»Und sie geschlagen«, mischte sich einer der Gouverneure ein.
Charity brauchte eine Sekunde, um sich überhaupt an seinen Namen zu erinnern. Sie hätte sich in den letzten Jahren vielleicht wirklich ein bißchen mehr um Politik kümmern sollen, nicht nur um den Wiederaufbau der Raumflotte.
»Soviel ich weiß, Mister Hartmann, haben Sie, Mister Skudder und Captain Laird mehr als ein halbes Dutzend ihrer Jäger abgeschossen«, fuhr Heydliß fort. Er sah vor allem Charity fragend an, doch in seinen Augen stand dabei ein Ausdruck geschrieben, der seinen zweifelnden Tonfall mehr als entschärfte. »Wie paßt das zu Ihrer Behauptung, die Schiffe der Fremden wären den unseren so sehr überlegen?«
»Wir hatten Glück«, antwortete Charity an Hartmanns Stelle.
»Drei zu acht ist kein Glück mehr, Captain«, sagte Heydliß sanft.
»Natürlich war es Glück«, mischte Gurk sich ein. »Die drei da sind nämlich rein zufällig die besten Raumpiloten, die eure sogenannte Space-Force jemals hatte. Hätte irgendein anderer in dieser Viper gesessen, hätten die Fremden sie auseinandergenommen.«
»Gurk!« sagte Charity scharf.
»Schon gut.« Heydliß lächelte. »Dieser... Fremde hat recht. Wir alle hier wissen, daß Sie tatsächlich die beste Pilotin sind, die wir haben. Es geht mir ja auch nur darum, Klarheit zu bekommen.«
»Klarheit? Worüber? Daß jemand uns überfallen hat?«
»Klarheit über das wirkliche Ausmaß der Bedrohung«, antwortete Heydliß. »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich teile keineswegs die Auffassung meines Kollegen Drasko, daß wir am besten sofort und vollständig auf das Militär verzichten sollten.«
»Das wäre auch ein unpassender Moment.«
»Ich denke nur, daß wir jetzt nicht hysterisch werden sollten«, fuhr Heydliß unbeeindruckt fort. »Es gibt eine Gefahr dort draußen, und wir müssen ihr zweifellos angemessen begegnen. Aber einen Feind zu überschätzen, kann genau so gefährlich sein, wie ihn zu unterschätzen. Ich jedenfalls glaube nicht an eine Invasion aus dem Weltall.«
»Und was war das dann vorgestern?« fragte Charity spöttisch.
»Ein Überfall«, sagte einer der anderen Gouverneure. Charity machte sich nicht einmal die Mühe, sich seinen Namen ins Gedächtnis zu rufen. »Eine Invasion haben Sie vor sechzig Jahren erlebt, Captain Laird. Hätten wir es damit zu tun, säßen wir alle jetzt wahrscheinlich nicht hier.«
Charity biß sich wütend auf die Unterlippe und schluckte die Antwort herunter, die sie dieser Versammlung von Narren am liebsten entgegengeschleudert hätte. Sie wäre zwar nicht besonders klug und diplomatisch gewesen, dafür aber um so drastischer.
»Dieser ganze Streit ist nicht nur sinnlos, sondern auch verfrüht«, meldete Hartmann sich zu Wort. »Bisher kann niemand sagen, womit wir es zu tun haben - mit dem Beginn einer Invasion oder einem Piratenüberfall, der irgendwie außer Kontrolle geraten ist. Aber ich bin nun einmal Soldat, und als solcher ist es meine Pflicht, vom Schlimmsten auszugehen, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. Unsere wichtigste Aufgabe besteht nun darin, herauszufinden, wer unsere Gegner überhaupt sind.«
»Dann sollten Sie das tun, General«, sagte Gouverneur Heydliß.
Charity seufzte. Diese Dummköpfe hatten nichts, aber auch gar nichts aus der Vergangenheit gelernt. Selbst der Überfall auf Skytown und die EXCALIBUR hatten nichts daran geändert, begriff sie plötzlich.
Sie hatten vor ein paar Tagen schon einmal hier gesessen und mit dem Rat über den Fortbestand der Space-Force diskutiert, und nun bewegte sich die Diskussion schon wieder in diese Richtung.
Charity fluchte lautlos.
Diese Dummköpfe!
Seybald war tot, Skytown vernichtet und die Basis - möglicherweise zusammen mit der Millionenstadt - zu deren Schutz sie errichtet worden war, um Haaresbreite der völligen Zerstörung entgangen, und nun saßen sie schon wieder hier und diskutierten darüber, ob die Größe der Gefahr ihre Verteidigungsanstrengungen rechtfertigte!
