Sie richtete sich auf, keuchte vor Schmerz, als ein rotglühender Pfeil ihren Rücken zu durchbohren schien, und versuchte die blutigen Schleier wegzublinzeln, die vor ihren Augen wogten. Sie betete, daß sie sich nicht ernsthaft verletzt hatte. Ein gebrochenes Bein konnte in ihrer Situation tödlich sein.
Nach ein paar Sekunden gelang es ihr immerhin, ihre Waffe zu ziehen und wieder halbwegs deutlich zu sehen. Die zweite Amöbe war näher gekommen, befand sich aber noch dreißig oder vierzig Meter entfernt. Sie schien es immer noch nicht besonders eilig zu haben.
»Verdammt noch mal, tu endlich was!« brüllte Skudder.
Seine Stimme klang eher wütend als angsterfüllt - und was Charity sah, als sie in seine Richtung blickte, war auch beinahe komisch. Aber auch nur beinahe, und auch nur auf den allerersten Blick: Skudder war halbwegs über die Riesenamöbe gestürzt und versuchte vergebens, sich aus dem Gewirr von Tentakeln und Nesselfäden zu befreien, in das er sich verstrickt hatte. Das Monster war offensichtlich nicht auf eine Beute seiner Größe vorbereitet, denn es versuchte seinerseits vergeblich, den sich heftig wehrenden Körper zu verschlingen.
Aber so komisch war die Situation nicht. Das Gewirr aus Fäden und Tentakeln, das Skudder hielt, wurde immer dichter, als wäre die Kreatur in der Lage, sie in beliebiger Menge zu produzieren. Vielleicht konnte sie es tatsächlich.
»Halt still!«
Charity zielte sorgfältig mit beiden Händen, schoß und drückte gleich darauf noch einmal ab. Die nadeldünnen, gleißenden Strahlen zerschnitten ein Dutzend Tentakeln und hinterließen eine qualmende Spur auf dem Körper der Amöbe.
Aber diesmal sah Charity, was sie bisher nur befürchtet hatte: Die abgetrennten Fangarme fielen zu Boden, blieben aber nicht liegen, sondern schienen plötzlich zu eigenem Leben zu erwachen, denn sie krochen blitzschnell auf die Kreatur zu und verschmolzen wieder mit ihr. Gleichzeitig wuchsen aus dem zuckenden Leib neue, peitschende Fangarme, die sich schneller um Skudders Glieder wickelten, als er sich loszureißen vermochte.
Charity fluchte, schaltete die Waffe auf Maximalleistung und schoß erneut. Diesmal durchbohrte der Blitz die Kreatur zur Gänze und hinterließ auch noch ein kopfgroßes Loch in der Wand hinter ihr. Gut ein Viertel des gallertartigen Körpers zerfiel zu rauchender schwarzer Schlacke. Der Rest machte ungerührt damit weiter, Skudder einzuwickeln.
Charity feuerte erneut.
Diesmal schrie Skudder vor Schmerz auf, als eine Woge intensiver Hitze über sein ungeschütztes Gesicht strich, und Charity richtete nicht annähernd so viel Schaden an wie beim erstenmal. Hastig reduzierte sie den Energieausstoß der Waffe wieder, zielte sorgfältig und schoß, zwei-, drei-, vier-, fünfmal hintereinander, bis es ihr endlich gelungen war, Skudder so weit loszuschneiden, daß er sich aus eigener Kraft befreien konnte. Was von der Amöbe übrig war, bewegte sich weiter, jetzt aber deutlich langsamer als zuvor.
Skudder kroch auf Händen und Knien auf Charity zu.
Er wollte etwas sagen, brachte aber nur ein qualvolles Würgen hervor.
Erst jetzt entdeckte Charity die beiden dünnen, blutigen Linien, dies sich um Skudders Hals zogen. Sein Körper war durch den Anzug geschützt gewesen, doch auf der bloßen Haut richteten die Nesselfäden der Kreatur offenbar verheerende Schäden an.
Erneut versuchte Skudder, irgend etwas hervorzubringen, hob dann statt dessen die Hand und gestikulierte heftig auf einen Punkt hinter ihr. Das Entsetzen in seinen Augen sagte genug.
Charity ließ sich blitzschnell zur Seite fallen, schwenkte ihre Waffe herum und schob noch während der Bewegung den Energieregler bis zum Anschlag hoch. Als der Laser sich entlud, pumpte er im Bruchteil einer Millisekunde so viel Energie in den Körper der zweiten Amöbe, daß Charity ihr Apartment auf der Erde ein halbes Jahr lang hätte beleuchten können. Das bizarre Geschöpf flammte auf und zerfiel zu Schlacke, und Charity hatte gerade noch Zeit, die Arme schützend vor das Gesicht zu reißen, bevor die reflektierte Hitze über ihr zusammenschlug.
