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»Ich will … ich will dir nicht weh tun«, sagte Simon schließlich und merkte, daß er wie mit einem Kind redete. »Ich habe die Falle nicht gestellt.« Der Sitha fuhr fort, ihn mit bösartigen Halbmondaugen anzustarren.

Was für furchtbare Schmerzen er verbergen muß, dachte Simon bewundernd. Seine Arme sind so weit herausgerissen … daß ich laut schreien würde, wenn ich dort hinge!

Über die linke Schulter des Gefangenen schaute ein Köcher, bis auf zwei Pfeile leer. Mehrere andere Pfeile und ein Bogen aus schlankem, dunklem Holz lagen unter seinen baumelnden Füßen auf dem Grasboden verstreut.

»Versprichst du mir, daß du mir nichts tust, wenn ich versuche, dir zu helfen?« fragte Simon, wobei er ganz langsam sprach. »Ich habe nämlich großen Hunger«, fügte er lahm hinzu. Der Sitha antwortete nicht, aber als Simon einen weiteren Schritt machte, zog er die Beine an, um nach ihm zu treten. Der Junge wich zurück.

»Zum Teufel mit dir!« schrie Simon. »Ich will dir doch nur helfen!« Aber warum wollte er das eigentlich? Warum den Wolf aus der Fallgrube lassen? »Du mußt…«, fing er an, aber der Rest seiner Worte blieb ihm in der Kehle stecken, als eine große Gestalt prasselnd und krachend durch die Bäume auf sie zukam.

»Ah! Da ist es ja, da ist es!« sagte eine tiefe Stimme. Ein bärtiger, schmutziger Mann stapfte auf die kleine Lichtung. Seine Kleidung war dick und vielfach geflickt; in der Hand schwang er eine Axt.

»Nun zu dir, du…« Er unterbrach sich beim Anblick des an einen Baum geduckten Simons. »He«, knurrte er. »Wer bist du denn? Was tust du hier?«

Simon sah auf die schartige Axtklinge hinunter. »Ich … ich bin nur ein Wanderer … ich hörte ein Geräusch hier in den Bäumen…« Er machte eine Gebärde nach der seltsamen Szene. »Ich fand ihn hier, in dieser … Falle.«

»In meiner Falle!« grinste der Waldbewohner. »In meiner verdammten Falle, jawohl, da steckt es drin.« Der Mann kehrte Simon den Rücken und musterte den herunterhängenden Sitha mit kühlem Blick. »Hab versprochen, ich würde ein Ende machen mit ihrem Herumschleichen und Bespitzeln und Die-Milch-sauer-Machen, jawohl, das hab ich.« Er streckte die Hand aus und gab der Schulter des Gefangenen einen Stoß, der ihn hilflos in langsamem Bogen hin- und herpendeln ließ. Der Sitha fauchte, aber es war ein ohnmächtiger Laut. Der Holzfäller lachte.

»Beim Baum, Kämpfer sind sie, das muß man ihnen lassen. Richtige Kämpfer.«

»Was … was hast du mit ihm vor?«

»Was glaubst du denn, Junge? Was glaubst du, was Gott von uns will, wenn wir solche Geister und Kobolde und Teufel erwischen? In die Hölle werd ich es zurückschicken mit meinem guten Hackebeil hier, nun weißt du's.«

Langsam hörte der Gefangene auf zu schaukeln und drehte sich am Ende des dunklen Seils träge im Kreis wie eine Fliege im Netz. Seine Augen blickten zu Boden, der Körper war schlaff.

»Ihn umbringen?« Simon, so krank und schwach er war, wurde trotzdem von einem kalten Schauer des Entsetzens gepackt. »Du willst ihn … aber das kannst du doch nicht! Er … er ist ein…«

»Was es nicht ist, das ist ein natürliches Geschöpf, da bin ich ganz sicher! Mach du lieber, daß du hier wegkommst, Fremdling. Du bist hier in meinem Stückchen Garten, sozusagen, und da hast du nichts zu suchen. Ich weiß, was diese Wesen mit uns im Sinn haben.« Der Holzfäller drehte Simon verächtlich den Rücken zu und ging, die Axt erhoben, als wolle er Holz spalten, zu dem Sitha hinüber. Dieses Holz aber bewegte sich plötzlich und wurde zu einer zappelnden, um sich tretenden, knurrenden Bestie, die um ihr Leben kämpfte. Der erste Hieb des Kätners ging daneben, streifte die knochige Wange und grub eine unregelmäßige Furche in den Ärmel des eigenartigen, glänzenden Obergewandes. Ein Rinnsal aus nur allzu menschlich ausehendem Blut tropfte über das schmale Kinn und den Hals. Wieder trat der Mann näher.

