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Nach dieser Puppe kam nichts mehr, was der Rede wert gewesen wäre. Freck machte den Bindfaden los, der die Klappe des Handschuhfachs an ihrem Platz hielt, und holte ein Päckchen Zigaretten heraus. Während er sich eine ansteckte, schaltete er mit der anderen Hand das Autoradio ein, eine Rock-Station. Früher einmal hatte er sogar einen Stereo-Cassettenrecorder besessen, aber als er eines Tages mal wieder total abgefüllt gewesen war, hatte er nicht daran gedacht, den Recorder mit ins Haus zu nehmen, als er den Wagen abschloß; bei seiner Rückkehr war das ganze Stereosystem verschwunden gewesen. Das hat man nun von seiner Schusseligkeit, hatte er gedacht. Und darum hatte er jetzt eben nur noch ein mickriges Radio. Irgendwann würden sie ihm das wohl auch noch wegnehmen. Na egal, er wußte ja, wo er praktisch umsonst ein neues Radio kriegen konnte, besser gesagt: ein gebrauchtes Radio. Im übrigen war sein Chevy sowieso praktisch reif für den Schrottplatz; die Dichtungsringe waren porös und die Kompression im Keller. Wahrscheinlich hatte er ein Ventil zu Klumpatsch gefahren, als er eines Abends mit einer ganzen Ladung guten Stoffs über den Freeway nach Hause raste; manchmal, wenn er eine wirklich große Partie gemacht hatte, wurde er paranoid – nicht so sehr wegen der Bullen, sondern vielmehr, weil er befürchtete, daß andere Leute aus der Scene ihm den Stoff abklauen könnten. Irgend so ein Scenetyp, halb meschugge vor Turkey und dopegeil wie ‘n Weltmeister.

In diesem Moment ging ein Mädchen vorbei, das sofort Charles Frecks Aufmerksamkeit erregte: schwarzes Haar, hübsch, und ein aufreizend langsamer Schlenderschritt. Es trug eine offene Bolerobluse und eine oft gewaschene, weiße Baumwollhose. Hey, die kenne ich doch, dachte er. Das ist doch Bob Arctors Mädchen. Klar, das ist Donna!

Er stieß die Wagentür auf und schwang sich aus seinem Chevy. Das Mädchen warf ihm einen kurzen, mißtrauischen Blick zu und ging weiter, ohne langsamer zu werden. Er folgte ihr.

Denkt bestimmt, ich will ihr an die Wäsche, dachte Charles Freck, als er sich zwischen den anderen Passanten einen Weg bahnte. Wie leichtfüßig sie einen Zahn zulegte; er konnte sie jetzt kaum noch sehen, als sie jetzt einen flüchtigen Blick über die Schulter zurückwarf. Ein festes, ruhiges Gesicht … Er sah große Augen, die ihn abschätzig musterten. Bestimmt versuchte sie jetzt, seine Geschwindigkeit zu kalkulieren und festzustellen, ob er sie würde einholen können. Nicht, wenn sie weiter so ein Tempo vorlegt, dachte Charles Freck. Mann, die bewegt sich ja wie ‘ne Katze!

An der Ecke waren die Leute stehengeblieben und warteten darauf, daß die Fußgängerampel GEHEN statt NICHT GEHEN anzeigte; Autos bogen mit quietschenden Reifen nach links ab. Aber das Mädchen ging einfach weiter, schnell, aber würdevoll, und schlängelte sich zwischen den dahinschießenden Wagen hindurch. Die Fahrer starrten sie aufgebracht an. Sie schien die wütenden Blicke nicht einmal zu bemerken.

»Donna!« Als das Zeichen auf GEHEN umsprang, stürzte Charles Freck über die Straße hinter ihr her und holte sie ein. Trotzdem fing sie nicht an zu laufen, sondern ging nur einfach so zügig weiter wie bisher. »Bist du nicht Bobs Alte?« sagte er. Irgendwie schaffte er es, sich ihr in den Weg zu stellen, um endlich ihr Gesicht genauer mustern zu können.

»Nein«, sagte sie. »Nein.« Sie kam auf ihn zu, kam genau auf ihn zu; er wich rückwärtsgehend vor ihr zurück, weil er plötzlich bemerkte, daß sie ein kurzes Messer in der Hand hielt und dieses Messer genau auf seinen Magen gerichtet war. »Hau ab«, sagte sie, wobei sie unbeirrt weiterging, ohne langsamer zu werden oder auch nur einen Augenblick lang zu zögern.

