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Gleich darauf erkannte er seinen Irrtum. Die Riesengestalt, die sich an die Steinwand duckte, war ein gewaltiger Ofen. Die schwarzgekleideten Figuren fütterten seinen flammenden Schlund mit Holzscheiten. Die Gießerei. Die Schmelzhütte der Burg!

Überall in der Höhle waren dick vermummte und mit Tüchern maskierte Männer damit beschäftigt, Kriegsgerät zu schmieden. Schwere Eimer mit glühendem Flüssigeisen wurden an langen Stangen aus den Flammen gezogen. Geschmolzenes Metall sprang zischend in die Höhe, während es in die Gußformen rann, und über der stöhnenden Stimme des Hochofens hallte das Klingen der Hämmer auf den Ambossen.

Simon schrak von der Tür zurück. Einen Herzschlag lang hatte er sich nach vorn springen und auf die Männer zustürzen sehen. Denn es waren Menschen, trotz ihrer sonderbaren Kleidung. In diesem kurzen Augenblick war es ihm vorgekommen, als gäbe es nichts Schlimmeres als den dunklen Tunnel und die Stimmen – aber Simon wußte es besser. Glaubte er denn wirklich, die Männer aus der Gießerei würden ihn entkommen lassen? Bestimmt kannten sie nur einen Weg aus der flammenden Höhle: nach oben, zurück in Pryrates' Klauen – sofern er die Hölle in Morgenes' Wohnung überlebt hatte –, oder zu Elias' brutaler Rechtspflege.

Simon hockte sich hin, um seine Gedanken zu ordnen. Der Lärm des Ofens und sein eigener schmerzender Kopf machten es ihm schwer. Er konnte sich nicht erinnern, auf dem letzten Wegstück an Quertunneln vorbeigekommen zu sein. An der gegenüberliegenden Wand der Gießereihöhle war etwas zu erkennen, das wie eine Reihe von Löchern aussah; vielleicht lagen dort nur Lagerräume …

Oder Verliese.

… aber es erschien ebenso wahrscheinlich, daß noch andere Wege in diese Kammer hinein- und hinausführten. Jetzt wieder in den Tunnel zurückzukehren, kam ihm töricht vor.

Feigling! Küchenjunge!

Wie betäubt schwankte er unentschieden auf schmalem Grat. Zurückgehen und durch dieselben dunklen, von Spinnen verpesteten Tunnel laufen, jetzt, da sein einziges Licht dem Verlöschen entgegenflackerte … oder sich einen Weg durch die brüllende Hölle der Gießereiebene suchen – und von dort – wer konnte das wissen? Wofür sollte er sich entscheiden?

König-unter-der-Erde wird er sein, Herr der weinenden Schatten!

Nein, sein Volk ist fort, laßt ihn in Ruhe!

Er schlug sich kräftig auf den Schädel, um die schrecklichen Stimmen zu verscheuchen.

Wenn ich schon sterben muß, beschloß Simon endlich und riß die Herrschaft über sein jagendes Herz wieder an sich, dann soll es wenigstens im Licht geschehen.

Vorgebeugt, mit pochendem Kopf, starrte er auf den Schimmer der Kristallkugel in seiner hohlen Hand. Noch während er darauf schaute, erstarb das Licht, kehrte dann aber bebend zu unsicherem Leben zurück. Simon ließ die Kugel in die Tasche gleiten.

Die Hochofenflamme und die dunklen Gestalten, die sich davor bewegten, warfen pulsierende Streifen in Rot, Orange und Schwarz an die Wand. Simon sprang aus dem Schutz der Dunkelheit hinaus und duckte sich neben die nach unten führende Rampe. Sein nächstes Versteck sollte ein schäbiges Gebilde aus Ziegeln sein, etwa fünfzehn oder zwanzig Ellen von der Stelle entfernt, an der er kauerte. Es war ein nicht mehr benutzter Brenn- oder Schmelzofen am äußersten Rand der Kammer. Simon holte ein paarmal tief Atem und hastete darauf zu, halb rennend, halb kriechend. Sein Kopf schmerzte von der Bewegung, und als er den massigen Ofen erreicht hatte, mußte er erst einmal das Gesicht zwischen die Knie klemmen, bis die schwarzen Flecken verschwunden waren. Das rauhe Röhren des Hochofens hallte in seinem Kopf wie Donner und brachte mit seinem schmerzhaften Getöse selbst Simons Stimmen zum Verstummen.

