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Aber plötzlich hatte er sich dieser Fürsorglichkeit und Zartheit unwürdig gefunden und war die Galerietreppe hinuntergerannt – er war zu ungeschickt, zu töricht. Vielleicht würde er mit seinen aufgesprungenen Küchenjungenhänden die schöne Musik zu grob anfassen, wie ein Kind, das ahnungslos einen Schmetterling zerdrückt.

Jetzt, oben auf dem Heuboden, begann sein Herz langsamer zu schlagen. Simon vergrub sich tief im muffigen, flüsternden Stroh und horchte mit geschlossenen Augen auf das sanfte Schnauben der Pferde in ihren Boxen. Er glaubte, die fast unfühlbare Berührung der Staubkörnchen zu spüren, die in der stillen, schläfrigen Dunkelheit auf sein Gesicht herabrieselten.

Vielleicht war er eingeschlummert – er wußte es nicht genau –, aber das nächste, was er bemerkte, war der plötzliche, scharfe Ton von Stimmen unter ihm. Simon rollte sich zur Seite und schwamm durch das kitzelnde Stroh bis zum Rand des Speichers, um nach unten in den Stall zu blicken.

Sie waren zu dritt: Shem Pferdeknecht, Ruben der Bär und ein kleiner Mann, der Strupp der Narr sein konnte – Simon konnte es nicht mit Sicherheit feststellen, weil er kein Narrengewand trug und einen Hut aufhatte, der den größten Teil seines Gesichts verdeckte. Sie waren alle drei durch die Stalltür gekommen wie ein Trio lustiger Hanswurste; der Schmied schwang in der Faust – breit wie die Keule eines Frühjahrslamms – einen Krug. Sie waren betrunken wie die Vögel im Beerenbusch, und Strupp – wenn er es war – sang ein altes Lied:

Hans, nimm eine Maid zum frohen Berg hinauf und sing vergnügt hei-ho: Halbkronentag…

Ruben reichte dem kleinen Mann den Krug. Das Gewicht ließ den anderen mitten im Refrain hintenüberkippen, so daß er einen Schritt zurückstolperte und dann rücklings niederstürzte. Sein Hut flog davon – ja, es war wirklich Strupp. Simon konnte jetzt das runzlige Gesicht mit dem gespitzten Mund sehen, das sich an den Augen zusammenzuziehen begann, als wolle Strupp losplärren wie ein Säugling. Statt dessen fing er an, hilflos zu lachen, an die Wand gelehnt, den Krug zwischen den Knien. Seine beiden Gefährten schwankten unsicher zu ihm hinüber und hockten sich daneben. Alle in einer Reihe, so saßen sie da wie Elstern auf einem Zaun.

Simon überlegte, ob er sich bemerkbar machen sollte; er kannte Strupp nur flüchtig, hatte sich aber mit Shem und Ruben immer gut vertragen. Nach kurzem Nachdenken beschloß er, es nicht zu tun. Es bereitete mehr Spaß, sie heimlich zu beobachten – vielleicht fiel ihm ein Streich ein, den er ihnen spielen konnte. Und so machte er es sich bequem, versteckt und still hoch oben auf dem Speicher.

»Bei Sankt Muirfath und dem Erzengel«, sagte Strupp, als ein paar triefend nasse Augenblicke verstrichen waren, »das habe ich nötig gehabt!« Er strich mit dem Zeigefinger über den Rand des Kruges und steckte dann den Finger in den Mund.

Shem Pferdeknecht griff über den breiten Bauch des Schmiedes zu ihm hinüber und nahm den Krug an sich. Er tat einen Zug und wischte sich mit ledrigem Handrücken die Lippen.

»Und wo willst du nun hin?« fragte er den Narren.

Strupp stieß einen Seufzer aus. Jäh schien alles Leben aus der kleinen Zechrunde gewichen zu sein. Bedrückt starrten die drei zu Boden.

»Ich habe ein paar Verwandte – entfernte Verwandte – in Grenefod an der Flußmündung. Vielleicht gehe ich dorthin, obwohl sie kaum glücklich sein werden, einen weiteren Schnabel füttern zu müssen. Vielleicht reise ich aber auch nordwärts nach Naglimund.«

»Aber Josua ist weg«, meinte Ruben und rülpste.

»Aye, auf und davon«, bekräftigte Shem.

Strupp schloß die Augen und stieß mit dem Hinterkopf gegen das rohe Holz der Pferdestalltür. »Aber noch halten Josuas Leute Naglimund und werden einen Mann, den Elias' rohe Gesellen aus seiner Heimat vertrieben haben, freundlich aufnehmen – und jetzt wohl noch freundlicher, nachdem die Leute sagen, daß Elias seinen Bruder ermorden ließ.«

»Aber manche sagen auch, daß Josua ein Verräter geworden ist«, warf Shem ein und rieb sich schläfrig das Kinn.