»Gurk«, sagte sie. »Ich finde, wir haben diese Farce jetzt lange genug ertragen. Wer sind diese Fremden?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Gurk stur. »Ich habe es schon ein paarmal gesagt, aber ich sage es gerne noch einmaclass="underline" Ich bin zurückgekommen, wurde von ihnen gefangen genommen, und das ist alles!«
Das ist ganz und gar nicht alles, dachte Charity.
Gurk verschwieg ihnen hundertmal mehr, als er sagte, aber möglicherweise hatte er ja einen Grund dafür. Ebenso, wie Hartmann möglicherweise einen Grund gehabt hatte, Gurk einsperren und scharf bewachen zu lassen.
Es war ein Fehler gewesen, Gurk einfach mit hierher zu bringen. Aber das war weiß Gott nicht der erste Fehler, der Charity unterlaufen war.
Und sie hatte auch das sichere Gefühl, daß es nicht der letzte bleiben würde.
Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und verließ die Versammlung.
3
Skudder, Hartmann und Gurk fanden sie zwei Stunden später auf den Trümmern der Dachterrasse des Verwaltungsgebäudes. Skudders Gesichtsausdruck nach zu schließen, mußten sie eine ganze Weile nach ihr gesucht haben, aber sowohl er als auch die beiden anderen ersparten sich jede entsprechende Bemerkung.
»Ihr seht ziemlich geschafft aus«, begrüßte Charity sie. »War es noch lustig?«
»Zum Schreien komisch«, bestätigte Skudder grimmig. »Erinnere mich daran, daß ich das nächste Mal einen Flammenwerfer mitnehme.« Er schüttelte den Kopf. »Am Schluß habe ich mich ernsthaft gefragt, wer eigentlich die Angreifer waren - sie oder wir.«
»Das kommt ganz auf den Standpunkt an«, sagte Gurk. Er lachte kurz, ging an Charity vorbei und trat so dicht an den Rand der Dachterrasse heran, daß Charity schon vom bloßen Hinsehen schwindelig wurde. Vor zwei Tagen hatte es dort, wo der Zwerg jetzt stand, noch ein nahezu unsichtbares Kraftfeld gegeben, das die Dachterrasse begrenzte. Nun bedurfte es nur einer winzigen, unbedachten Bewegung, und Gurk würde mehr als hundertfünfzig Meter in die Tiefe stürzen.
»Unglaublich«, murmelte Gurk, nachdem er eine ganze Weile nach Westen geblickt hatte. »Und das alles habt ihr in wenigen Jahren wieder aufgebaut?«
Im ersten Moment verstand Charity nicht einmal, wovon er überhaupt sprach. Der Anblick unterschied sich in nichts von dem, der sich ihr vor zwei Tagen von hier oben aus geboten hatte. Die Dunkelheit hatte einen barmherzigen Schleier über die Welt gebreitet, der die Spuren des zweifachen Überfalles verbarg. Alles sah so friedlich und unverändert aus, daß es beinahe schon absurd war. Die Lichter der zwanzig Kilometer entfernten Stadt glitzerten, als hätte jemand einen Teil der Milchstraße vom Himmel geholt und dort hinten abgelegt, aber erst, nachdem er jeden einzelnen Stern sorgsam auf Hochglanz poliert hatte.
»Wie viele Menschen leben in dieser Stadt?« fragte Gurk.
»Nicht ganz eine Million«, antwortete Hartmann. »Aber sie bietet Platz für doppelt so viele.«
»Als ich das letzte Mal hier war, gab es dort hinten nur ein paar Ruinen«, sagte Gurk.
»Als ich das letzte Mal hier war, haben in diesem Land hundert Millionen Menschen gelebt«, sagte Charity bitter. »Was soll daran phantastisch sein, Gurk? Unsere Welt wird nie wieder so werden, wie sie war.«
»Nichts wird jemals wieder so, wie es war«, antwortete Gurk, doch Charity konnte nicht genau sagen, ob das nun eine besonders kluge oder eine besonders dumme Bemerkung war. Dann aber drehte der Gnom sich zu ihr herum und fuhr sehr leise und mit tiefem Ernst in der Stimme fort: »Ihr habt die schrecklichste Macht in diesem Teil des Universums bezwungen, Charity. Ihr habt einen Feind besiegt, der nicht besiegt werden kann. Moron hat ganze Sternensysteme überrannt, in unglaublich kurzer Zeit. Sie haben gewaltige Imperien niedergeworfen, von deren Größe ihr nicht einmal zu träumen wagt! Glaub mir, ich habe mehr als eine Welt gesehen, von der Moron sich nach seinem Sieg zurückgezogen hat. Manche dieser Welten hat Jahrhunderte gebraucht, um sich wieder zu erholen, und manche wird es nie mehr schaffen! Ihr habt die Moroni vor zehn Jahren besiegt, und ihr seid bereits dabei, eure Welt wieder aufzubauen. Ihr seid wirklich ein erstaunliches Volk, Charity. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht Angst vor euch haben sollte.«