»Gouverneur, Gurk ist ein alter Freund«, sagte sie. »Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet, und dasselbe gilt für Skudder, General Hartmann und noch ein paar andere in diesem Raum. Ohne Gurk hätten wir den Kampf gegen die Moroni vielleicht nicht gewonnen. Ich verbürge mich für ihn!«
»Und was tut er hier?« fragte Drasko.
»Warum fragen Sie ihn nicht selbst?« antwortete Charity ärgerlich, hob aber gleichzeitig die Hand und schnitt Drasko das Wort ab, als dieser etwas erwidern wollte. »Dürfte ich vorher fragen, welchen Zweck diese... Zusammenkunft hat?«
»Nennen wir es eine Bestandsaufnahme«, sagte Hartmann rasch.
Er bedachte Drasko mit einem raschen, eindeutig ermahnenden Blick, dann deutete er einladend auf zwei leere Stühle zu seiner Linken. Während Charity und Gurk sich in Bewegung setzten, registrierte sie zum erstenmal, daß der Rat nicht vollzählig war.
Außer Seybald, der bei dem Angriff auf Skytown ums Leben gekommen war, fehlten noch mindestens vier oder fünf weitere Mitglieder der Ratsversammlung. Charity sagte nichts dazu, hoffte aber inständig, daß die übrigen Ratsmitglieder nur aus irgendwelchen Gründen verhindert und nicht bei dem Angriff auf die Basis ums Leben gekommen waren. Drasko richtete mit wütenden Bewegungen seinen Stuhl wieder auf und ließ sich darauffallen. Er bemühte sich, Charity und vor allem Gurk mit Blicken zu durchbohren, sagte aber zu ihrer Erleichterung nichts mehr.
»Also«, begann Charity. »Leider fehlen mir ein paar Stunden. Wie ist die Lage?«
»Sie haben nicht noch einmal angegriffen, falls du das meinst«, antwortete Hartmann. »Aber das ist auch schon alles, wenn du nach positiven Neuigkeiten fragst.«
»So schlimm?« fragte Charity erschrocken.
»Schlimmer«, antwortete Hartmann. »Wir haben immer noch keinen vollständigen Überblick über das gesamte Ausmaß der Schäden. Aber sie haben uns ziemlich übel erwischt.«
»Was genau heißt das?«
»Wollen Sie eine exakte Aufstellung?« fragte Drasko.
»Gouverneur, bitte!«
Hartmann hob besänftigend die Hand und wandte sich gleich darauf mit einem resignierenden Kopfschütteln an Charity.
»Es ist schlimm, mehr läßt sich im Moment noch nicht sagen«, erklärte er. »Noch einen Angriff wie diesen stehen wir jedenfalls nicht durch, das ist so ziemlich das einzige, was ich im Moment genau sagen kann.« Er atmete hörbar ein und schaute Gurk an. »Müssen wir damit rechnen? Mit einem weiteren Angriff, meine ich.«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Gurk. Es klang ehrlich.
»Aber du weißt, wer sie sind.«
»Nein«, sagte Gurk.
Drasko lachte. »Was für eine Überraschung.«
»Bitte, Gouverneur!«
Hartmanns Stimme klang eine Spur schärfer als vorhin, doch als er sich dann wieder an Gurk wandte, hatte er sich bereits wieder in der Gewalt. »Du weißt nicht, wer sie sind? Du bist doch in einem Schiff der Fremden hierher gekommen.«
»Ich hätte mir ein Taxi gerufen, aber ich hatte kein Kleingeld«, antwortete Gurk schnippisch. Er wackelte mit dem Kopf. »Ich weiß kaum mehr über sie als ihr. Vielleicht sogar weniger. Aber sie sind euch ziemlich ähnlich, wißt ihr? Sie haben mich sofort geschnappt und in eine ihrer gemütlichen Gefängniszellen gesteckt.«
Charity gestand sich ein, daß es wahrscheinlich ein Fehler gewesen war, Gurk mit hierherzubringen.
Sie hätte die Versammlung sausen lassen und sich zuallererst einmal allein mit Gurk unterhalten sollen.
»Das ist doch grotesk!« stieß Drasko hervor. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß Sie von diesem... Wesen irgend etwas erfahren werden, Captain Laird? Wenn Sie mich fragen, ist er hierher geschickt worden, um zu spionieren.«
»Er hat Hartmanns Familie gerettet«, gab Dubois zu bedenken.
