»Sesam öffne dich!«
Die organische Tür faltete sich gehorsam auseinander, und Skudder grinste über das ganze Gesicht. »Dieses Ding muß weiblich sein«, sagte er.
Charity zog es vor, gar nicht darauf zu antworten. Auf der anderen Seite der Tür bewegte sich irgend etwas, aber sie konnte nicht genau erkennen, was es war. Vorsichtig trat sie durch die Tür, senkte die Hand auf die Waffe und winkte Skudder, ihr zu folgen.
Vor ihnen lag eine weitläufige, von dem allgegenwärtigen roten Licht erfüllte Halle, die von einem Gewirr bizarrer, organisch wirkender... Dinge erfüllt war, die ein regelrechtes Labyrinth bildeten: haushohe, turmartige Gebilde, zwischen denen sich spinnennetzartige Fäden spannten, ineinander verflochtene Massen, wie Bäume, oder große, fleischige Büsche, drei Meter hohe, gerippte Wände, die ein Durcheinander aus Gräben und Wegen bildeten, unregelmäßige Seen und Pfützen, in denen zähe, ölig schimmernde Flüssigkeiten schwappten, aber auch Gebilde, die so fremdartig und bizarr geformt waren, daß Charity beim besten Willen keine Entsprechung dazu einfiel.
»Da hinten.«
Skudder hob die Hand und deutete in das rote Licht hinein. Es dauerte einige Sekunden, bis auch Charity sah, was er entdeckt hatte: Weit entfernt, fast am Rande des Sichtbereichs erhob sich eine Struktur, die beinahe genau so fremdartig und bizarr wirkte wie alles andere hier, aber eindeutig künstlicher Natur war. Ein Fremdkörper, der nicht hierher gehörte.
So wenig, wie Skudder und sie.
»Es muß mindestens eine Meile bis dorthin sein«, sagte Skudder. »Ich dachte, ich hätte mich zur Space-Force gemeldet, nicht zur Infanterie.« Trotzdem setzte er sich mit schnellen Schritten in Bewegung. Charity folgte ihm, wenn auch mit einem unguten Gefühl.
Sie sollten nicht hier sein. Alles in dieser auf so unheimliche Weise lebendigen Umgebung schrie ihr diese Botschaft zu. Sie hatte noch immer nicht das leiseste Gefühl von Feindseligkeit verspürt, aber das Leben, das dieses sonderbare Schiff erfüllte - falls es Leben war - war so fremdartig, so vollkommen anders, daß sie hier einfach nicht existieren konnten.
»Da vorn bewegt sich etwas«, sagte Skudder plötzlich.
Auch Charity hatte die Bewegung bemerkt; ein schwerfälliges, helles Gleiten im Augenwinkel, das schneller wieder verschwand, als sie es mit Blicken fixieren konnten.
Sie nickte knapp. Diesmal erhob sie keine Einwände, als Skudder seine Waffe zog. Dicht nebeneinander drangen sie in einen von haushohen, fleischigen Wänden gebildeten Graben ein. Es wurde allmählich wärmer. Die Luft schmeckte so lebendig, daß Charity das Atmen immer schwerer fiel.
Skudder machte plötzlich eine Geste, vorsichtig zu sein. Wieder bewegte sich etwas vor ihnen, und diesmal konnte Charity es deutlicher sehen. Am Ende des Ganges war eine bizarre Kreatur erschienen. Sie war gut doppelt so groß wie ein Schäferhund und schien keine festen Umrisse zu besitzen, sondern befand sich in einer Art ununterbrochen fließender Veränderung, während sie langsam auf Charity und Skudder zuglitt. Ihr Körper bestand aus einer weißen, halb transparenten Masse, in der sich schemenhafte Organe abzeichneten. Dutzende von fadendünnen, peitschenden Tentakeln tasteten die Wände des Grabens zu beiden Seiten ab.
Skudder blieb stehen.
»Was... ist das?« Seine Stimme klang leicht angeekelt.
»Keine Ahnung«, antwortete Charity leise.
Die sonderbare Kreatur, die sie jetzt mehr an eine Mischung aus einer Amöbe und einem zu groß geratenen Pantoffeltierchen erinnerte, kam ihr nicht wirklich gefährlich vor. Trotzdem hatte das beharrliche Näherkommen des Wesens etwas Beunruhigendes.
»Gehen wir ihm lieber aus dem Weg«, sagte sie.
»Gute Idee.« Skudder drehte sich herum, machte einen halben Schritt und blieb wieder stehen. »Mist!«
Hinter ihnen war eine zweite, gleichartige Kreatur aufgetaucht.
