»Möchten Sie nicht vielleicht ein Dessert bestellen?« fragte Beth und lächelte auf die beiden hinab.
»Was gibt’s denn?« erkundigte sich Charles Freck mißtrauisch.
»Wir haben frischen Pflaumenkuchen und frische Pfirsichtörtchen«, sagte Beth lächelnd. »Die machen wir hier selbst.«
»Nein, wir möchten keinen Nachtisch«, sagte Charles Freck. Die Kellnerin ging wieder. »Das ist was für alte Omas«, sagte er zu Barris, »diese Obstkuchen.«
»Der Gedanke, dich freiwillig zur Entziehung zu melden«, sagte Barris, »macht dich sicher kribbelig. Du hast eine panische Angst davor, daß dich dort nur endlose negative Symptome erwarten. Das ist die Einflüsterung der Droge, die sich meldet, um dich vom Neuen Pfad fernzuhalten, und dich daran hindern will, dich von ihr zu lösen. Du siehst, alle Symptome haben eine Bedeutung, ganz gleich, ob sie nun positiv oder negativ sind.«
»Echt?« murmelte Charles Freck.
»Die negativen Symptome manifestieren sich als blanke Gier, die gezielt vom gesamten Körper erzeugt wird, um den Besitzer dieses Körpers – in diesem Falle also dich – dazu zu zwingen, verzweifelt –«
»Wenn du zum Neuen Pfad kommst«, sagte Charles Freck, »schneiden sie dir als erstes den Pimmel ab. Eine pädagogische Maßnahme zur Einstimmung auf dein zukünftiges Leben. Und dann machen sie in dem Stil weiter.«
»Als nächstes kommt die Galle dran«, sagte Barris.
»Wieso denn das? Was macht so eine Galle eigentlich?«
»Hilft dir dabei, dein Essen zu verdauen.«
»Und wie?«
»Indem sie die Zellulose daraus entfernt.«
»Und danach kriegt man vermutlich –«
»Genau. Nur noch Nahrungsmittel ohne Zellulosegehalt. Keine Blätter und kein Häcksel mehr.«
»Und wie lange kann man auf die Art am Leben bleiben?«
Barris sagte: »Das kommt auf deine körperliche Konstitution an.«
»Wie viele Gallen hat der Durchschnittsmensch?« Freck wußte, daß jeder Mensch für gewöhnlich zwei Nieren hatte.
»Scheint ganz vom Alter abzuhängen. Ich vermute, daß ihre Anzahl mit der Zeit zunimmt.«
»Wieso?«
In Charles Freck keimte ein schlimmer Verdacht.
»Tja, je älter die meisten Menschen werden, desto verbitterter werden sie auch. Wenn einer erst mal achtzig ist –«
»Sag mal, du willst mich wohl verarschen?«
Barris lachte. Charles Freck hatte Barris’ Lachen schon immer seltsam gefunden. Ein unwirkliches Lachen, dachte er, ganz so, als ob etwas zerbricht. »Wieso hast du dich eigentlich so plötzlich entschlossen«, sagte Barris übergangslos, »dich freiwillig zu einer stationären Behandlung in ein Zentrum für Drogenrehabilitation zu begeben?«
»Jerry Fabin«, sagte Freck.
Barris winkte mit der Hand ab und sagte: »Jerry war ein besonderer Fall. Ich hab’ einmal beobachtet, wie Jerry Fabin herumtorkelte und dann hinfiel und sich von oben bis unten vollschiß. Er wußte nicht mehr, wo er war, und er versuchte, mich dazu zu kriegen, nachzuschauen und herauszufinden, welches Gift er erwischt hatte; höchstwahrscheinlich Thaliumsulfat … das wird in Insektiziden verwendet und bei der Rattenbekämpfung. Muß ein Racheakt gewesen sein – jemand wollte ihm was heimzahlen. Ich kenne mindestens zehn verschiedene Toxide und Gifte, die diese Wirkung –«
»Es gibt noch einen anderen Grund«, sagte Charles Freck. »Mein Vorrat geht schon wieder zur Neige, und ich kann’s nicht mehr aushalten, ewig auf dem letzten Loch zu pfeifen und nicht zu wissen, wie ich jemals wieder neuen Stoff in die Finger kriegen soll. Scheißdreck.«
»Tja, wer kann schon sicher sein, den nächsten Sonnenaufgang zu erleben?«
»Ach Scheiße – ich bin jetzt so abgebrannt, daß es praktisch nur noch eine Sache von Tagen ist. Und außerdem … ich glaube, daß ich dauernd beklaut werde. Ich kann die Dinger doch nicht soooo schnell nehmen; irgend ein Scheißer muß sich hinter meinem Rücken von meinem Stash bedienen.«
»Wie viele Tabletten pfeifst du eigentlich jetzt jeden Tag ein?«
»Schwer zu sagen. Aber jedenfalls nicht soooo viele.«
»Du weißt, daß sich ein Gewöhnungseffekt einstellt und man hinterher immer mehr braucht.«
»Sicher, richtig, aber doch nicht in einem solchen Ausmaß. Ich kann das nicht mehr ertragen, dieses ewige auf dem trockenen sitzen und all das. Andererseits …« Er überlegte einen Augenblick lang. »Ich glaube, ich hab’ da ‘ne neue Quelle. Diese Puppe, Donna. Donna Irgendwas.«
»Ach, Bobs Mädchen.«
»Seine Alte«, sagte Charles Freck nickend.