»Bestimmt bist du’s«, sagte Charles Freck. »Wir haben uns mal auf seiner Bude kennengelernt.« Er konnte das Messer kaum sehen, nur ein winziges Stückchen der Klinge, aber er wußte, daß es da war. Sie würde ihn einfach niederstechen und dann weitergehen. Er wich immer weiter zurück, die Hände in einer abwehrenden Geste erhoben. Das Mädchen verbarg das Messer so geschickt in ihrer Hand, daß vielleicht keiner der anderen Passanten es bemerken würde. Aber er, Charles Freck, bemerkte es nur zu gut; die Klinge zielte genau auf ihn, als das Mädchen ohne zu zögern näher kam. Im letzten Augenblick trat er zur Seite, und das Mädchen ging einfach schweigend weiter.

»Mensch, hör doch mal!« sagte er zu ihrem Rücken. Ich bin mir doch ganz sicher, daß es Donna ist, dachte er. Sie kommt bloß im Moment nicht drauf, wer ich bin und daß wir uns kennen. Hat wohl Angst, daß ich ihr an den Arsch will. Heutzutage muß man verdammt vorsichtig sein, wenn man auf der Straße ‘ne fremde Puppe anquatscht. Die sind jetzt alle auf der Hut. Na ja, kein Wunder, wenn man bedenkt, was denen schon alles passiert ist!

Heißes kleines Messer, dachte Freck. Wäre besser, wenn die Puppen nicht mit so was ‘rumspielten; jeder Macker könnte ihr das Handgelenk rumdrehen und die Klinge auf sie selbst richten, wenn er’s wirklich darauf anlegen würde. Ich hätt’s auch tun können. Wenn ich sie wirklich hätte anmachen wollen. Er stand einfach nur da und ärgerte sich. Ich weiß doch ganz genau, daß das Donna war, dachte er.

Gerade als er zu seinem Wagen zurückgehen wollte, bemerkte er plötzlich, daß das Mädchen am Rand des sich dahinwälzenden Fußgängerstroms stehengeblieben war und schweigend zu ihm herüberstarrte.

Er ging vorsichtig auf sie zu. »Eines Abends«, sagte er, »hatten ich und Bob und noch so ‘ne Puppe ein paar uralte Simon-und-Garfunkel-Bänder aufgetrieben, und du saßest da –« Sie hatte die ganze Zeit über Kapseln mit astreinem Tod gefüllt, eine Kapsel nach der anderen, ganz systematisch. Stundenlang. El Primo. Numero Uno: Tod. Und als sie damit fertig gewesen war, hatte sie jedem eine Kapsel angeboten, und sie hatten sie eingeworfen. Alle, nur Donna nicht. Ich deale nur mit dem Zeug, hatte sie gesagt. Wie soll ich denn noch ‘n Schnitt machen, wenn ich die Dinger alle selber schlucke?

Das Mädchen sagte: »Ich dachte, du wolltest mir eins überziehen und mich dann durchbumsen. «

»Nein«, sagte er. »Ich hab’ nur gedacht, ich könnte dich …« Er zögerte. »Na ja, ich könnt’ dich ein Stück im Wagen mitnehmen … Auf dem Bürgersteig?!?« erkundigte er sich ungläubig, als er begriff, was sie eigentlich gesagt hatte. »Am hellichten Tage?!?«

»Vielleicht in einem Hauseingang. Oder du würdest mich in einen Wagen schleifen.«

»Aber wir kennen uns doch«, protestierte Freck. »Und Arctor würde mich allemachen, wenn ich das täte.«

»Du, ich hab’ dich gar nicht erkannt.« Sie kam drei Schritte auf ihn zu. »Ich bin ‘n bißchen kurzsichtig.«

»Dann solltest du Kontaktlinsen tragen.« Ihm fiel auf, daß sie klare, große, dunkle, warme Augen hatte. Was bedeutete, daß sie nicht auf Dope war.

»Hatte ich ja früher mal. Aber dann ist mir eine rausgefallen, direkt in ‘ne Bowlenschüssel. Du weißt schon, Acid-Bowle, auf ‘ner Party. Das Ding ist direkt bis auf den Boden gesunken, und wahrscheinlich hat sie wer rausgeschöpft und mitgetrunken. Hoffentlich hat’s ihm geschmeckt; ich hab’ immerhin fünfunddreißig Dollar dafür hinlegen müssen.«

»Kann ich dich denn nun irgendwohin mitnehmen?«

»Du willst mich ja doch nur im Wagen durchbumsen.«

»Nein«, sagte Freck. »Ich krieg’ im Moment sowieso keinen hoch, schon seit ‘n paar Wochen nicht mehr. Muß an was liegen, womit die den Stoff strecken. Irgendwas Chemisches.«

»Mann, das ist ja ‘ne heiße Ausrede, aber damit ist mir schon mal einer gekommen. Alle bumsen mich nur durch.« Sie verbesserte sich sofort. »Jedenfalls versuchen sie’s. So läuft’s nun mal, wenn man ‘ne Puppe ist. Ich hab’ jetzt gerade ‘nem Typen ein Gerichtsverfahren angehängt, wegen Belästigung und handgreiflicher Beleidigung. Mein Anwalt verlangt 40 000 Schadensersatz. «