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Elias starrte Eolair, als dieser ausgeredet hatte, wortlos an. Isgrimnur konnte nicht umhin zu bemerken, wie blaß der König aussah. Es erinnerte ihn an die Zeit auf den Südlichen Inseln, als er Elias' Vater Johan während eines Fieberanfalls gepflegt hatte.

Dieses helle Auge, dachte er, diese Raubvogelnase. Seltsam, wie diese kleinen Dinge, dieser kurze Gesichtsausdruck, diese Erinnerungen sich von Generation zu Generation vererben, lange nachdem der einzelne Mensch und sein Werk vergangen sind.

Isgrimnur dachte an Miriamel, Elias' hübsches, melancholisches Kind. Er fragte sich, welche Erblast von ihrem Vater sie wohl mit sich schleppte und welche so ganz anderen Abbilder ihrer schönen, vom Unglück verfolgten Mutter, die nun schon zehn Jahre tot war – oder waren es zwölf?

Gegenüber am Tisch schüttelte Elias langsam den Kopf, als erwache er aus einem Traum oder versuche, die Weindünste aus seinem Hirn zu vertreiben. Isgrimnur sah, wie Pryrates, der links neben dem König saß, schnell seine Hand aus Elias' Ärmel zurückzog. Es war etwas Widerwärtiges an dem Priester, dachte Isgrimnur nicht zum ersten Mal, etwas, das viel tiefer reichte als nur seine Haarlosigkeit und die schnarrende Stimme.

»Nun, Graf Eolair«, erklärte der König, und ein flüchtiges Lächeln kräuselte sekundenlang seine Lippen, »wenn wir schon von ›Verpflichtungen‹ und solchen Dingen reden, was hat Euer Verwandter König Lluth zu der Botschaft zu sagen, die ich ihm sandte?« Er lehnte sich mit augenscheinlichem Interesse nach vorn, die kraftvollen Hände auf dem Tisch gefaltet.

Eolair, der seine Worte sorgsam wählte, antwortete in gemessenem Ton: »Wie stets, Herr, sendet er dem edlen Erkynland seinen Respekt und seine Grüße. Er meint jedoch, daß er, was die Steuern anbetrifft…«

»Den Tribut!« schnaubte Guthwulf, der sich mit einem schmalen Dolch die Fingernägel reinigte.

»… was die Steuern anbetrifft, im Augenblick außerstande ist, größere Zahlungen zu leisten«, schloß Eolair, ohne die Unterbrechung zu beachten.

»In der Tat?« fragte Elias und lächelte wieder.

»Eigentlich, Herr«, Eolair deutete das Lächeln absichtlich falsch, »hat er mich zu Euch geschickt, um Eure königliche Hilfe zu erbitten. Ihr wißt, welche Schäden die Dürre verursacht hat, dazu die Pest. Die Erkyngarde sollte mit uns zusammenarbeiten, um die Handelswege offenzuhalten.«

»So, soll sie das?« König Elias' Augen glitzerten, und unter den starken Sehnen seines Halses fing ein winziger Puls zu klopfen an. »Jetzt heißt es schon ›sollen‹, wie?« Er beugte sich noch weiter vor und schüttelte Pryrates' Hand ab, die ihn schlangengeschwind daran hindern wollte. »Und wer seid Ihr«, grollte er, »der kaum entwöhnte Stiefvetter eines Schafhirtenkönigs, der überhaupt nur ein König ist, weil mein Vater so willensschwach und nachgiebig war – wer seid Ihr, daß Ihr zu mir von ›sollen‹ sprecht?«

»Herr!« rief der alte Fluiren von Nabban entsetzt und rang die altersfleckigen Hände – mächtige Pranken einst, jetzt krumm und knotig wie Falkenklauen. »Herr!« keuchte er, »Euer Zorn ist königlich, aber Hernystir ist ein verläßlicher Verbündeter unter dem Königsfrieden Eures Vaters – ganz zu schweigen davon, daß das Land die Geburtsstätte Eurer eigenen frommen Mutter war, möge ihre Seele in Frieden ruhen! Bitte, Majestät, sprecht nicht so von Lluth!«

Elias richtete seine Smaragdaugen auf Fluiren und schien im Begriff, seinen Zorn auf diesen altersschwach gewordenen Helden zu lenken, als Pryrates erneut am dunklen Ärmel des Königs zupfte und sich nah an ihn heranneigte, um ihm einige Worte ins Ohr zu flüstern. Die Miene des Königs wurde sanfter, aber die Linie seines Kinns behielt die Spannung einer Bogensehne. Sogar die Luft über der Tafel schien sich zusammenzuziehen, ein knirschendes Netz aus schrecklichen Möglichkeiten.

