Mit zittrigen Händen schob Johan der Priester das Schwert in die geprägte Scheide zurück und bemühte sich einen Augenblick vergeblich, das Wehrgehenk abzuschnallen, an dem sie befestigt war. Die Verschnürung hatte sich verhakt, und der Narr hob sich auf die Knie, um mit kräftigen alten Fingern an dem Knoten zu arbeiten.
»Wie lautet der Segen, Herr?« fragte er, die Zunge zwischen den Zähnen, während er an dem Knotengewirr herumzupfte.
»Sag ihm das, was ich dir gesagt habe. Erzähl ihm, daß das Schwert die Spitze seines Herzens und seiner Hand ist, so wie wir die Werkzeuge von Herz und Hand Gottvaters sind … und sag ihm, daß kein Preis, und sei er noch so edel, es wert ist … es wert ist…« Der König zögerte und führte die bebenden Finger an die Augen. »Nein, achte nicht darauf. Sprich nur von dem, was ich dir über das Schwert erzählt habe. Das genügt.«
»Ich werde es tun, mein Gebieter«, erwiderte Strupp. Er runzelte die Stirn, obwohl er den Knoten gelöst hatte. »Ich werde Euren Wunsch mit Freuden erfüllen.«
»Gut.« Johan der Priester lehnte sich wieder in seinen Drachenbeinthron zurück und schloß die Augen. »Sing mir noch etwas, alter Freund.«
Und Strupp sang. Die verstaubten Banner über ihnen schienen ganz leise zu schwanken, als wandere ein Flüstern durch die zuschauende Menge, durch die uralten Reiher und trübäugigen Bären und die anderen, die noch fremdartiger waren.
II
Eine Zwei-Frosch-Geschichte
Müßiggang ist aller Laster Anfang. Über diesen Spruch, eine von Rachels Lieblingsweisheiten, dachte Simon mißmutig nach, als er auf das Sortiment von Pferdepanzerteilen starrte, die jetzt über die ganze Länge der Wandelhalle des Burgpfarrers verstreut lagen. Nur einen Augenblick vorher war er noch vergnügt den langen, mit Steinplatten gefliesten Gang hinuntergehüpft, der an der äußeren Längswand der Kapelle entlangführte, auf dem Weg zu Doktor Morgenes' Wohnung, die er ausfegen sollte. Natürlich hatte er ein bißchen mit dem Besen herumgefuchtelt und sich vorgestellt, es wäre die Baum-und-Drachen-Fahne der Erkyngarde von Johan Presbyter, die er, Simon, gerade in die Schlacht führte. Vielleicht hätte er besser aufpassen müssen, wo er mit dem Besen herumwedelte – aber welcher Trottel hängte auch eine Pferderüstung in die Wandelhalle des Pfarrers? Unnötig zu erwähnen, daß das Scheppern gewaltig gewesen war und Simon jede Sekunde damit rechnete, daß der dürre, rachsüchtige Vater Dreosan herunterkommen würde.
Hastig machte sich Simon daran, die schmuddligen Panzerplatten aufzusammeln, von denen einige aus den Lederriemen gerissen waren, welche die Rüstung zusammenhielten. Dabei dachte er über einen anderen von Rachels Grundsätzen nach: Für leere Hände findet der Teufel schon eine Arbeit. Das war natürlich töricht und erbitterte ihn. Schließlich waren es nicht die Leere seiner Hände oder die Müßigkeit seiner Gedanken, die ihn in Schwierigkeiten geraten ließen. Nein, es waren vielmehr sein Tun und Denken, die ihm immer wieder ein Bein stellten. Wenn sie ihn nur in Ruhe lassen wollten!
Vater Dreosan war immer noch nicht aufgetaucht, als Simon endlich alle Teile der Rüstung auf einen wackligen Haufen geschichtet und diesen dann eilig unter den Rock eines Tischbehangs geschoben hatte. Dabei hätte er fast noch den auf dem Tisch stehenden goldenen Reliquienbehälter umgeworfen. Aber endlich war, ohne weiteres Mißgeschick, die verräterische Rüstung außer Sicht, und nur ein geringfügig sauberer aussehender Fleck an der Wand deutete noch darauf hin, daß es überhaupt jemals eine solche Rüstung gegeben hatte. Simon ergriff seinen Besen und schabte damit eifrig über den rußigen Stein, um die Ränder zu verwischen, damit der helle Fleck nicht so auffiel. Dann rannte er weiter den Gang hinunter und an der Wendeltreppe zur Chorempore hinaus ins Freie.
