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»Was gefunden?« Simon rückte den Prinzen zurecht und starrte um sich. »Fässer?«

»Allerdings«, kicherte der Doktor. Mit schwungvoller Gebärde gab er dem runden Rand des obersten Fasses eine halbe Drehung, dessen ganze Seite sogleich aufschwang wie eine Tür und ein höhlenartiges Dunkel enthüllte.

Mißtrauisch schaute Simon in die Finsternis. »Was ist das?«

»Ein Gang, du törichter Knabe.« Morgenes nahm ihn am Ellenbogen und führte ihn auf das Faß mit der offenen Seitenwand zu, das kaum mehr als Brusthöhe erreichte. »Die Burg ist voll von solchen geheimen Pfaden.«

Stirnrunzelnd bückte sich Simon und spähte in die schwarzen Tiefen.

»Dort hinein?«

Morgenes nickte. Josuas Retter begriff, daß er nicht aufrecht durch die Öffnung kam, und ließ sich auf die Knie nieder, um ins Innere zu kriechen, auf dem Rücken den Prinzen, der ihn ritt wie ein Fest-Pony.

»Ich wußte gar nicht, daß es in den Lagerräumen solche Gänge gibt«, meinte Simon, und seine Stimme erzeugte ein Echo im Faß. Morgenes beugte sich vor, um Josuas Kopf unter dem niedrigen Eingang durchzuschieben.

»Junge, es gibt mehr Dinge, die du nicht weißt, als Dinge, die ich weiß. Das Ungleichgewicht bringt mich noch zur Verzweiflung. Jetzt halt den Mund, wir haben es eilig.«

Auf der anderen Seite konnte man wieder stehen. Morgenes' Kristall zeigte ihnen einen langen, gewundenen Gang ohne weitere Besonderheiten, abgesehen von den geradezu märchenhaften Ablagerungen von Staub.

»Ach, Simon«, bemerkte Morgenes, während sie sich hastig fortbewegten, »ich wünschte nur, ich hätte die Zeit, dir ein paar von den Räumen zu zeigen, an denen dieser Gang vorbeiführt … einige davon waren die Wohnung einer sehr großen, sehr schönen Dame. Sie benutzte diesen Gang für ihre geheimen Stelldicheins.« Der Doktor sah zu Josua auf, dessen Gesicht an Simons Hals lag. »Jetzt schläft er«, murmelte Morgenes. »Alles schläft.«

Der Gang stieg an und senkte sich wieder, wand sich in die eine und die andere Richtung. Sie kamen an vielen Türen vorbei; an manchen waren die Schlösser eingerostet, andere hatten Klinken, die so glänzend waren wie ein neues Fithingstück. Einmal passierten sie eine Reihe schmaler Fenster; bei einem kurzen Blick hinaus sah Simon verblüfft die Posten auf der Westmauer, deren Umrisse sich gegen den Himmel abzeichneten. Dort, wo die Sonne untergegangen war, hatten die Wolken eine zartrosa Tönung.

Wir müssen über dem Speisesaal sein, dachte Simon verwundert. Wann haben wir nur die ganze Kletterei hinter uns gebracht?

Sie stolperten vor Erschöpfung, als Morgenes endlich haltmachte. In diesem Teil des gewundenen Ganges gab es keine Fenster, nur Wandbehänge. Einen davon hob der Doktor hoch; nichts als grauer Stein wurde sichtbar.

»Das war der falsche«, pustete Morgenes und lupfte den nächsten, worauf sich eine Tür aus rohem Holz zeigte. Er legte das Ohr daran, lauschte einen Augenblick und zog die Tür auf. »Staatsarchiv.« Er wies auf den von Fackeln beleuchteten, breiten Korridor gegenüber. »Nur ein paar … hundert Schritte von meiner Wohnung.« Sobald Simon und sein Traggast hinausgetreten waren, ließ er die Tür zurückschwingen; mit einem gebieterischen Krachen fiel sie ins Schloß. Als er sich umsah, konnte Simon sie vom Rest der Täfelung, die die Wände des Ganges bedeckten, nicht mehr unterscheiden.

Nur einmal noch mußten sie eine ungeschützte Stelle überqueren, ein ziemlich hastiges Rennen von der Osttür der Archivräume quer über den offenen Anger. Während sie über das düstere Gras schwankten, wobei sie sich so dicht wie möglich an die Mauer hielten, ohne sich im Efeu zu verfangen, kam es Simon vor, als sähe er im Schatten der Mauer auf der anderen Seite des Hofes eine Bewegung; etwas Großes, das unmerklich seine Stellung änderte, als wollte es beobachten, wohin sie gingen; eine bekannte Gestalt mit gebeugten Schultern. Aber das Licht nahm jetzt schnell ab, und er war sich nicht sicher – es konnte auch nur ein weiterer schwarzer Fleck sein, der vor seinen Augen tanzte.

