten.

»Ach, Junge … ach, Junge«, schnaufte er endlich und streckte dem empörten Simon eine beruhigende Hand entgegen, »lauf nicht weg! Ärgere dich nicht. Du wärst verschwendet auf dem Schlachtfeld! Ein großer Herr solltest du sein und deine Siege am Verhandlungstisch erzielen, weil die bei weitem wichtiger sind als Siege auf dem Schlachtfeld; oder ein Escritor der Kirche, der den Reichen und Lasterhaften ihre unsterblichen Seelen abschmeichelt.« Wieder kicherte Morgenes und kaute dann auf seinem Bart herum, bis der Anfall vorüber war.

Simon stand da wie aus Stein, mit finsterem Gesicht, und wußte nicht, ob man ihm ein Kompliment machte oder ihn beleidigte. Nach und nach gewann der Doktor die Beherrschung zurück, sprang auf und trat zum Bierfaß. Ein tiefer Zug beschloß den Vorgang der Beruhigung, dann wandte sich Morgenes wieder dem Jungen zu und lächelte.

»Ach, Simon, Gott segne dich! Laß dich vom Scheppern und Prahlen von König Elias' Kumpanen und Banditen nicht so beeindrucken. Du hast einen scharfen Verstand – nun ja, wenigstens manchmal – und Gaben, von denen du selbst noch nichts weißt. Lern von mir, was du kannst, junger Falke, von mir und von den anderen, die du findest, die dich auch etwas lehren können. Wer weiß, wie dein Schicksal noch aussehen wird? Es gibt viele Arten von Ruhm.« Er kippte das Faß und nahm einen weiteren schaumigen Schluck.

Simon musterte Morgenes sekundenlang sorgfältig, um sicherzugehen, daß diese letzten Worte nicht schon wieder eine Neckerei darstellten, und gestattete sich dann endlich ein schüchternes Grinsen. Er hörte es gern, wenn man ihn »junger Falke« nannte.

»Also gut. Und es tut mir wirklich leid, daß ich Euch belogen habe. Aber wenn ich einen scharfen Verstand habe, warum zeigt Ihr mir dann nie etwas Wichtiges?«

»Zum Beispiel?« erkundigte sich Morgenes, und sein Lächeln schwand.

»Ach, ich weiß nicht. Magie oder so etwas.«

»Magie!« zischte Morgenes. »Ist das alles, was du im Kopf hast, Junge? Hältst du mich für irgendeinen Wanderzauberer, einen billigen Hofbeschwörer, der dir irgendwelche Tricks vorführt?« Simon sagte nichts. »Ich bin immer noch wütend auf dich, weil du mich angeschwindelt hast«, ergänzte der Doktor. »Wieso sollte ich dich belohnen?«

»Ich verrichte jede Arbeit, die Ihr wünscht, zu jeder Stunde«, erklärte Simon. »Ich wasche sogar die Decke ab.«

»Komm, komm«, versetzte Morgenes, »ich lasse mich nicht erpressen. Und ich sage dir noch etwas, Junge: Gib diese schreckliche Vernarrtheit in die Magie auf, und ich werde dir einen ganzen Monat lang alle anderen Fragen beantworten, ohne daß du eine einzige aufschreiben mußt! Was hältst du davon, he?«

Simon machte schmale Augen, sagte aber nichts.

»Das reicht nicht?! Nun gut, ich erlaube dir, mein Manuskript über das Leben von Johan dem Priester zu lesen«, bot der Doktor an. »Ich erinnere mich, daß du mich ein paarmal danach gefragt hast.«

Simon kniff die Augen noch enger zusammen. »Wenn Ihr mich Magie lehrt«, machte er sein Gegenangebot, »bringe ich euch jede Woche eine von Judiths Pasteten und ein Faß Stanshire-Dunkelbier aus der Vorratskammer.«

»Aha!« bellte Morgenes triumphierend. »Siehst du! Siehst du, Junge? Du glaubst so fest daran, daß dir magische Kunststücke Macht und Glück bringen könnten, daß du sogar bereit bist zu stehlen, nur um mich zu bestechen, damit ich dich unterrichte! Nein, Simon, in dieser Sache gibt es kein Handeln.«

Simon war schon wieder zornig, aber er holte tief Luft und zwickte sich in den Arm.