»Nein, er hat’s noch nie geschafft, ihr zwischen die Beine zu kommen. Er versucht’s nur immer wieder …«
»Ist sie zuverlässig?«
»In welcher Hinsicht? Beim Ficken oder –« Barris führte zur Verdeutlichung die Hand zum Mund und schluckte.
»Was für ‘ne Art von Sex is’n das?« Dann dämmerte es Freck. »Oh, yeah, letzteres.«
»Ziemlich zuverlässig. Vielleicht ein bißchen flatterhaft. Wie man das halt bei einer Puppe erwarten kann, besonders bei denen, die nicht so helle sind. Die hat ihr Gehirn zwischen den Beinen, wie die meisten. Vielleicht bewahrt sie da auch ihren Stash auf.« Er kicherte. »Und dazu vielleicht auch noch den ganzen Stoff, mit dem sie dealt, wer weiß?«
Charles beugte sich zu ihm hinüber. »Arctor hat Donna nie gebumst? Er redet aber über sie, als hätt’ er’s getan.«
Barris sagte: »Das ist typisch Bob Arctor. Der redet viel, wenn der Tag lang ist. Aber da stimmt nichts von, überhaupt nichts.«
»Woran liegt’s, daß er sie nie flachgelegt hat? Kriegt er keinen hoch?«
Barris dachte angestrengt nach, wobei er immer noch mit seinem Patty Melt herumspielte; er hatte ihn mittlerweile in kleine Stücke gerissen. »Donna hat Probleme. Vielleicht schießt sie Junk. Sie hat eine Aversion gegen jede Art von körperlichem Kontakt – du weißt doch bestimmt, daß Junkies das Interesse am Sex verlieren, weil ihre Sexualorgane durch Gefäßverengung anschwellen. Und bei Donna zeigt sich, wie ich beobachten konnte, ein widernatürlicher Mangel an sexueller Erregbarkeit. Und das nicht nur, wenn sie mit Arctor zusammen ist, sondern auch …« Er unterbrach sich verdrießlich. »Auch mit anderen Männern.«
»Scheiße, du meinst einfach, daß es bei ihr nicht richtig losgeht?«
»Oh, sie würde schon auf Touren kommen«, sagte Barris, »wenn man sie richtig anheizen würde. Zum Beispiel …« Er blickte Freck mit einem geheimnisvollen Augenaufschlag an. »Ich kann dir zeigen, wie man sie für 98 Cent dazu kriegen kann, die Beine breit zu machen.«
»Ich will sie gar nicht flachlegen. Ich will nur bei ihr kaufen.« Freck fühlte sich unbehaglich. Barris hatte eine Art an sich, die ihm stets ein flaues Gefühl bescherte. »Wieso gerade für 98 Cent?« sagte er. »Sie würde kein Geld dafür nehmen; so eine ist sie nicht. Und überhaupt, schließlich ist sie Bobs Puppe.«
»Nun, es wäre nicht im eigentlichen Sinne eine finanzielle Transaktion«, sagte Barris in seinem präzisen, gelehrten Stil. Er beugte sich zu Charles Freck hinüber. Seine haarigen Nasenlöcher zuckten vor heimtückischem Vergnügen. Und nicht nur das – auch seine Sonnenbrille schien plötzlich in einem intensiveren Grün zu leuchten. »Donna schnieft Coke. Sie würde ganz unzweifelhaft die Beine für jeden breitmachen, der ihr ein Gramm Coke gibt – besonders, wenn diesem Coke durch streng wissenschaftliche Prozeduren ganz bestimmte, exorbitant seltene chemische Substanzen beigemengt worden wären. Und meine gewissenhaften Grundlagenforschungen haben mich zu einem Spezialisten für eben diese raren Stoffe werden lassen.«