Er hatte Seitenstechen, als hätte jemand seine Rippen zwischen Rubens Schmiedezange geklemmt. Morgenes, der vorausgehumpelt war, hielt die Tür auf. Simon torkelte hinein, setzte seine Last sorgsam ab und brach dann der Länge lang auf den kühlen Steinplatten zusammen, verschwitzt und atemlos. Um ihn drehte sich die Welt in schwindelndem Tanz.

»Hier, Hoheit, trinkt das, hier, nehmt«, hörte er Morgenes sagen. Etwas später schlug Simon die Augen wieder auf und stützte sich auf einen Ellenbogen. Josua saß an die Wand gelehnt da; vor ihm hockte Morgenes mit einem braunen Tonkrug.

»Besser?« erkundigte sich der Doktor.

Der Prinz nickte schwach. »Schon kräftiger. Dieser Trank schmeckt wie das, was Pryrates mir gab … nur nicht so bitter. Er meinte, ich würde zu schnell schwächer … sie brauchten mich heute nacht.«

»Brauchten Euch? Das hört sich nicht gut an … gar nicht gut.« Morgenes reichte Simon den Krug. Das Getränk war blasig und sauer, aber es wärmte. Der Doktor spähte zur Tür hinaus und schob dann den Riegel ins Schloß.

»Morgen ist Belthainnstag, der erste Maia«, sagte er. »Heute nacht ist … heute nacht ist eine besonders gefährliche Nacht, mein Prinz. Steinigungsnacht nennt man sie.«

Simon fühlte, wie der Trank des Doktors auf dem Weg in seinen Magen angenehm brannte. Der Schmerz in seinen Gelenken ließ nach, als habe man einen festgezwirbelten Stoffstreifen ein oder zwei Umdrehungen gelockert. Er setzte sich auf; ihm war immer noch schwindlig.

»Es scheint mir bedenklich, daß sie Euch ausgerechnet in solch einer Nacht ›brauchen‹«, wiederholte Morgenes. »Ich fürchte, es geht hier um weit Schlimmeres als nur die Gefangenschaft des königlichen Bruders.«

»Diese Gefangenschaft war mir schlimm genug.« Ein schiefes Grinsen verzerrte Josuas abgemagerte Züge und verschwand dann, um tiefen Sorgenfalten Platz zu machen. »Morgenes«, fuhr er gleich darauf mit unsicherer Stimme fort, »diese … diese Bastarde von Hurensöhnen haben meine Männer umgebracht. Es war ein Hinterhalt.«

Der Doktor hob die Hand, als wollte er den Prinzen an der Schulter packen, ließ sie dann aber ungeschickt wieder sinken. »Gewiß, Herr, gewiß. Seid Ihr sicher, daß Euer Bruder dafür verantwortlich ist? Oder könnte Pryrates auf eigene Faust gehandelt haben?«

Josua schüttelte müde den Kopf. »Ich weiß nicht. Die Männer, die uns überfielen, trugen keine Abzeichen, und nachdem man mich in dieses Loch gebracht hatte, sah ich nur noch den Priester, sonst niemanden … aber es kommt mir seltsam vor, daß Pryrates etwas Derartiges ohne Elias unternommen haben sollte.«

»Das ist wahr.«

»Aber wieso? Verdammt sollen sie sein, wieso? Ich trage kein Verlangen nach der Macht – eher das Gegenteil! Ihr wißt es, Morgenes. Warum also sollte er so etwas tun?«

»Ich fürchte, mein Prinz, daß ich das im Augenblick auch nicht beantworten kann; aber ich muß gestehen, daß die ganze Angelegenheit meinen Verdacht in bezug auf … andere Dinge … sehr stark bekräftigt. Andere … nördliche Dinge. Erinnert Ihr Euch, jemals von den Weißfüchsen gehört zu haben?« Morgenes' Ton war bedeutungsschwer, aber der Prinz hob nur eine Braue und sagte nichts. »Ihr habt recht, wir haben jetzt keine Muße, uns über meine Befürchtungen zu unterhalten. Unsere Zeit ist knapp, es gibt Dringenderes zu tun.«

Morgenes half Simon, vom Boden aufzustehen, und begann dann herumzustöbern und nach etwas zu suchen. Der Junge stand da und betrachtete Prinz Josua, der mit geschlossenen Augen an der Wand lehnte, mit scheuen Blicken. Der Doktor kam mit einem Hammer, dessen Kopf vom vielen Gebrauch rund geworden war, und einem Meißel zurück.

»Schlag Josua die Ketten herunter, Junge, ja? Ich muß noch ein paar Sachen erledigen.« Eilig trottete er wieder fort.

»Hoheit?« sagte Simon ruhig und trat zu dem Prinzen. Josua schlug die trüben Augen auf und starrte zuerst auf den Jungen, dann auf die Werkzeuge in seiner Hand. Er nickte.