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Dann haben die wohl doch nur den üblichen Kram, dachte er, während er über den Boulevard dahinkreuzte. Er fühlte sich lausig, weil er nur dreihundert Tabletten Langsamer Tod für Notzeiten wie diese zurückgelegt hatte, sorgfältig im Hinterhof unter der Kamelie vergraben – unter der Hybridkamelie mit den kühlen, großen Blättern, die auch im Frühling nicht braun wurden. Ich hab’ nur noch eine Wochenration, dachte er bestürzt. Was mach’ ich bloß, wenn ich auf dem trockenen sitze? Scheißdreck!

Mal angenommen, daß allen Dopern in Kalifornien und in einem Teil Oregons der Arsch am selben Tag auf Grundeis geht, dachte er. Wow.

Das war der absolute Hit unter den Horrorvisionen, die er manchmal in seinem Kopf abspulte. Und nicht nur er, sondern jeder Doper. Der ganze Westen der Vereinigten Staaten sitzt plötzlich zur gleichen Zeit auf dem trockenen, und alle Doper gehen am selben Tag auf Turkey, vielleicht so gegen sechs Uhr an einem Sonntagvormittag, während sich die Spießer gerade fein machen, um eine Runde beten zu gehen.

Ort: Die First Episcopal Church von Pasadene, um 8.30 Uhr vormittags am Grundeis-Sonntag.

»Liebe Pfarrgemeinde, so lasset uns nun Gott den Herrn anrufen und Ihn darum anflehen, daß Er Seine Gnade leuchten lasse über jenen, die sich zu dieser Zeit mit Entzugssymptomen in Todesqualen auf ihren Betten winden.«

»Sein Wille geschehe.« Die Gemeinde bekräftigt die Worte des Priesters.

»Doch bevor Er nun gnädiglichst eingreift und unsere Brüder und Schwestern mit einer größeren Lieferung von –«

Offenbar hatte die Besatzung eines Streifenwagens etwas an Charles Frecks Fahrstil bemerkt, was ihm selbst noch gar nicht aufgefallen war; jedenfalls hatte die Schmiere ihren Standplatz verlassen und folgte dem Chevy nun dichtauf, bisher noch ohne Blaulicht oder Sirene, aber …

Vielleicht fahr’ ich ja Schlangenlinien oder was, dachte Charles Freck. Scheiß Viehtransport, der klebt mir ja direkt an der Stoßstange. Bin gespannt, was die mir anhängen wollen.

BULLE: »All right, Ihren Namen bitte.«

»Meinen Namen?« (MIR FÄLLT KEIN NAME EIN.)

»Sie wissen Ihren eigenen Namen nicht mehr?« Bulle gibt dem anderen Bullen im Streifenwagen ein Handzeichen. »Der Typ hier ist anscheinend ausgeklinkt.«

»Bitte, erschießen Sie mich nicht hier!« Charles Freck in seiner Horrorvision, die der Anblick des Streifenwagens im Rückspiegel ausgelöst hat. »Nehmen Sie mich doch bitte wenigstens mit zur Wache und erschießen Sie mich da, wo’s nicht alle Leute sehen.«

Um in diesem faschistischen Polizeistaat zu überleben, dachte er, mußt du immer einen Namen parat haben. Deinen Namen. Jederzeit. Das ist das erste, worauf sie achten. Wenn du deinen eigenen Namen nicht mehr zusammenkriegst, dann wissen sie, daß du total breit bist.

Am besten, entschied er, schere ich aus, sobald ich eine Parklücke sehe, und fahre freiwillig rechts ran, bevor die Schmiere das Blaulicht blitzen läßt oder sonstwas unternimmt, und dann, wenn die Bullen neben mir anhalten, werde ich sagen, ich hätte wohl ‘n loses Rad oder sonst ‘n Defekt.

Das finden die immer toll, dachte er. Wenn du auf diese Weise aufgibst, weil dir nichts anderes mehr übrigbleibt. Das ist so, als würdest du dich wie ein Tier zu Boden werfen und ihnen deine ungeschützte Bauchseite hinhalten. Ja, genau das werde ich tun.

Er scherte nach rechts aus und brachte den Wagen zum Stehen, als die Vorderreifen gegen den Bordstein stießen. Der Streifenwagen fuhr vorbei, ohne anzuhalten.

Für nichts und wieder nichts rausgefahren, dachte Charles Freck. Jetzt werde ich meine liebe Mühe damit haben, wieder rückwärts rauszusetzen, weil der Verkehr so dicht ist. Er stellte den Motor ab. Vielleicht sollte ich einfach ein Weilchen hier sitzenbleiben, beschloß er, und Alphameditation machen oder mich in einige höhere Bewußtseinszustände versetzen. Vielleicht, indem ich mir die Puppen anschaue, die so vorbeispazieren. Möchte wissen, ob’s irgendwo eine Firma gibt, die Geiloskope herstellt. Statt Alpha-Bioskopen. Geilheitswellen, erst sehr kurz, dann länger, größer, größer, bis sie schließlich geradewegs über die Skala hinausschnellen.

