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Aber während er hier saß, nicht nur durch den Schreibtisch von Hank getrennt, fühlte er keine dieser Emotionen. Theoretisch konnte er alles, was er ab Zeuge miterlebt hatte, völlig teilnahmslos beschreiben. Oder sich teilnahmslos alles anhören, was Hank ihm erzählte.

Zum Beispiel konnte er jetzt beiläufig sagen: »Donna stirbt langsam an Hepatitis und benutzt ihre Nadel dazu, noch so viele ihrer Freunde mitzunehmen, wie sie eben kann. Ich würde empfehlen, daß wir sie unter Druck setzen, bis sie damit aufhört.« Seine eigene Puppe … falls er das beobachtet hatte oder wenigstens wußte, daß es zutraf. Oder: »Donna hat ein Mickymaus-LSD-Analog geschluckt und leidet jetzt unter akuter Gefäßverengung im letzten Stadium. Die Hälfte der Blutgefäße in ihrem Gehirn ist schon dicht.« Oder: »Donna ist tot.« Und Hank würde das seelenruhig notieren und vielleicht fragen: »Wer hat ihr den Stoff verkauft, und wo wird er hergestellt?« oder. »Wo ist die Beerdigung? Wir sollten auf jeden Fall die Autonummern registrieren und so die Namen der Leute herausfinden, die an der Beerdigung teilnehmen.« Und er, Fred, würde völlig emotionslos mit Hank darüber diskutieren.

Das war Fred. Aber später irgendwann verwandelte sich Fred wieder in Bob Arctor, irgendwo auf dem Bürgersteig zwischen dem Pizza-Schuppen und der Arco-Tankstelle (wo das Normalbenzin jetzt einen Dollar und zwei Cent pro Gallone kostete), und die fürchterlichen Farben sickerten wieder in ihn zurück, ob ihm das nun gefiel oder nicht.

Diese Verwandlung, die er in seiner Identität als Fred erlebte, war eine Art »Ökonomie der Leidenschaften«, Auch Feuerwehrleute und Ärzte und Leichenbestatter gingen bei ihrer Arbeit auf den gleichen Trip. Keiner von ihnen konnte alle paar Augenblicke aufspringen und losschreien; durch ein solches Verhalten würden sie sich zuerst selbst aufreiben und nutzlos werden und anschließend auch die Menschen in ihrer Umgebung fertigmachen. Und das gleichermaßen als Techniker während der Arbeitszeit und als Menschen in ihrem Privatleben. Jedes Individuum hat nur eine beschränkte Menge von Energie, über die es verfugen kann.

Hank zwang Fred diese Leidenschaftslosigkeit nicht auf; er gestattete ihm vielmehr, so zu sein. Um seinetwillen. Fred rechnete ihm das hoch an.

»Was ist mit Arctor?« fragte Hank.

Zu allem Überfluß erstattete Fred in seinem Jedermann-Anzug auch noch über sich selbst Bericht. Tat er das nicht, dann würde sein Vorgesetzter – und durch ihn die gesamte Behörde – gewahr werden, wer Fred war, Anzug oder nicht. Und die Spitzel, die die ST-Agentur in den Polizeiapparat eingeschleust hatte, würden der Agentur diese brandheiße Neuigkeit natürlich sofort melden. Und dann würde Fred, der als Bob Arctor in seinem Wohnzimmer saß und zusammen mit anderen Dopern Dope rauchte und Dope einpfiff, plötzlich entdecken, daß auch hinter ihm ein neunzig Zentimeter großer Killer auf einem Wägelchen herrodelte. Und er, Bob Arctor, würde nicht halluzinieren, wie Jerry Fabin das getan hatte.

»Arctor rührt sich im Moment nicht«, sagte Fred – seine Standardantwort. »Arbeitet bei der Briefmarkensammelstelle des Blauen Chip, schluckt täglich ein paar Tabletten Tod, der mit Methedrin gepanscht ist –«

»Ich bin mir da nicht so sicher.« Hank spielte mit einem Blatt Papier, das er aus dem Stoß vor sich gekramt hatte. »Wir haben hier einen Tip von einem Informanten, dessen Hinweise für gewöhnlich sauber sind, daß Arctor wesentlich mehr Geld zur Verfügung hat, als ihm die Leute vom Blauen Chip bezahlten. Wir haben deshalb dort angerufen und uns nach Arctors Nettoeinkommen erkundigt. Hoch ist es nicht. Und als wir dann nachhakten, um festzustellen, woran das liegt, da haben wir erfahren, daß er nicht die ganze Woche über dort arbeitet. Also muß Arctor einen Nebenverdienst haben, von dem wir bisher nichts wußten.«

