»Ich wäre froh, wenn du nicht so reden würdest«, sagte Charles Freck. »Über Donna, meine ich. Und überhaupt wird ein Gramm Coke derzeit für über hundert Dollar gehandelt. Wer hat schon so viele Flöhe?«
Barris unterdrückte ein Niesen und verkündete triumphierend: »Ich kann ein Gramm reines Kokain derivieren, ohne daß die Gesamtkosten für die Ingredienzien, die ich dazu benötige – die Apparaturen in meinem Labor nicht eingerechnet – mehr als einen Dollar betragen.«
»Du tickst wohl nicht mehr richtig. «
»Ich kann es dir auf der Stelle vorführen.«
»Und woher kommen diese Bestandteile?«
»Aus dem 7-11-Kolonialwarenladen«, sagte Barris und kam stolpernd auf die Füße. In seiner Erregung wischte er ein Stückchen vom Patty Melt vom Tisch. »Bezahl die Rechnung«, sagte er, »und ich werd’s dir zeigen. Ich hab’ mir zu Hause ein provisorisches Laboratorium eingerichtet, mit dem ich arbeite, bis ich mir ein besseres leisten kann. Du kannst mir dabei zusehen, wie ich ein Gramm Kokain aus gesetzlich erlaubten Stoffen extrahiere, die im 7-11-Laden für weniger als einen Dollar öffentlich feilgeboten werden.« Er marschierte auf den Durchgang los. »Komm.« Seine Stimme klang drängend.
»Okay«, sagte Charles Freck. Er nahm die Rechnung und folgte Barris. Der Knabe hat ja ‘n Schlag schräg, dachte er. Oder etwa doch nicht? Schließlich macht er dauernd chemische Experimente – und was er so alles in der Bezirksbücherei liest … Vielleicht ist ja doch etwas an der Sache dran? Stell dir mal den Profit vor, sagte er sich. Stell dir vor, wie wir absahnen könnten!
Er eilte an der Kassiererin vorbei hinter Barris her, der im Gehen die Schlüssel für seinen Karmann Ghia aus den Taschen seines modischen Anzugs holte.
*
Sie stellten den Wagen auf dem Parkplatz des 7-11 ab, stiegen aus und gingen hinein. Wie gewöhnlich stand ein großer, schweigsamer Bulle an der vorderen Theke und tat so, als sei er in die Lektüre eines Sportmagazins vertieft; Charles Freck wußte, daß der Bulle natürlich in Wirklichkeit alle Eintretenden genau musterte, um abzuschätzen, ob sie vielleicht vorhaben mochten, den Laden zu überfallen.
»Was willst du hier eigentlich kaufen?« fragte er Barris, der scheinbar ziellos durch die Korridore zwischen den Bergen von Konservendosen schlenderte.
»Eine Sprühdose«, sagte Barris. »Solarcaine.«
»Ein Sonnenschutzspray?« Charles Freck glaubte nicht wirklich daran, daß diese ganzen Ereignisse Realität waren. Aber andererseits, was wußte er schon? Wer konnte sich da sicher sein? Er folgte Barris zur Kasse; dieses Mal bezahlte Barris.
Sie kauften die Dose Solarcaine, schlängelten sich an dem Bullen vorbei und gingen zurück zum Wagen. Barris steuerte den Karmann rasch vom Parkplatz und lenkte ihn die Straße hinunter. Er fuhr fast pausenlos mit Vollgas, ohne sich um die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu kümmern, bis er schließlich den Wagen auf der Auffahrt vor Bob Arctors Haus ausrollen ließ, wo unzählige alte Zeitungen, die nie jemand gelesen hatte, im hohen Gras des Vorhofes herumlagen.
Als sie ausstiegen, nahm Barris einige Gegenstände, von denen Kabel herabbaumelten, vom Rücksitz, um sie nach drinnen mitzunehmen – Voltmeter, andere elektronische Prüfgeräte und dazu einen Lötkolben, wie Charles Freck erkannte. »Wofür brauchst du denn das?« erkundigte er sich.
»Ich muß einen langwierigen und mühseligen Job erledigen«, sagte Barris, während er die verschiedenen Gerätschaften und das Solarcaine den Weg hinauf zur Eingangstür trug. Er gab Charles Freck den Türschlüssel. »Und wahrscheinlich werde ich dafür nicht mal bezahlt. Wie das so üblich ist.«
Charles Freck schloß die Tür auf, und sie betraten das Haus. Zwei Katzen und ein Hund stürmten auf sie zu und begrüßten sie mit hoffnungsvollem Miauen und Bellen. Freck und Barris schoben sie sorgfältig mit ihren Stiefeln beiseite.
