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Doch es stürzte nicht ab. Im buchstäblich letzten Moment erlangte der Pilot die Kontrolle über sein Schiff zurück, riß es hoch und jagte in einem Kamikaze-Manöver auf eine der Vipern zu, die über ihm kreisten. Der Pilot des irdischen Jägers konnte dem drohenden Zusammenprall nur mit einem verzweifelten Ausweichmanöver entgehen, und das Rochenschiff stieß mit lodernden Triebwerken nahezu senkrecht in den Himmel und verschwand.

»Sehr interessant«, sagte Charity verwirrt. »Aber ich habe schon einmal eine Railgun in Aktion gesehen.«

Hartmann lächelte auf eine sonderbare Art und Weise und schüttelte den Kopf. »Du hast es also auch nicht bemerkt«, stellte er fest, wobei sich ein seltsam zufriedener Tonfall in seine Stimme schlich. »Mir ging es genauso. Erst beim dritten oder viertenmal ist mir etwas aufgefallen. Paß auf!«

Er berührte eine Taste auf dem winzigen Aufzeichnungsgerät, und Charity sah eine Wiederholung des letzten Teils des Luftkampfes: langsamer und nicht nur in einer Ausschnittvergrößerung, so daß sie nur noch das getroffene Rochenschiff sah, sondern offensichtlich im Computer nachbearbeitet, so daß man diesmal viel mehr Einzelheiten erkennen konnte.

Als der Moment kam, in dem das Cockpit des Rochenschiffes vom Urangeschoß der Railgun getroffen und zertrümmert wurde, schaltete Hartmann auf Zeitlupe um.

Und jetzt sah Charity, was er meinte: Der Treffer zerfetzte nicht nur die Glaskanzel des Schiffes, sondern riß auch den Pilotensitz samt Pilot aus der Maschine und stanzte ein sauberes, medizinball-großes Loch in den Copiloten. Charity riß erstaunt die Augen auf. Sie hatte erlebt, wie unglaublich zäh und widerstandsfähig diese Männer waren, aber eine solche Verletzung hätte nicht einmal einer der legendären Megakrieger der Jared überstanden.

Doch obwohl das Schiff keinen Piloten und nur noch einen toten Copiloten hatte, fing es seinen steuerlosen Sturz nach wenigen Sekunden ab und verschwand mit dem haarsträubenden Manöver, das Charity gerade schon einmal beobachtet hatte.

»Das ist wirklich... erstaunlich«, sagte sie.

Hartmann klappte das Gerät zusammen und verstaute es in der Brusttasche seines ölverschmierten Uniformhemdes.

»Das kann man wohl sagen«, bestätigte er. »Augenscheinlich verfügen diese Schiffe über eine Art Rückholautomatik. Sobald der Computer registriert, daß der Pilot ausgefallen ist, bringt er das Schiff auf Heimatkurs.«

»Konntet ihr es verfolgen?« fragte Charity mit einer Geste auf die Tasche, in die Hartmann das Gerät gesteckt hatte.

Hartmann verneinte. »Bei dem Chaos, das hier am Himmel geherrscht hat? Kaum. Wir haben versucht, den Kurs hochzurechnen, aber das hatte auch wenig Sinn. Trotzdem... ich halte die Beobachtung für sehr wichtig. Möglicherweise haben wir jetzt eine Chance, herauszufinden, woher sie kommen. Es muß ein Mutterschiff geben. Es kann nicht allzu weit entfernt sein. Die Reichweite dieser Jäger ist begrenzt.« Er machte eine vage Geste. »Einige hunderttausend Meilen... geteilt durch zwei für den Rückflug und abzüglich der Treibstoffmenge, die sie während des Kampfes verbraucht haben. Sie waren nicht sehr sparsam mit dem Sprit.«

»Das heißt«, sagte Skudder nachdenklich, »dieses Mutterschiff muß irgendwo zwischen uns und dem Mars oder der Venus sein.«

Es sei denn, dachte Charity, sie sind auf die gleiche, unheimliche Weise gekommen wie der Landungstrupp, den Gurk und ich beobachtet haben.

Doch aus irgendeinem Grund glaubte sie das nicht. Sie konnte auch die Euphorie nicht ganz teilen, die sie aus Skudders Stimme heraushörte. Selbst wenn sie den ungefähren Sektor kannten, in dem sich das vermutete Mutterschiff aufhielt, war das Gebiet, das in Frage kam, unvorstellbar groß. Sie würden Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um es abzusuchen; Zeit, die ihnen ihr unbekannter Gegner ganz bestimmt nicht lassen würde.