Das bringt alles nichts, begriff er plötzlich. Ich sollte unterwegs sein, um herauszufinden, ob irgendwo Stoff auf der Scene ist. Ich muß unbedingt Nachschub kriegen, sonst klinke ich wirklich bald aus, und dann werd’ ich überhaupt nicht mehr in der Lage sein, was geregelt zu kriegen. Wenn’s mal soweit ist, werd’ ich nicht mal mehr am Bordstein sitzen können, so wie jetzt. Ich werde dann nicht nur nicht mehr wissen, wer ich bin, ich werde nicht mal wissen, wo ich bin oder was eigentlich um mich herum läuft.

Was läuft hier eigentlich? fragte er sich selbst. Was für einen Tag haben wir heute? Wenn ich nur wüßte, welcher Tag heute ist, würde mir auch alles andere wieder einfallen. Es würde nach und nach wieder in mein Gehirn sickern.

Mittwoch, im Einkaufsviertel von L. A. irgendwo im Westwood-Bezirk. Direkt vor Charles Freck eine dieser riesigen Einkaufsarkaden, von einer Mauer umgeben, an der man wie ein Gummiball abprallt – außer wenn man eine Kreditkarte dabei hat, mit der man durch den elektronischen Sperrgürtel gelangen kann. Da Charles Freck für keine der Arkaden eine Kreditkarte besaß, kannte er das Innere der Läden nur vom Hörensagen. Offenbar gab es in den Arkaden eine ganze Reihe von Läden, die Qualitätsprodukte an die Spießer verkauften – besonders natürlich an die Spießerehefrauen. Er schaute zu, wie die uniformierten und bewaffneten Wächter am Haupttor die eintretenden Kunden einer gründlichen Überprüfung unterzogen. Die Wächter achteten darauf, daß der Mann oder die Frau auch wirklich zu seiner oder ihrer Kreditkarte paßte und daß die Kreditkarte nicht geklaut, verkauft, gekauft oder in betrügerischer Absicht benutzt worden war. Eine Menge Leute strömten durch das Tor hinein, aber Charles Freck vermutete, daß viele davon nur einen Schaufensterbummel machen wollten. So viele Leute können doch gar nicht das Moos oder das unaufschiebbare Verlangen haben, um diese Zeit einkaufen zu gehen, überlegte er. Es ist schon spät, kurz nach zwei. Zwei Uhr nachts, ja. Die Läden sind alle beleuchtet. Wie alle seine Freak-Brüder und -Schwestern, die in dieser Nacht unterwegs waren, konnte Charles Freck die Lichter von draußen sehen, Lichter wie bunte Funkenkaskaden. Wie ein Vergnügungspark für große Kinder, dachte er.

Auf dieser Seite der Mall gab es nicht viele Geschäfte, die keine Kreditkarten verlangten und sich nicht von bewaffneten Wächtern schützen ließen. Nur ein paar Läden für alltägliche Besorgungen: ein Schuhgeschäft, einen TV-Shop, eine Bäckerei, einen Schlüsseldienst, eine Schnellwäscherei. Charles Freck schaute zu, wie ein Mädchen, das ein kurzes Plastikjäckchen und eine Stretchhose trug, von Geschäft zu Geschäft schlenderte. Die Kleine hatte hübsche Haare, aber von hier aus konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, und man mußte schon das Gesicht sehen, um beurteilen zu können, ob eine Puppe wirklich scharf war. Keine schlechte Figur, dachte er. Das Mädchen blieb eine Zeitlang vor einem Schaufenster stehen, in dem Lederwaren ausgestellt waren. Es schien sich für einen mit Quasten verzierten Geldbeutel zu interessieren; Charles Freck konnte verfolgen, wie die Kleine sich die Nase an der Schaufensterscheibe plattdrückte und hin und her gerissen den Geldbeutel anstarrte. Wetten, daß sie gleich reingeht und ihn sich zeigen läßt? dachte Freck.

Im nächsten Augenblick tänzelte das Mädchen tatsächlich in den Laden, ganz wie Charles Freck es erwartet hatte. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf eine andere Puppe, die jetzt den stark belebten Bürgersteig entlanggeschlendert kam. Sie trug eine gekräuselte Bluse und hatte hohe Absätze, silberne Haare und zu viel Make-up. Versucht, älter auszusehen, als sie ist, dachte er. Vielleicht geht sie sogar noch zur Oberschule.