Von dunklem Fleck zu dunklem Fleck suchte er sich seinen Weg, kleine Inseln düsterer Sicherheit im Ozean aus Rauch und rotem Lärm. Die Gießereiarbeiter blickten nicht auf und entdeckten den Eindringling nicht; kaum, daß sie untereinander ein Wort wechselten. Der ohrenbetäubende Krach beschränkte ihre Mitteilungen auf ausholende Gebärden, wie bei Gepanzerten im Chaos der Schlacht. Ihre Augen, reflektierende Lichtpunkte über den Tuchmasken, schienen nur auf ein einziges Ding zu starren: das helle, unwiderstehliche Leuchten des glühenden Eisens. Wie die rote Kartenlinie, die sich noch immer durch Simons Erinnerung schlängelte, war das strahlende Metall überall und immer gleich wie das magische Blut eines Drachen. Hier plätscherte es über den Rand eines Fasses, Tropfen wie Edelsteine versprühend; dort wand es sich über den Felsen, um zischend in einen Tümpel brackigen Wassers zu rinnen. Aus Eimern leckten große, weißglühende Zungen und tauchten die dick eingepackten Gießer in dämonisches Scharlachrot. Kriechend, huschend, bewegte sich Simon langsam am Rand der Schmelzhöhle entlang, bis er zu der nächsten Rampe kam, die aus ihr hinausführte. Die drückende, atmende Hitze und sein sinkender Mut drängten ihn, dort hinaufzuklettern; aber die gestampfte Erde der Rampe zeigte ein tiefes, sich immer wieder kreuzendes Gekritzel von Karrenrädern. Diese Tür wurde viel benutzt. Seine Gedanken kamen unklar und träge, doch sagten sie ihm, hier sollte er es lieber nicht versuchen.

Endlich gelangte er an eine Einmündung in der Höhlenwand, die ohne Rampe war. Es kostete ihn Mühe, den glatten – vom Feuer geschmolzenen? vom Drachen geschmolzenen? – Felsen hinaufzuklettern, aber seine versagende Kraft reichte noch aus, ihn über den Rand zu ziehen. Gleich dahinter brach er im schützenden Schatten zusammen und lag der Länge nach am Boden. Die Kugel, die er aus der Tasche genommen hatte, glühte in seiner Hand so schwach wie ein Glühwürmchen in der Falle.

Als er wieder wußte, wer er war, merkte er, daß er kroch.

Wieder auf den Knien, Mondkalb?

Die Schwärze war fast vollständig, und Simon kroch blind in die Tiefe. Der Tunnelboden unter seinen Händen war trocken und sandig. Lange, lange Zeit kroch er so weiter; selbst die Stimmen begannen zu klingen, als bedauerten sie ihn.

Simon verirrt … verirrt … irrt … irrt…

Nur die langsam abnehmende Hitze bestätigte ihm, daß er sich tatsächlich vom Fleck rührte – aber wohin? Worauf zu? Wie ein verwundetes Tier schleppte Simon sich weiter, durch undurchdringlichen Schatten abwärts, immer abwärts. Würde er weiterkriechen bis zum Mittelpunkt der Erde?

Huschende, vielbeinige Wesen unter seinen Fingern erregten ihn nicht mehr. Die Dunkelheit war vollständig, in ihm und um ihn. Er fühlte sich beinahe körperlos, ein Bündel verängstigter Gedanken, das es in die rätselhafte Erde hinunterzog.

Irgendwo, irgendwann später begann die dunkel gewordene Kugel, die er schon so lange umklammert hielt, daß sie ein Teil seines Körpers geworden zu sein schien, wieder zu glühen, dieses Mal in einem sonderbaren Azurlicht. Aus einem Kern von pulsierendem Blau wuchs dieses Licht, bis Simon die Augen zusammenkneifen mußte. Langsam richtete er sich auf und blieb keuchend stehen. Hände und Knie, frei von der Berührung des Sandes, prickelten.

Die Tunnelwände waren mit schwarzfasrigen Gewächsen bedeckt, wirr wie ungekämmte Wolle, aber in den verschlungenen Strähnen glänzten schimmernde Flecke, in denen das neu erblühte Licht sich spiegelte. Simon humpelte näher, um nachzuschauen, und zog mit schwachem, angewidertem Schnauben die Hand zurück, als er das schmierigschwarze Moos berührte. Etwas von seiner Persönlichkeit war mit dem Licht zu ihm zurückgekehrt, und während er schwankend dastand, dachte er an alles, durch das er hindurchgekrochen war, und zitterte.