Sie war ein gutes Stück weiter entfernt als die erste und schien es ebenso wie diese nicht besonders eilig zu haben, näherzukommen. Doch ob eilig oder nicht - sie kam näher. Ihre peitschenden Tentakel füllten den Graben nahezu vollkommen aus.
Es gab keine Möglichkeit, an der Kreatur vorbeizukommen.
»Das gefällt mir immer weniger«, sagte Skudder. »Denkst du auch, was ich denke?«
»Ich denke, daß ich es gar nicht wissen will«, antwortete Charity. Das unangenehme Gefühl, das der Anblick der beiden Kreaturen in ihr auslöste, wurde immer stärker.
Als sie sich der Riesenamöbe bis auf zehn Schritte genähert hatten, wurde es zur Gewißheit. Der Boden des Grabens, in dem sie sich befanden, war nicht leer, sondern mit allen möglichen organischen Abfällen und Unrat übersät. Als sie näher kamen, konnten sie erkennen, wie die peitschenden Tentakel des Geschöpfes sich um die Abfälle wickelten und sie in den halbtransparenten Körper hineinzogen. Charity hatte etwas in dieser Art erwartet - und Skudder offenbar auch.
»Die Putzkolonne«, sagte er düster. »Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut.«
Bevor Charity etwas dagegen tun konnte, hob er seine Waffe, zielte kurz und gab einen einzelnen Schuß ab. Der Energieblitz fuhr in den kriechenden Gallertkörper, brannte einen fast meterlangen, glühenden Kanal hinein und erlosch. Die Amöbe kroch unbeeindruckt weiter.
»Das hat keinen Zweck«, sagte Charity. »Das Ding hat wahrscheinlich nicht einmal ein Nervensystem. Du kannst ihm nicht weh tun. Hilf mir!« Sie zog ihre eigene Waffe, zielte auf die gegenüberliegende Wand und feuerte. Der Strahl brannte ein faustgroßes Loch in die braun-rote Haut. Charity zielte ein Stück höher, feuerte noch einmal, und Skudder verstand endlich und schoß seinerseits.
Binnen weniger Augenblicke brannten sie eine Anzahl Löcher in die Wand, an denen sie mit einiger Mühe hinaufklettern konnten.
»Ladies first.«
Skudder machte eine einladende Geste. Charity verschwendete keine Zeit mit Diskussionen, sondern steckte ihre Waffe ein und kletterte an der Wand in die Höhe, so schnell sie konnte. Was nicht besonders schnell war. Ihre Schüsse hatten die Wand so sehr erhitzt, daß sie trotz der isolierenden Handschuhe vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen mußte; überdies begann die ganze Wand unter ihrem Gewicht zu zittern und sich zu winden, je höher sie kam. Zwei-, dreimal drohte sie abzurutschen und konnte sich nur mit Mühe festklammern.
Skudder folgte ihr, so dicht er konnte, aber auch die unheimliche Kreatur kam immer näher. Ihre zuckenden Tentakel tasteten über jeden Quadratzentimeter des Bodens, entfernten jeden noch so winzigen Fremdkörper und suchten mit fast maschinenhafter Beharrlichkeit weiter.
Und dann geschah das, was geschehen mußte: Einer der dünnen, peitschenden Fäden berührte Skudders Fuß und wickelte sich blitzartig darum. Skudder grunzte erschrocken, versuchte sein Bein loszureißen und stieß einen zweiten, überraschten Laut aus, als es ihm nicht gelang. Der Tentakel war kaum dicker als sein kleiner Finger, und Skudder war einer der stärksten Männer, die Charity jemals getroffen hatte. Trotzdem gelang es ihm nicht, sich loszureißen.
Kurz entschlossen zog er die Waffe, zielte kurz und durchtrennte den Tentakel mit einem Schuß. Das Wesen zeigte auch diesmal keinerlei Schmerz, aber es reagierte: Mindestens ein halbes Dutzend weitere Tentakel schossen in die Höhe und wickelten sich um Skudders Bein.
Skudder schrie auf, ließ seine Waffe fallen und stürzte hilflos in die Tiefe.
Charity fluchte lautlos in sich hinein. Sie hatte die Krone der lebenden Mauer fast erreicht, aber von dort oben konnte sie es nicht wagen, auf die Kreatur zu schießen. Die Gefahr, Skudder zu treffen, war zu groß.
Sie sprang. Auf dem stahlharten Boden war der Aufprall härter, als sie erwartet hatte. Statt sich abzurollen und mit dem Schwung ihrer eigenen Bewegung wieder auf die Füße zu kommen, schlitterte sie meterweit davon und prallte mit einer solchen Wucht gegen die Wand, daß sie für eine Sekunde nur tanzende Sterne und Nebel sah.