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»Ach ja«, erwiderte der Troll, »wir begeben uns nach dem Knoch. Allerdings kommen wir heute nicht mehr bis dort. Bald werden wir anhalten, um ein kleines Lager aufzuschlagen und zu essen.«

Simon freute sich, das zu hören, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, trotzdem noch eine weitere Frage zu stellen. Schließlich war es ja auch sein Abenteuer. »Was ist der ›Knoch‹?«

»Oh, nichts Gefährliches, Simon. Es ist der Punkt, an dem die südlichen Vorberge des Weldhelm abfallen wie ein Sattel und man bequem den dichten und nicht unbedingt sicheren Wald verlassen und die Weldhelm-Straße auf der anderen Seite erreichen kann. Aber wie ich schon sagte, werden wir heute nicht mehr dorthin gelangen. Sehen wir uns lieber nach einem Lagerplatz um.«

Wenige Achtelmeilen weiter fanden sie ein Gelände, das ihnen verheißungsvoll erschien: eine Ansammlung großer Felsen am sanft ansteigenden Ufer eines Waldbaches. Das Wasser plätscherte friedlich über ein Bett runder, taubengrauer Kiesel und strudelte dann geräuschvoll um die ineinander verschlungenen Äste, die in den Bach gefallen waren; schließlich verschwand es ein paar Meter weiter unten im Dickicht. Eine Gruppe von Espen mit grünen Münzen als Blättern raschelte leise im ersten Hauch einer Abendbrise.

Die beiden errichteten rasch einen Feuerkreis aus trockenen Steinen, die sie am Rand des Wasserlaufes gefunden hatten. Qantaqa schien von diesem Plan fasziniert und sprang alle paar Minuten herbei, um zu knurren und ein bißchen nach den Steinen zu schnappen, die sie mühsam zusammentrugen. Wenig später hatte der Troll ein Feuer entfacht, das in den letzten kräftigen Strahlen der schwindenden Nachmittagssonne blaß und geisterhaft flackerte.

»Jetzt, Simon«, bemerkte er und schubste die widerwillige Qantaqa mit dem Ellbogen in eine sitzende Stellung, »stellen wir fest, daß es Zeit zum Jagen ist. Wir wollen uns einen passenden Abendbrot-Vogel suchen, und ich werde dir schlaue Listigkeiten beibringen.« Er rieb sich die Hände.

»Aber wie fangen wir die Vögel?« Simon warf einen Blick auf den Weißen Pfeil, den seine verschwitzte Hand immer noch fest umklammerte. »Müssen wir damit nach ihnen werfen?«

Binabik lachte und klatschte sich auf das in Leder gehüllte Knie. »Für einen Küchenjungen hast du einiges an Lustigkeit! Nein, nein, ich sagte doch, ich würde dir schlaue Listigkeiten zeigen. Siehst du, wo ich wohne, gibt es nur eine kurze Jagdzeit für Vögel. Im kalten Winter sind gar keine da, außer den wolkenhoch fliegenden Schneegänsen, die auf ihrer Route zu den Nordöstlichen Einöden unsere Bergheimat überqueren. Aber in einigen der Südländer, die ich bereist habe, jagen und essen die Leute nur Vögel. Dort habe ich eine gewisse Schlauheit gelernt. Ich werde es dir vorführen!«

Binabik ergriff seinen Wanderstab und winkte Simon, ihm zu folgen. Qantaqa sprang auf, aber der Troll wehrte ab.

»Hinik aia, alte Freundin«, befahl er ihr freundlich. Sie zuckte mit den Ohren, und die graue Stirn furchte sich. »Wir erledigen einen heimlichen Auftrag, und deine großen Pfoten werden uns keine Hilfe sein.« Die Wölfin machte kehrt und trollte sich zum Feuer zurück, wo sie sich ausstreckte. »Nicht, daß sie nicht von tödlicher Lautlosigkeit sein könnte«, erklärte der Troll Simon, »aber das tut sie nur, wenn sie es will.«

Sie überschritten den Bach und wateten in das Unterholz hinein. Schon bald befanden sie sich wieder im dichten Wald, und das Geräusch des Wassers hinter ihnen war zu einem leisen Murmeln herabgesunken. Binabik hockte sich hin und lud Simon ein, sich neben ihm niederzulassen.

»Nun gehen wir an die Arbeit«, meinte der Troll. Er gab seinem Wanderstab eine kurze Drehung; zu Simons Überraschung teilte sich der Stab in zwei Stücke. Das kurze Ende war, wie sich jetzt zeigte, der Griff eines Messers, dessen Klinge in dem ausgehöhlten Teil des längeren Stücks versteckt gewesen war. Der Troll kehrte dieses längere Ende um und schüttelte es. Ein Lederbeutel glitt heraus und fiel auf den Boden. Nun entfernte Binabik ein kleines Stück vom anderen Ende, so daß der längere Teil des Stabes eine hohle Röhre bildete. Simon lachte vor reinem Entzücken.