»Ach wirklich?« sagte Fred niedergeschlagen. Er begriff natürlich, daß es sich bei dem »Nebenverdienst«, von dem Hank sprach, um die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Rauschgiftagent handelte. Jede Woche erhielt er von einer Maschine, die sich als Automat für Dr. Pepper’s Diät-Sprudel in einem mexikanischen Stehimbiss in Placentia tarnte, eine bestimmte Geldsumme in kleinen Scheinen – hauptsächlich Honorare für Informationen, die er geliefert hatte und die vor Gericht zu einem Schuldspruch geführt hatten. Manchmal war diese Summe außergewöhnlich groß, etwa dann, wenn dank Arctors Hilfe eine besonders große Lieferung Heroin abgefangen werden konnte.

Hank las nachdenklich weiter. »Unser Informant sagt weiter, daß Arctor unter geheimnisvollen Umständen kommt und geht, besonders gegen Sonnenuntergang. Wenn er zu Hause ankommt, ißt er zunächst und geht dann bald wieder weg, wobei er oft Gründe angibt, die Vorwände sein könnten. Manchmal verläßt er das Haus sogar in großer Hast. Aber er bleibt nie sehr lange weg.« Hank – oder genauer gesagt: der Jedermann-Anzug – schaute auf und blickte Fred an. »Haben Sie das schon einmal beobachtet? Können Sie die Angaben unseres Informanten bestätigen? Lassen sich irgendwelche Schlüsse daraus ziehen?«

»Höchstwahrscheinlich geht er zu seiner Puppe – Donna«, sagte Fred.

»›Höchstwahrscheinlich‹, hm. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie so etwas genau wissen.«

»Natürlich liegt’s an Donna. Er ist drüben bei ihr und vögelt Tag und Nacht mit ihr rum.« Sein Unbehagen wuchs. »Aber ich werd’s mal überprüfen und Sie darüber informieren, was ich herausfinde. Wer ist eigentlich dieser Informant? Vielleicht will da einer Arctor eins reinwürgen.«

»Wissen wir nicht, zum Teufel. Kam per Telefon. Wir haben nicht mal ‘nen Stimmabdruck – der Bursche benutzte eine elektronische Abschirmung, wahrscheinlich selbst zusammengefutschelt.« Hank kicherte; ein seltsam fremdartiges Geräusch, dieses Kichern, das da metallisch aus dem Sprechteil des Anzugs schepperte. »Aber es hat funktioniert. Gut genug.«

»Meine Güte«, begehrte Fred auf, »das war bestimmt bloß dieser ausgeflippte Säurekopf Jim Barris, der aus irgend einem Grund sauer auf Arctor ist und ihn jetzt reinreiten will. Barris hat während seiner Zeit beim Militär pausenlos Elektronikkurse belegt und dazu noch einen Kurs für die Wartung von schwerem Gerät. Ich an Ihrer Stelle würde ihm nicht mal glauben, wenn er Ihnen die Uhrzeit sagt. «

Hank schüttelte ablehnend den Kopf. »Wir wissen nicht, ob es überhaupt Barris war. Und außerdem ist Barris vielleicht doch nicht nur ein ›ausgeflippter Säurekopf‹. Wir haben mehrere Leute auf die Sache angesetzt. Allerdings haben wir keine Erkenntnisse gewonnen, die für Sie von Nutzen sein könnten – jedenfalls bisher nicht.«

»Auf jeden Fall war es einer von Arctors Freunden«, sagte Fred.

»Ja, der Tip ist zweifellos ein Racheakt. Diese verrückten Doper – rufen uns jedesmal an, wenn sie Wut aufeinander haben. Mir schien es übrigens tatsächlich so, als würde er Arctor sehr gut kennen. Also gehört er zu seinem engsten Bekanntenkreis.«

»Netter Junge«, sagte Fred verbittert.

»Tja, auf diese Weise kommen wir nun mal an unsere Informationen«, sagte Hank. »Wo liegt da der Unterschied zu dem, was Sie machen?«

»Ich tu’s nicht, weil ich einen persönlichen Groll gegen jemanden hege«, sagte Fred.

»Und warum tun Sie’s eigentlich dann?«

Nach einer langen Pause sagte Fred: »Sie können mich totschlagen, aber ich weiß es nicht, verdammt noch mal.«

»Sie haben doch im Moment nichts mehr mit Weels am Hut. Ich glaube, ich werde Sie vorläufig dazu einteilen, in erster Linie Bob Arctor zu observieren. Hat er einen zweiten Vornamen? Er verwendet die Initialen –«

Fred gab ein abgewürgtes, roboterartiges Geräusch von sich. »Warum ausgerechnet Arctor?«