Wenn solche Geschäfte über öffentliche Kommunikationseinrichtungen abgewickelt wurden, hatte es sich als praktisch erwiesen, die wirklich großen Transaktionen als alltägliche Mini-Deals zu tarnen. Bei so geringen Mengen wie denen, von denen hier die Rede war, konnte man sogar einen Deal nach dem anderen abziehen, ohne daß sich die Behörden darum gekümmert hätten; falls die Behörden auf jeden kleinen Deal reagieren wollten, würden die Drogenfahnder pausenlos Tag und Nacht unterwegs sein müssen, um Apartments und Häuser, ja sogar ganze Straßenzüge zu durchsuchen – und dabei doch so gut wie nichts erreichen.
»Zehn«, murmelte Donna gereizt.
»Mensch, mir geht der Arsch wirklich langsam auf Grundeis«, sagte Arctor wie ein mieser kleiner Süchtiger. Nicht wie ein Dealer. »Ich werd’s dir später zurückzahlen, wenn ich mir wieder was beschafft hab. «
»Nein«, sagte sie hölzern. »Ich geb’ sie dir gratis. Zehn.«
Zweifellos dachte sie jetzt intensiv darüber nach, ob er wohl wirklich selber dealte. Vielleicht tat er’s. »Zehn. Okay, warum nicht? Sagen wir … in drei Tagen?«
»Nicht früher?«
»Die sind –«
»Okay«, sagte er.
»Ich schau’ bei dir rein.«
»Um wieviel Uhr?«
Sie rechnete nach. »Sagen wir, gegen acht Uhr abends. Hey, ich muß dir unbedingt ein Buch zeigen, das ich neu hab’. Jemand hat’s im Laden vergessen. Es ist echt irre. Hat was mit Wölfen zu tun. Weißt du, was Wölfe manchmal machen? Der Wolfsrüde? Wenn er seinen Gegner besiegt hat, macht er ihn nicht alle – er pißt einfach auf ihn drauf. Echt! Er steht da und pißt auf den besiegten Gegner und haut dann ab. Das ist alles. Hauptsächlich kämpfen sie um ihre Territorien. Und um das Recht, zu bumsen, weißt du.«
Arctor sagte: »Ich hab’ kürzlich auch’n paar Leute angepißt.«
»Ehrlich? Wie denn das?«
»Metaphorisch. «
»Nicht so, wie man’s sonst macht?«
»Ich meine«, sagte er, »ich hab’ ihnen gesagt –« Er unterbrach sich mitten im Satz. Er quatschte mal wieder zuviel, und außerdem war er hier Bob Arctor und nicht Fred. Herr im Himmel, dachte er. »Diese blöden Macker«, sagte er, »diese Motorradfreaks, du weißt schon. Die immer drüben beim Foster’s Freeze rumhängen. Ich schlendere da also nichtsahnend vorbei, und einer von den Typen schiebt ‘ne blöde Bemerkung raus. Da bin ich eben stehengeblieben und hab’ ihnen gesagt –«
»Du kannst es mir ruhig verraten«, sagte Donna, »selbst wenn’s superunanständig ist. Man muß diesen Motorradfreaks schon was Superunanständiges vor den Latz knallen, sonst checken die’s sowieso nicht.«
Arctor sagte: »Ich hab’ ihnen erzählt, ich würd’ lieber auf ‘ne Schnalle klettern als auf einen Riemen. Jederzeit sogar.«
»Du, den Witz hab’ ich jetzt aber nicht so ganz mitgekriegt. «
»Na, ‘ne Schnalle ist ‘ne Puppe, und ‘n Riemen –«
»Oh yeah. Hab’ schon kapiert. Würg kotz.«
»Wir treffen uns dann bei mir zu Hause, wie verabredet«, schloß Arctor. »Tschüss.« Er wollte auflegen.
»Kann ich dir dieses Buch über die Wölfe mitbringen und dir mal zeigen? Es ist von Konrad Lorenz. Auf dem Klappentext steht, daß er die bedeutendste Autorität für Wölfe auf der ganzen Welt war. Ach ja, und noch was. Deine Kumpel sind heute zu mir in den Laden gekommen, Ernie Wie-heißt-er-doch-gleich und dieser Barris. Sie haben dich gesucht, weil du –«
»Was wollten sie denn?«
»Dein Cephalochromoskop, für das du neunhundert Dollar hingeblättert hast und das du immer anschaltest und laufen läßt, wenn du nach Hause kommst – Ernie und Barris haben die ganze Zeit nur davon gelabert. Sie haben versucht, es heute zu benutzen, aber es wollte einfach nicht funktionieren. Keine Farben und keine Ceph-Muster, nichts. Darum haben sie Barris’ Werkzeugkasten geholt und die Bodenplatte abgeschraubt.«
»Sag mal, ich hör’ wohl nicht recht?« sagte er aufgebracht.