»Das ist ja wundervoll!« rief er. »Wie ein Zauberkunststück.« Binabik nickte weise. »Überraschungen in kleinen Häppchen – das ist das Glaubensbekenntnis der Qanuc, jawohl!« Er nahm das Messer bei seinem runden Knochengriff und stocherte kurz damit in der Röhre herum. Ein zweites Knochenrohr glitt ein Stück heraus, und er half mit den Fingern nach, bis er es ganz draußen hatte. Als er es Simon zur Begutachtung hinhielt, konnte der Junge sehen, daß dieses Rohr auf einer Seite eine Reihe von Löchern aufwies.

»Eine … Flöte?«

»Eine Flöte, in der Tat. Was nützt ein Abendessen, auf das keine Musik folgt?« Binabik legte das Instrument beiseite und weitete mit der Messerspitze die Öffnung des Lederbeutels. Auseinandergefaltet gab er einen zusammengepreßten Klumpen gekämmter Wolle und noch ein weiteres, schmales Röhrchen, nicht länger als ein Finger, preis.

»Kleiner werden wir und kleiner, hm?« Der Troll drehte das Röhrchen auf, um Simon den Inhalt zu zeigen: winzige, eng aneinandergerückte Nadeln aus Knochen oder Elfenbein. Simon streckte die Hand aus, um einen der zierlichen Splitter zu berühren, aber Binabik zog den Behälter hastig zurück.

»Bitte, nein«, warnte er. »Beobachte nur!« Mit Daumen und gebogenem Zeigefinger holte er eine der Nadeln heraus und hielt sie ins Licht der sterbenden Nachmittagssonne. Die scharfe Spitze des Dorns war mit einer schwarzen, klebrigen Masse beschmiert.

»Gift?« hauchte Simon. Binabik nickte ernst, aber seine Augen verrieten eine gewisse Erregung.

»Natürlich«, antwortete er. »Sie sind nicht alle so vergiftet – es ist keine Notwendigkeit, um kleine Vögel zu töten, und hat auch die unangenehme Neigung, das Fleisch zu verderben –, aber man kann einen Bären oder andere große, zornige Geschöpfe allein mit solch einem winzigen Dorn zum Halten bringen.« Er ließ die vergiftete Nadel zu den anderen gleiten und suchte sich einen unbefleckten Dorn.

»Damit hast du einen Bären getötet?« fragte Simon äußerst beeindruckt.

»Ja, das habe ich – aber ein weiser Troll hält sich dann nicht in der Nähe auf und wartet, ob der Bär auch wirklich verschieden ist. Das Gift tut seine Arbeit nicht sofort, weißt du. Und sehr groß sind Bären.«

Beim Reden hatte Binabik ein Flöckchen von der groben Wolle abgerissen und mit dem Messer die Fasern auseinandergezupft. Seine Finger arbeiteten so schnell und geschickt wie die von Sarrah dem Stubenmädchen beim Nähen. Bevor sich aber zu dieser anheimelnden Erinnerung weitere gesellen konnten, wurde Simons Aufmerksamkeit von neuem gefesselt, als Binabik anfing, die Fäden mit großer Geschwindigkeit um die Unterseite des Dorns zu wickeln und so ineinander zu weben, bis aus dem hinteren Ende des Dorns ein weicher Wollball geworden war. Als er damit fertig war, schob er alles zusammen, Nadel und Pfropf, in das eine Ende des hohlen Wanderstabes. Die anderen Nadeln packte er in ihren Beutel zurück, schob ihn in den Gürtel und reichte Simon die übrigen Stücke des zerlegten Stabes.

»Bitte, trag das«, bat er. »Ich sehe hier nicht viele Vögel, obwohl sie sehr oft gerade um diese Zeit herauskommen, um Kerbtiere zu fressen. Vielleicht werden wir uns aber auch mit einem Eichhörnchen begnügen müssen – nicht, daß sie nicht gut schmeckten«, fügte er eilig hinzu, als sie über einen umgestürzten Baum kletterten, »aber in der Jagd auf kleine Vögel liegt ein gewisser zarterer Hauch, ein köstlicheres Erlebnis. Falls der Dorn trifft, wirst du verstehen. Ich glaube, es ist ihr Flug, der mich so ergreift, und wie schnell die kleinen Herzchen klopfen.«

Später, im Blattgeflüster des Frühlingsabends, als Simon und der kleine Troll träge am Feuer lagen und ihre Mahlzeit verdauten – zwei Tauben und ein fettes Eichhörnchen –, dachte Simon über Binabiks Worte nach. Es war seltsam zu erkennen, wie wenig man jemanden verstand, den man eigentlich gern mochte. Wie konnte der Troll solche Zuneigung zu etwas fühlen, das er töten würde?