»Und damit sicherlich das Vertrauen des Generals errungen«, sagte Drasko grimmig. »Bitte, verzeihen Sie, General - ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich bezweifle, daß Sie in dieser Angelegenheit objektiv urteilen können.«
»Vielleicht kann ich es ja«, schaltete Dubois sich wieder ein, ehe Hartmann antworten konnte. »Ich kenne Gurk ebenfalls. Es stimmt, was Captain Laird gesagt hat. Gurk war uns eine unschätzbare Hilfe im Kampf gegen die Besatzer. Ohne ihn hätten wir es vielleicht wirklich nicht geschafft. Auf jeden Fall hätte der Kampf sehr viel mehr Opfer gefordert.«
»Und Sie haben sich nie gefragt, warum er Ihnen geholfen hat?« Drasko schnaubte. »Vielleicht hat er Ihnen damals ja geholfen, die Moroni zu vertreiben, um Platz für seine Leute zu schaffen.«
»Das ist absurd«, sagte Charity.
Die Situation begann zu eskalieren, schlimmer noch: Sie begann ihr zu entgleiten. Nicht, daß Charity sie jemals wirklich beherrscht hätte.
»Finden Sie?« Draskos Stimme war schroff und ironisch zugleich. Wieder stand er auf, diesmal nicht so abrupt, daß sein Stuhl umfiel, aber trotzdem auf eine Art und Weise, die seine Entschlossenheit deutlich machte. »Ich traue jedenfalls niemandem, der nicht auf diesem Planeten geboren worden ist und über dessen Motivationen ich nichts weiß. Ich werde diese Versammlung verlassen.«
Und damit drehte er sich ohne ein weiteres Wort herum und ging.
Charity und Hartmann starrten ihm fassungslos hinterher.
Skudder, der außergewöhnlich schweigsam war - wie immer in einer Situation wie dieser -, schüttelte nur stumm den Kopf, und auch Dubois und Harris wirkten ziemlich verwirrt. Aber Charity entging auch nicht die Reaktion auf den Gesichtern einiger der anderen. Niemand zeigte offene Zustimmung - doch Charity war fast sicher, daß der eine oder andere es gerne getan hätte.
»Was ist denn in den gefahren?« murmelte Dubois kopfschüttelnd.
»Wir sind alle ein bißchen nervös«, sagte Hartmann. »Angesichts dessen, was in den vergangenen Tagen passiert ist, kann man das ja auch beinahe verstehen. Ich schlage vor, daß wir uns alle ein wenig zusammenreißen und versuchen, dort weiter zu machen, wo wir unterbrochen worden sind.«
Er warf einen fragenden Blick in die Runde. Als niemand widersprach, fuhr er fort: »Wie ich bereits sagte, wissen wir leider immer noch nicht, wer die Fremden sind, oder woher sie kommen. Geschweige denn, warum sie uns angegriffen haben.«
Charity war nicht die einzige, die Gurk fragend anschaute, doch der Zwerg erwiderte ihren Blick gelassen und ohne mit der Wimper zu zucken.
Hartmann fuhr fort: »Aber das bedeutet nicht, daß wir nichts über sie wissen.«
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte Gurk.
Charity warf ihm einen warnenden Blick zu, und Hartmann behandelte ihn so, wie er es immer schon getan hatte: Er beachtete ihn gar nicht.
»Die Fremden sind eindeutig humanoid«, fuhr Hartmann fort. »Und das ist nicht die einzige Ähnlichkeit mit uns. Sie atmen eine Atmosphäre, die ein wenig sauerstoffhaltiger ist als die der Erde, ihr im großen und ganzen aber entspricht. Und auch die Technik der Fremden ist der irdischen ähnlich. Nicht identisch, aber ähnlich.«
»Den Eindruck hatte ich nicht«, sagte Harris. »Wenn es Ihnen nicht gelungen wäre, den Störsender zu eliminieren, hätten sie uns fertig gemacht.«
»Das mag sein«, antwortete Hartmann. »Trotzdem ist der Unterschied nicht so gewaltig, wie es aussieht, glauben Sie mir. Warten Sie zwanzig Jahre, und wir sind genau so weit. Ihre Schiffe sind etwas schneller als unsere, ihre Waffen etwas effektiver, ihre Schutzschirme etwas leistungsfähiger... aber die Betonung liegt eindeutig überall auf dem Wort etwas. Glauben Sie mir - wir haben dort oben ein paar Runden mit ihnen im Ring gestanden.«