»Wenn deine Vermutung zutrifft«, sagte Charity nachdenklich, »und dieser Rückholmechanismus immer noch funktioniert...«

»... dann haben wir vielleicht eine Möglichkeit, sie aufzuspüren, ja«, führte Hartmann den Satz zu Ende. »Wir haben mehr als zwei Dutzend Wracks erbeutet. Keines davon ist mehr flugfähig, aber ich denke, unsere Techniker könnten eines dieser Schiffe reparieren. Wenn wir die Triebwerke einschalten und es tatsächlich nach Hause fliegt, würde ein kleiner Peilsender reichen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß es klappt, aber es ist eine Chance, die wir nutzen sollten.«

»Worauf warten wir dann noch?« fragte Skudder.

»Auf nichts«, antwortete Hartmann. »Und wir warten auch gar nicht. Ich habe bereits einige meiner besten Techniker auf das Problem angesetzt. Sie werden ein paar Tage brauchen, aber sie sind zuversichtlich, daß sie die Sache hinkriegen.«

»Und was sagt unser über alles geschätzter Freund Drasko dazu?« erkundigte sich Skudder.

»Nichts«, erwiderte Hartmann. »Ich habe es ihm nicht gesagt.«

»Das wird ihn nicht sehr freuen«, sagte Charity. »Andererseits... vielleicht regt er sich ja so sehr darüber auf, daß ihn der Schlag trifft. Das würde einiges erheblich vereinfachen.«

Skudder blickte sie nachdenklich an. »Wie kommt es nur, daß ich das Gefühl habe, daß du Drasko nicht leiden kannst?«

Charity grinste, aber im stillen mußte sie eingestehen, daß Skudders Vermutung nicht stimmte. Sie hatte nichts gegen Drasko; ganz im Gegenteil. Der Mann war ein sehr fähiger Politiker, der sein Gebiet mit einer geschickten Mischung aus Fingerspitzengefühl und der notwendigen Entschlossenheit verwaltete - hundertmal besser, als sie es je gekonnt hätte. Ganz sicher handelte er in bester Absicht, und von seinem Standpunkt aus hatte er wahrscheinlich sogar recht.

Aber das hatte Seybald auch gehabt, und Seybald war jetzt tot, zusammen mit mehr als tausend anderen Männern und Frauen, die kein anderes Verbrechen begangen hatten, als im falschen Moment am falschen Ort zu sein.

»Ich halte es für besser, wenn er und die anderen zuerst einmal nichts davon erfahren«, sagte Hartmann. »Es hat wohl keinen Zweck, die Pferde scheu zu machen, bevor wir überhaupt wissen, ob es funktioniert.«

Skudders Grinsen wurde noch breiter, aber er war klug genug, sich jeden Kommentars zu enthalten.

Charity war ein wenig erstaunt. Hartmann hatte sich bisher stets aus ihrem latent schwelenden Streit mit Drasko und den anderen Gouverneuren herausgehalten. Daß er jetzt - wenn auch nicht offen - ihre Partei ergriff, überraschte sie. Aber vielleicht sollte sie es auch nicht überbewerten. Es konnte ebensogut sein, daß Hartmann ihr nun ganz bewußt in einem Punkt entgegenkam, in dem er nichts zu verlieren hatte.

Fast sofort tat Charity ihr eigener Gedanke leid; es gab auf der ganzen Welt vielleicht nicht mehr als ein Dutzend Menschen, denen sie vollkommen und vorbehaltlos vertraute, und einer davon war zweifelsohne Hartmann. Außerdem befand er sich in einer weitaus komplizierteren Lage als sie selbst. Sie konnte in ein paar Tagen, vielleicht auch später, wenn ihr dieser ganze Kram hier zu bunt wurde, aber auch in einer halben Stunde in ihr Schiff steigen und nach Hause fliegen. Hartmann hatte nicht diese Möglichkeit. Er mußte hier bleiben und mit diesen Leuten leben, mit denen sie sich eigentlich nur zum Zeitvertreib stritt.

»Können wir jetzt wieder gehen?« fragte Melissa.

Charity drehte sich zu dem Mädchen um und verspürte einen heftigen Anflug ihres schlechten Gewissens, als sie den Ausdruck auf Melissas Gesicht sah. Für ein Kind ihres Alters beherrschte sie sich erstaunlich, aber in ihren Augen war trotzdem ein angstvolles Flackern, und es war ihr nicht möglich, still zu stehen. Offenbar bereitete ihr diese Umgebung Furcht. Charity fragte sich warum, hütete sich aber, diese Frage laut auszusprechen. Wenn Melissa soweit war, über das, was sie und die anderen an Bord eines solchen Schiffes erlebt hatten, zu reden, würde sie es ganz von selbst tun.