»Pah!« Der kleine Narr spuckte aus. Auch Simon oben auf dem Boden empfand die Wärme des Frühlingsnachmittags, sein einschläferndes, lastendes Gewicht. Es verlieh dem Gespräch dort unten etwas Beiläufiges, Fernes – Mord und Verrat hörten sich an wie Namen von Orten, die weit weg lagen.

In der langen Pause, die sich anschloß, fühlte Simon seine Augenlider unerbittlich abwärtsschleichen.

»Vielleicht wär's doch nicht so recht klug, Bruder Strupp…« – das war der alte Shem, hager und ausgedörrt wie etwas, das man in die Räucherkammer gehängt hat –, »… den König herauszufordern. Warum mußtest du auch so ein aufreizendes Lied singen?«

»Ha!« Strupp kratzte sich eifrig an der Nase. »Meine westlichen Ahnen, das waren echte Barden, nicht solche hinkenden alten Purzelbaumschläger wie ich. Die hätten ihm ein Lied vorgesungen, daß sich seine Ohren gesträubt hätten! Der Dichter Eoin-ec-Cluias soll einmal ein Zorneslied verfaßt haben, das war so mächtig, daß alle goldenen Bienen aus dem Grianspog sich auf Häuptling Gormbhata niederließen und ihn zu Tode stachen … das nenne ich ein Lied!« Wieder lehnte der Narr den Kopf an die Stallwand. »Der König? Bei Gottes Zähnen, ich ertrage es nicht, ihm auch nur diesen Namen zu geben. Ich war von klein auf bei seinem seligen Vater – das war ein König, den man mit Recht so nennen konnte! Der hier ist nicht besser als ein Räuber … nicht halb der Mann, der sein … Vater Johan war…«

Strupps Stimme schwankte schläfrig. Shem Pferdeknecht sank langsam der Kopf auf die Brust. Rubens Augen waren offen, aber es schien, als blicke er in die dunkelsten Lücken zwischen den Dachbalken. Neben ihm regte sich Strupp noch einmal.

»Hab ich euch das erzählt?« fragte der Alte unvermittelt, »hab ich euch vom Schwert des Königs erzählt? König Johans Schwert – Hellnagel? Mir hat er es gegeben, wißt ihr, und hat gesagt: ›Nur du, Strupp, kannst es meinem Sohn Elias weiterreichen! Nur du!‹« Auf der gefurchten Wange des Narren glänzte eine Träne. »›Führe meinen Sohn in den Thronsaal und gib ihm Hellnagel‹, sagte er zu mir, und das tat ich auch. Ich brachte es ihm in der Nacht, als sein lieber Vater gestorben war … legte es in seine Hand, so wie sein Vater es mir gesagt hatte … und er ließ es fallen! Ließ es fallen!« Strupps Stimme hob sich zornig. »Das Schwert, das sein Vater in mehr Schlachten getragen hat, als eine Bracke Flöhe hat! Ich konnte es kaum fassen … dieses Ungeschick, diese … Unverfrorenheit! Hört ihr mir zu, Shem – Ruben?« Der Schmied neben ihm grunzte.

»Psst! Ich war natürlich ganz entsetzt. Ich hob es auf und wischte es mit den leinenen Binden ab und reichte es ihm abermals; diesmal ergriff er es mit beiden Händen. ›Es hat sich gedreht‹, sagte er, als ob er einfältig wäre. Und als er es in der Hand hielt, ging ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht, wie…« Der Narr verstummte. Simon fürchtete schon, er wäre eingeschlafen, aber anscheinend dachte der Kleine nur nach, auf langsame, weinwirre Weise.

»Sein Gesichtsausdruck«, fuhr Strupp fort, »war wie bei einem Kind, das man bei etwas ganz, ganz Bösem erwischt – ja, genau so! Er wurde blaß und bekam einen ganz schlaffen Mund. Und dann gab er es mir zurück! ›Begrab das mit meinem Vater‹, hat er gesagt. ›Es ist sein Schwert, er soll es behalten.‹ – ›Aber er wollte es Euch geben, Herr‹, wandte ich ein … aber hat er auf mich hören wollen? Hat er? Nein! ›Ein neues Zeitalter ist angebrochen, Alter‹, erklärte er mir, ›wir brauchen nicht mehr an diesen Überbleibseln der Vergangenheit zu hängen.‹ Könnt ihr euch die gottverdammte Unverschämtheit von so einem Kerl vorstellen?«