Im hintersten Winkel der Eßecke hatte Barris sich im Laufe der Zeit ein irres Laboratorium zusammengebaut, das hauptsächlich aus Flaschen und allem möglichen Schrott bestand, der ohne jede erkennbare Ordnung herumlag – aus lauter auf den ersten Blick wertlos wirkenden Objekten, die Barris aus den verschiedensten Quellen zusammengeklaubt hatte. Charles Freck wußte (denn er hatte sich das oft genug anhören müssen), daß Barris keinen Wert darauf legte, alles möglichst effektiv durchzuorganisieren, sondern vielmehr auf Spontaneität und Kreativität vertraute. Du solltest jederzeit in der Lage sein, dein Ziel mit dem ersten Ding zu erreichen, das dir in die Hand kommt, predigte Barris immer. Eine Heftzwecke, eine Büroklammer, ein Stück einer Apparatur, deren andere Teile kaputt oder verlorengegangen waren … Charles Freck kam es so vor, als ob sich hier eine Ratte häuslich eingerichtet hätte und nun dabei wäre, mit Materialien, wie Ratten sie eben schätzen, Experimente durchzuführen.
Der erste Schritt in Barris’ Arbeitsplan sah vor, einen Plastikbeutel aus der Rolle beim Ausguß zu holen und den Inhalt der Sprühdose in diesen Beutel hineinzuspritzen, bis die Kanne leer oder zumindestens das Treibgas erschöpft war.
»Das ist alles so unwirklich«, sagte Charles Freck. »Super unwirklich.«
»Die Hersteller«, sagte Barris fröhlich, während er arbeitete, »haben absichtlich das Kokain mit dem Öl gemischt, damit es nicht extrahiert werden kann. Aber meine chemischen Kenntnisse sind so weit vorangeschritten, daß ich exakt weiß, wie man das Coke vom Öl separiert.« Jetzt kippte er wie wild Salz in die klebrige, schleimige Masse im Innern des Beutels. Anschließend goß er alles in ein Glasgefäß. »Ich lasse es gefrieren«, kündigte er grinsend an, »und dadurch steigen die Kokain-Kristalle nach oben, weil sie leichter als Luft sind … äh, ich meine, leichter als das Öl. Den abschließenden Arbeitsschritt behalte ich natürlich für mich, aber ich kann dir immerhin verraten, daß es sich dabei um einen methodologisch hochkomplizierten Filtrierungsprozeß handelt.« Er öffnete den Gefrierschrank oberhalb des Eisschranks und stellte das Gefäß vorsichtig hinein.
»Und wie lange muß es da drin bleiben?« fragte Charles Freck.
»Eine halbe Stunde.« Barris holte eine seiner selbstgedrehten Zigaretten heraus, zündete sie an und schlenderte dann zu der Ansammlung elektronischer Meßgeräte. Gedankenversunken blieb er davor stehen und rieb sich sein bärtiges Kinn.
»Yeah«, sagte Charles Freck, »aber … hör mal, selbst wenn du ein ganzes Gramm puren Kokains herstellst, kann ich es doch nicht dazu benutzen, Donna zu … du weißt schon, sozusagen im Austausch dafür, daß ich ihr das Kokain gebe, zwischen ihre Beine zu kommen. Ich hätte dabei das Gefühl, sie zu kaufen; und darauf läuft’s doch letztlich auch hinaus.«
»Ein Austausch«, korrigierte Barris. »Du machst ihr ein Geschenk, und sie macht dir auch eins. Das kostbarste Geschenk, das eine Frau überhaupt machen kann.«
»Sie wird wissen, daß sie gekauft wurde.« Er kannte Donna immerhin gut genug, um das zu schnallen; Donna würde den Schwindel auf der Stelle entdecken.
»Kokain ist ein Aphrodisiakum«, murmelte Barris halb zu sich selbst; er baute gerade die Meßgeräte neben Bob Arctors Cephalochromoskop auf, Bobs teuersten Besitz. »Nachdem sie eine gute Prise davon geschnieft hat, wird sie auf Wolke Neun schweben, wenn du so gnädig bist, ihr einen reinzuschieben.«
»Scheiße, Mann«, protestierte Charles Freck. »Du sprichst über Bob Arctors Mädchen. Er ist schließlich mein Freund, und außerdem wohnen Luckman und du mit ihm zusammen.«
Barris hob für einen Moment seinen zottigen Kopf und ließ seine Augen nachdenklich auf Charles Freck ruhen. »Da gibt’s eine ganze Menge, was du nicht über Bob Arctor weißt«, sagte er. »Was keiner von uns weiß. Deine Sichtweite ist simplifizierend und naiv. Du glaubst ihm doch alles, was er dir erzählt.«
»Er ist schwer in Ordnung.«
»Sicher«, sagte Barris, nickend und grinsend. »Ohne jeden Zweifel. Einer der edelsten Menschen auf dem ganzen Erdenrund. Aber mir – oder besser: uns, und damit meine ich alle, die Arctor scharf und ohne Scheuklappen beobachtet haben – sind an ihm gewisse Widersprüche aufgefallen. Sowohl in seiner Persönlichkeitsstruktur als auch in seinem Benehmen. In der gesamten Art, wie er sein Leben lebt. Oder, um es mal so auszudrücken, in seinem angeborenen Stil.«