»Verzeiht mir das Unverzeihliche, Graf Eolair«, sagte Elias endlich, und ein sonderbar törichtes Grinsen zog seine Mundwinkel auseinander. »Vergebt mir meine harten, grundlosen Worte. Es ist weniger als einen Monat her, daß der Regen begann, und der Zwölfmond davor war für uns alle schwierig.«

Eolair nickte, Unbehagen in den klugen Augen. »Natürlich, Hoheit. Ich verzeihe gern. Bitte schenkt auch Ihr mir Eure Vergebung, wenn ich Euch herausgefordert haben sollte.« Auf der anderen Seite der ovalen Tafel faltete Fluiren mit befriedigtem Nicken die fleckigen Hände.

Jetzt erhob sich auch Isgrimnur, schwerfällig wie ein brauner Bär, der auf eine Eisscholle klettert. »Auch ich, Majestät, will versuchen, in sanftem Ton zu reden, obgleich Ihr alle wißt, daß das ganz und gar gegen meine Soldatennatur geht.«

Elias behielt die vergnügte Grimasse bei. »Vorzüglich, Onkel Bärenhaut – wir wollen uns alle miteinander in Vornehmheit üben. Was wollt Ihr von Eurem König?«

Der Herzog von Elvritshalla holte tief Atem und zerwühlte sich mit unruhigen Fingern den Bart. »Mein und Eolairs Volk sind in großer Not, Herr. Zum ersten Mal seit den frühesten Tagen der Herrschaft von Johan Presbyter ist die Frostmarkstraße wieder unpassierbar geworden – Schneestürme im Norden, Straßenräuber weiter südlich. Mit der königlichen Nordstraße am Wjeldhelm vorbei steht es nicht viel besser. Wir brauchen diese Straßen, und sie müssen offen sein und offengehalten werden.« Isgrimnur wandte sich ab und spuckte auf den Boden. Fluiren zuckte zusammen. »Wie mein Sohn Isorn in seinem letzten Brief schreibt, leiden viele Stammesdörfer unter Nahrungsmangel. Wir können keinen Handel mit unseren Waren treiben und die Verbindung zu entfernter wohnenden Stämmen nicht aufrechterhalten.«

Guthwulf, der an der Tischkante herumschnitzte, gähnte auffällig. Heahferth und Godwig, zwei jüngere Edelleute, die ihre grünen Schärpen betont zur Schau stellten, kicherten leise.

»Gewiß, Herzog«, näselte Guthwulf und schmiegte sich an seine Stuhllehne wie eine sonnenwarme Katze, »macht Ihr das alles nicht uns zum Vorwurf. Verfügt denn unser Herr, der König, über die Kräfte des allmächtigen Gottes, daß er den Schnee und die Stürme mit einer Handbewegung zum Stillstand bringen kann?«

»Ich habe ihn nicht dazu aufgefordert!« knurrte Isgrimnur.

»Vielleicht«, bemerkte Pryrates vom oberen Ende der Tafel, und sein breites Lächeln wirkte merkwürdig anstößig, »lastet Ihr dem König auch das Verschwinden seines Bruders an, wie wir gerüchtweise vernommen haben?«

»Niemals!« Isgrimnur war aufrichtig empört. Die Augen des neben ihm sitzenden Eolair wurden schmal, als habe er etwas Unerwartetes gesehen, »Niemals!« wiederholte der Herzog und sah Elias hilflos an.

»Nun, Männer, ich weiß, daß Isgrimnur so etwas nie denken würde«, erklärte der König mit müder Gebärde. »Der alte Onkel Bärenhaut hat uns beide auf den Knien geschaukelt, Josua und mich. Ich hoffe natürlich, daß meinem Bruder nichts Übles zugestoßen ist – die Tatsache, daß er Naglimund nach so langer Zeit immer noch nicht erreicht hat, scheint besorgniserregend –, aber wenn daran irgend etwas Unrechtes sein sollte, dann ist es nicht mein Gewissen, das besänftigt werden muß.« Doch als er zu sprechen aufhörte, wirkte Elias einen Augenblick unruhig und starrte ins Leere, als streife ihn eine verwirrende Erinnerung.

»Laßt mich wieder zur Sache kommen, Herr«, setzte Isgrimnur seine Rede fort. »Die Straßen im Norden sind nicht mehr sicher, und daran ist nicht allein das Wetter schuld. Meine Männer sind zu weit verstreut. Wir brauchen Unterstützung – starke Männer, die der Frostmark wieder Sicherheit geben. Das Markland wimmelt von Räubern und Gesetzlosen und … und noch Schlimmerem, wie es bei manchen heißt.«

Pryrates beugte sich gespannt vor, das Kinn auf die langfingrigen Hände gestützt wie ein Kind, das durchs Fenster dem Regen zuschaut. In seinen tiefliegenden Augen spiegelte sich der Fackelschein. »Was meint Ihr mit ›noch Schlimmerem‹, edler Isgrimnur?«