Als er von neuem den Heckengarten erreichte, aus dem ihn der Drache gerade so grausam entführt hatte, hielt Simon einen Augenblick inne, um den stechenden Geruch von grünem Laub einzuatmen und so die letzten Reste des Talgseifengestanks aus seiner Nase zu vertreiben. Ein ungewöhnliches Gebilde in den oberen Zweigen der Festeiche zog seinen Blick auf sich. Der Baum am entfernten Ende des Gartens war uralt, knorrig und hatte derart ineinander gewachsene Äste, daß er aussah, als wäre er jahrhundertelang unter einem riesigen Scheffelkorb weitergewachsen. Simon kniff die Augen zusammen und hob die Hand gegen das schräg einfallende Sonnenlicht. Ein Vogelnest! Und so spät im Jahr!
Es war knapp. Schon hatte er den Besen fallengelassen und war mehrere Schritte in den Garten hineingelaufen, als ihm einfiel, daß er ja mit einem Auftrag zu Morgenes geschickt worden war. Keine andere Aufgabe hätte Simon daran gehindert, in einer Sekunde auf dem Baum zu sein, aber ein Besuch beim Doktor war eine besondere Vergünstigung, selbst wenn er mit Arbeit verbunden war. Simon versprach sich, daß das Nest nicht lange unerforscht bleiben würde, und setzte seinen Weg fort, zwischen den Hecken hindurch und in den Hof vor dem Inneren Zwingertor.
Zwei Gestalten hatten soeben das Tor durchschritten und kamen auf ihn zu; die eine langsam und kurzbeinig, die andere noch langsamer und noch kurzbeiniger. Es waren Jakob der Wachszieher und sein Gehilfe Jeremias. Letzterer trug einen großen, schweraussehenden Sack über der Schulter und bewegte sich, soweit das überhaupt möglich war, noch träger als sonst. Simon rief ihnen im Vorbeilaufen einen Gruß zu. Jakob lächelte und winkte.
»Rachel will neue Kerzen für den Speisesaal«, rief der Wachszieher, »also bekommt sie Kerzen!« Jeremias machte eine saure Miene.
Ein kurzer Trab den grasigen Abhang hinunter brachte Simon an das massive Torhaus. Über den Zinnen hinter ihm schwelte noch ein Splitter Nachmittagssonne, und die Schatten der Wimpel auf der Westmauer huschten wie dunkle Fische über das Gras. Der rotweiß uniformierte Wächter, kaum älter als Simon, lächelte, als der Meisterspion vorüberjagte, in der Hand den tödlichen Besen, das Haupt gesenkt für den Fall, daß die Tyrannin Rachel zufällig aus einem der hohen Turmfenster blicken sollte.
Sobald Simon unter dem Fallgitter durch und im Schatten der hohen Tormauer allen Blicken entzogen war, verlangsamte er seinen Schritt wieder. Der unbestimmte Schatten des Grünengel-Turms überbrückte den Burggraben; die verzerrte Silhouette des Engels, der auf seiner Turmspitze triumphierte, lag am äußersten Rand des Wassers in einer Lache aus Feuer.
Wenn er schon hier war, entschied Simon, konnte er genausogut ein paar Frösche fangen. Es würde nicht allzu lange dauern, und der Doktor konnte sie meist gut gebrauchen. Es würde nicht einmal bedeuten, daß er seinen Auftrag hinausschob, sondern war vielmehr eine Erweiterung seines Dienstes. Allerdings würde er sich beeilen müssen, es wurde schon bald Abend. Simon konnte bereits hören, wie sich die Grillen mühsam auf eine der letzten Vorstellungen des schwindenden Jahres einstimmten und die Ochsenfrösche mit ihrem unterdrückten, dumpf dröhnenden Kontrapunkt einsetzten.
Der Junge stieg in das lilienbedeckte Wasser, hielt sekundenlang lauschend inne und sah zu, wie sich der östliche Himmel zu mattem Violett verdunkelte. Neben Doktor Morgenes' Wohnung war der Burggraben sein liebster Ort in der ganzen Schöpfung … jedenfalls von dem, was er bisher davon gesehen hatte. Mit einem unbewußten Seufzer zog er den formlosen Stoffhut vom Kopf und watete an die Stelle, wo Teichgras und Hyazinthen am dichtesten standen.
Als Simon endlich am Mittleren Zwinger ankam, war die Sonne bereits untergegangen, und der Wind pfiff durch die Katzenschwänze, die um den Burggraben herumwuchsen. Mit triefenden Kleidern, in jeder Tasche einen Frosch, stand der Junge vor Morgenes' Tür. Er klopfte an die dicke Täfelung und achtete dabei sorgfältig darauf, das fremdartige Symbol nicht zu berühren, das mit Kreide auf das Holz gemalt war. Durch harte Erfahrung hatte er gelernt, nichts, was dem Doktor gehörte, ungefragt anzufassen. Eine kleine Weile verging, bevor Morgenes' Stimme sich hören ließ.