Simon fiel auf seine wunden Knie und suchte nach einem Mittel, um diesen gräßlichen Kampf zu beenden, das Grunzen und Fluchen des Mannes und das heisere Fauchen des gequälten Gefangenen zum Schweigen zu bringen. Er tastete umher und fand den Bogen, aber der war noch leichter, als er aussah, so als wäre er über Marsch-Schilf gespannt. Gleich darauf schloß sich seine Hand um einen halb in der Erde steckenden Felsbrocken. Er zerrte daran, und der Stein löste sich vom daran haftenden Boden. Simon hob ihn hoch über den Kopf. »Hör auf!« schrie er. »Laß ihn in Ruhe!« Keiner der beiden Kämpfer schenkte ihm auch nur einen Seitenblick. Der Holzfäller stand jetzt auf Armlänge von ihm entfernt und hackte auf sein herumwirbelndes Ziel ein. Zwar streiften seine Hiebe den anderen nur, aber sie forderten immer wieder Blut. Die schmale Brust des Sitha pumpte wie ein Blasebalg; er wurde schnell schwächer.

Simon konnte das grausame Schauspiel nicht länger ertragen. Er machte endlich dem Geheul Luft, das sich in all den endlosen, schrecklichen Tagen seiner Verbannung in ihm angestaut hatte, überquerte mit einem einzigen Satz die kleine Lichtung und ließ den Felsbrocken auf den Hinterkopf des Kätners sausen. Ein dumpfes Krachen hallte durch die Bäume. Innerhalb einer Sekunde schien der Mann knochenlos zu werden. Er sackte schwer vornüber, erst auf die Knie, dann aufs Gesicht, und aus den verfilzten Haaren sprudelte ein roter Schwall.

Simon starrte auf die blutige Verwüstung und fühlte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Er fiel würgend auf die Knie, doch nur ein saurer Speichelfaden kam nach oben. Der Junge preßte den schwindligen Kopf auf die feuchte Erde und merkte, wie der Wald um ihn herum schwankte und sich drehte.

Sobald er dazu imstande war, stand Simon auf und wandte sich dem Sitha zu, der wieder still in der Schlinge hing. Das schlangenglatte Wams war mit blutigen Rinnsalen bedeckt, und die wilden Augen blickten trübe, als sei ein innerer Vorhang niedergegangen, um kein Licht nach außen dringen zu lassen. Zögernd wie ein Schlafwandler hob Simon die heruntergefallene Axt auf und folgte mit den Augen dem straffen Seil nach oben, wo es sich um einen hohen Baumast schlang – einen Ast, zu hoch, als daß er ihn erreichen konnte. Simon, zu betäubt, um noch Angst zu haben, sägte mit der scharfen Schneide der Klinge an dem Knoten auf dem Rücken des Sitha. Der Schöne zuckte, als die Schlinge sich enger zusammenzog, gab jedoch keinen Laut von sich.

Nach einem langen Augenblick des Kratzens und Schabens riß endlich der schlüpfrige Knoten; der Sitha stürzte herunter. Seine Knie gaben nach, und er torkelte auf den reglosen Holzfäller zu. Sofort rollte er sich zur Seite, von der stummen Masse fort, als hätte er sich verbrannt, und machte sich daran, die verstreuten Pfeile aufzuheben. Er hielt sie wie einen Strauß langstieliger Blumen, griff mit der anderen Hand seinen Bogen und hielt dann inne, um Simon anzustarren. Die kalten Augen glitzerten und erstickten diesem das Wort im Munde. Einen Augenblick lang stand der Sitha, der seine Verletzungen vergessen hatte oder ihrer nicht achtete, erstarrt und sprungbereit wie ein erschreckter Hirsch; dann war er fort, ein braungrüner Blitz, in den Bäumen verschwunden. Simon blieb mit offenem Mund verlassen zurück.

Das fleckige Sonnenlicht war auf den Blättern, die der Sitha gestreift hatte, noch nicht zur Ruhe gekommen, als Simon ein Surren wie von einem zornigen Insekt hörte und einen Schatten an seinem Gesicht vorübersausen fühlte. Aus einem Baumstamm neben ihm ragte ein Pfeil, der langsam zur Sichtbarkeit zurückbebte, weniger als eine Armlänge neben seinem Kopf. Der Junge starrte ihn verständnislos an und fragte sich, wann der nächste Pfeil ihn treffen würde. Es war ein weißer Pfeil, Schaft und Federn gleichmäßig schimmernd wie ein Möwenflügel. Er wartete auf den unvermeidlichen Nachfolger. Nichts kam. Das kleine Gehölz blieb still und bewegungslos.