»Und sie haben erzählt, daß irgendwer es vermackelt hat. Regelrecht sabotiert. Zerschnittene Kabel und all so ‘n Zeug – das totale Chaos. Kurzschlüsse und kaputtgeschlagene Teile. Barris sagte, er hätte versucht –«
»Ich geh’ sofort heim«, sagte Arctor und legte auf. Mein bestes Stück, dachte er bitter. Und dieser Idiot Barris pfuscht auch noch daran herum. Aber ich kann ja jetzt gar nicht so einfach nach Hause gehen, fiel ihm plötzlich ein. Ich muß hinüber zum Neuen Pfad, um herauszufinden, was da eigentlich läuft.
Das war nun einmal seine Aufgabe. Und der konnte er sich nicht entziehen.
III
Auch Charles Freck hatte schon daran gedacht, sich der Obhut des Neuen Pfades anzuvertrauen. Jerry Fabins Ausflippen hatte ihn ganz schön fertiggemacht.
Freck saß mit Jim Barris in Fiddlers Kaffeestube Nummer Drei in Santa Ana und spielte mürrisch mit seinem zuckerglasierten Doughnut herum. »Das ist wirklich eine schwierige Entscheidung«, sagte er. »Die lassen dich doch voll auf Cold Turkey gehen. Sie bleiben nur Tag und Nacht bei dir und passen auf, daß du dich nicht selbst allemachst oder dir den Arm abbeißt, aber sie geben dir nie was. Ich meine, was ein Doktor verschreiben würde. Valium zum Beispiel.«
Kichernd inspizierte Barris sein Sandwich, das auf der Speisekarte unter dem hübschen Namen Patty Melt – Schmelzpastetchen – firmierte und aus zerlaufenem Käseimitat und einem steinharten Klumpen Syntho-Rindfleisch auf speziellem organischen Brot bestand. »Was für eine Brotsorte ist das?« fragte er.
»Schau auf die Speisekarte«, sagte Charles Freck. »Da steht’s.«
»Wenn du reingehst«, sagte Barris, »werden sich bei dir eine Reihe von Symptomen einstellen, die aus Abwehrreaktionen bestimmter basischer Körperflüssigkeiten – besonders jener, die im Gehirn lokalisiert sind – herrühren. Damit meine ich natürlich die Katecholamine wie etwa Noradrenalin und Seratonin. Sieh mal, das funktioniert so: Substanz T – eigentlich alle suchtbildenden Rauschgifte, aber Substanz T steht da an erster Stelle – interagiert mit den Katecholaminen, und zwar auf subzellularer Ebene, so daß es zu einer biostrukturellen Anpassung der Katecholamine an Substanz T und damit schlußendlich zu einer Abhängigkeit kommt, die sich im Prinzip nie mehr rückgängig machen läßt.« Er nahm einen großen Bissen von der rechten Hälfte seines Patty Melt. »Früher glaubten die Wissenschaftler, daß so etwas nur bei den Alkaloid-Narkotika wie etwa Heroin eintreten könne.«
»Ich hab’ mir nie Smack geschossen. Das bringt dich echt runter.«
Die Kellnerin, aufregend und hübsch anzuschauen in ihrer Uniform, kam herüber zu ihrem Tisch. Ihre Titten wippten keck bei jedem Schritt. »Hi«, sagte sie. »Alles in Ordnung?«
Charles Freck blickte erschrocken auf.
»Heißt du Patty?« fragte Barris sie und gab gleichzeitig Freck ein Zeichen, daß alles cool sei.
»Nein.« Sie wies auf das Namensschild auf ihrer rechten Titte. »Beth.«
Ich möchte zu gerne wissen, wie die linke heißt, dachte Charles Freck.
»Die Kellnerin, die uns beim letzten Mal bedient hat, hieß Patty«, sagte Barris und musterte die Kellnerin mit einem unanständigen Blick. »Genauso wie das Sandwich.«
»Die kann wohl kaum was mit dem Sandwich zu tun gehabt haben. Ich glaube, sie schreibt sich mit einem i.«
»Mensch, ich finde heute alles super dufte«, sagte Barris. Über seinem Kopf konnte Charles Freck eine Denkblase sehen, in der Beth zuerst einen aufreizenden Striptease aufs Parkett legte und dann lüstern ihr Becken kreisen ließ. Ihr Bär schien ihnen geradezu zuzuwinken.
»Hat sich was mit super dufte«, sagte Charles Freck. »Ich hab’ ‘ne Menge Probleme, die außer mir niemand hat.« Mit schwermütiger Stimme sagte Barris: »Du würdest gar nicht glauben, wie viele Leute die gleichen Probleme haben wie du. Und es werden mit jedem Tag mehr. Unsere Welt ist krank, und es wird immer schlimmer mit ihr.« Die Bilder in der Denkblase über seinem Kopf wurden ebenfalls immer schlimmer.