Ohne den erbeuteten Anzug hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Die Hitze strich über ihr Gesicht wie eine unsichtbare, weißglühende Hand, versengte ihre Haut und ließ ihre Augenbrauen zu Asche zerfallen. Es dauerte fast zehn Sekunden, bevor die Schmerzen so weit abgeklungen waren, daß Charity es wagte, die Augen wieder zu öffnen und sich aufzusetzen.
Die Amöbe, auf die sie geschossen hatte, war vollkommen verbrannt, und Skudder hatte die letzten Sekunden dazu benutzt, seine eigene Waffe wieder aufzuheben und auch das zweite Monster zu erledigen.
»Das war reichlich knapp«, sagte er. »Bist du verletzt?«
Charity tastete mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht. Ihre Haut fühlte sich heiß und trocken an. Sie würde wahrscheinlich ein paar hübsche Brandblasen bekommen, schien aber nicht ernsthaft verletzt zu sein. Sie schüttelte den Kopf.
»Dann laß uns verschwinden«, sagte Skudder. »Bevor noch mehr von diesen Viechern kommen.«
Charity versuchte es. Als sie ihr rechtes Bein belastete, explodierte ein grausamer Schmerz in ihrem Knie. Sie wäre gestürzt, hätte Skudder sie nicht blitzschnell aufgefangen.
»Verdammter Mist!« fluchte Skudder. »Das hat gerade noch gefehlt! Was ist mit deinem Bein? Gebrochen?«
»Ich weiß nicht«, stöhnte Charity. »Es tut höllisch weh.«
Von Skudder gestützt, ließ sie sich an der Wand herab wieder zu Boden sinken und streckte das Bein aus. Der Schmerz in ihrem Knie pochte beinahe unerträglich.
Skudder ließ sich vor Charity in die Hocke sinken und tastete schnell - und alles andere als vorsichtig - ihr Bein ab.
»Gebrochen scheint es nicht zu sein«, sagte er. »Wahrscheinlich gezerrt. Oder verstaucht. Wußtest du, daß das schlimmer weh tut als ein glatter Bruch?« Bildete sie es sich ein, oder war da tatsächlich ein leiser Unterton von Schadenfreude in seiner Stimme?
»Hilf mir auf!« befahl sie.
»Du bist verrückt!« sagte Skudder. »Du -«
»Hilf mir, verdammt!«
Skudder starrte sie eine Sekunde lang an, dann zuckte er mit den Schultern und zog sie reichlich unsanft in die Höhe. Der Schmerz trieb Charity die Tränen in die Augen, aber sie schluckte jeden Laut hinunter, biß die Zähne zusammen und stützte sich schwer auf Skudders Arm.
Die ersten Schritte waren die Hölle, doch nach einigen Augenblicken wurde es besser. Skudders flüchtige Diagnose schien richtig zu sein. Ihr Bein war nicht gebrochen. Aber es tat höllisch weh.
»Okay«, sagte Skudder nach einer Weile. »Wir spielen also die eiserne Lady, was? Meinetwegen. Hast du auch eine Idee, wohin du humpeln möchtest?«
»Du hast das Ding doch selbst entdeckt.«
Skudder lachte.
»Es ist mindestens eine Meile weit! Das schaffst du nie!«
»Dann laß mich hier«, erwiderte Charity. »Jemand muß herausfinden, was hier vor sich geht.«
»Abgelehnt«, sagte Skudder.
»Ich könnte es dir befehlen.«
»Das könntest du«, sagte Skudder. »Aber es würde nichts nutzen.«
»Skudder, sei vernünftig!« sagte Charity. »Wir wissen nicht einmal genau - paß auf!«
Die letzten beiden Worte hatte sie geschrien. Trotzdem kam die Warnung beinahe zu spät...
Sie hatten eine Biegung des Grabens erreicht. Dahinter wartete eine weitere, diesmal viel größere Amöbe. Ihre zuckenden Tentakel verfehlten Skudder buchstäblich um Haaresbreite, doch Charity hatte nicht so viel Glück. Skudder prallte zurück und zerrte sie mit sich, und sofort wickelte sich einer der dünnen Fangarme um Charitys unverletztes Bein und hielt sie mit eiserner Kraft fest.