»Warum seid Ihr so strikt dagegen, Doktor?« fragte er schließlich, als er sich etwas beruhigt hatte. »Weil ich ein Küchenjunge bin?«

Morgenes lächelte. »Auch wenn du noch in der Spülküche arbeitest, Simon, bist du trotzdem kein Küchenjunge mehr. Du bist mein Lehrling. Nein, es fehlt dir an nichts – außer an Alter und Reife. Du begreifst einfach noch nicht, worum du bittest.«

Simon ließ sich auf einen Schemel fallen. »Ich verstehe es nicht«, murmelte er.

»Genau.« Morgenes kippte einen weiteren Schluck Bier. »Was du ›Magie‹ nennst, ist in Wirklichkeit nur das Zusammenwirken natürlicher Gegebenheiten, elementarer Kräfte, ganz ähnlich wie Feuer und Wind. Sie gehorchen Naturgesetzen – aber diese Gesetze sind sehr schwer zu lernen und zu begreifen. Manche wird man vielleicht nie verstehen.«

»Aber warum lehrt Ihr mich diese Gesetze nicht?«

»Weil ich auch einem Kleinkind, das auf einem Strohhaufen sitzt, keine brennende Fackel in die Hand geben würde. Das Kleinkind, und das soll keine Kränkung sein, Simon, ist auf diese Verantwortung nicht vorbereitet. Nur wer viele Jahre andere Dinge und Wissensgebiete studiert hat, kann anfangen, die Kunst zu meistern, die einen solchen Reiz auf dich ausübt. Aber selbst dann ist man nicht unbedingt dafür geeignet, mit ihrer Macht umzugehen.« Wieder trank der Alte, wischte sich den Mund ab und lächelte. »Die meisten von uns sind erst dann imstande, von der Kunst Gebrauch zu machen, wenn sie alt genug sind, es besser zu wissen. Für die Jungen ist es zu gefährlich, Simon.«

»Aber…«

»Wenn du jetzt sagst, ›aber Pryrates‹, gebe ich dir einen Tritt«, erklärte Morgenes. »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß er ein Wahnsinniger ist – oder doch beinahe. Er sieht nur die Macht, die man mit Hilfe der Kunst gewinnen kann, und achtet nicht auf die Folgen. Frag mich nach den Folgen, Simon.«

Stumpfsinnig erkundigte sich Simon: »Und was ist mit den Fol–«

»Man kann keine Kraft in Gang setzen, ohne dafür zu bezahlen, Simon. Wenn du eine Pastete stiehlst, geht jemand anderes leer aus. Wenn du ein Pferd zu schnell reitest, stirbt das Tier. Wenn du die Kunst dazu verwendest, Türen zu öffnen, hast du in der Auswahl deiner Hausgäste wenig Freiheit.«

Enttäuscht sah Simon sich in dem staubigen Zimmer um. »Warum habt Ihr diese Zeichen über Eure Tür gemalt, Doktor?« fragte er nach einer Weile.

»Damit die Hausgäste eines anderen nicht zu mir kommen.« Morgenes bückte sich, um den Humpen abzustellen. Dabei glitt etwas Goldenes und Glänzendes aus dem Kragen seines grauen Gewandes und fiel nach unten, wo es – an einer Kette pendelnd – baumelte. Der Doktor schien es nicht zu bemerken. »Ich sollte dich jetzt zurückschicken. Aber erinnere dich an diese Lektion, Simon, eine Lektion für Könige … oder ihre Söhne. Nichts ist umsonst! Jede Macht hat ihren Preis, und nicht immer erkennt man ihn sofort. Versprich mir, daß du das nicht vergißt.«

»Ich verspreche es, Doktor.« Simon, der die Wirkung des Weinens und Geschreis von vorhin zu fühlen begann, war es schwindlig wie nach einem Wettlauf. »Was ist das?« fragte er und beugte sich vor, um den goldenen, hin- und herpendelnden Gegenstand zu betrachten. Morgenes legte ihn auf seine Handfläche und ließ Simon einen kurzen Blick darauf tun.