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»Ich war dann also ein Was?« sagte er plötzlich sehr laut.

»Wir mußten an Barris rankommen und ihn reif schießen.«

»Ihr Arschficker«, sagte er.

»Auf die Art, wie wir es arrangiert haben, mußte Barris – wenn das überhaupt sein richtiger Name ist – im Laufe der Zeit immer deutlicher gewahr werden, daß Sie ein geheimer Polizeiagent waren, der kurz davorstand, ihn festzunageln oder aber ihn dazu zu benutzen, über ihn an seine Hintermänner heranzukommen. Und darum –«

Das Telefon klingelte.

»All right«, sagte Hank später. »Bleiben Sie nur ganz ruhig da sitzen, Bob, Fred, was auch immer. Beruhigen Sie sich – wir haben den Mistkerl ja geschnappt, und er ist wirklich ein – na, was Sie uns jetzt gerade genannt haben. Dafür hat es sich doch gelohnt, meinen Sie nicht auch? Um ihn zu fangen. Ein solches Etwas, egal, in was er nun eigentlich verwickelt ist?«

»Sicher, gelohnt.« Er konnte kaum noch sprechen; seine Stimme war ein mechanisches Knirschen.

Zusammen saßen sie da.

*

Auf der Fahrt zum Neuen Pfad hielt Donna am Straßenrand an, an einer Stelle, wo sie unter sich zu allen Seiten die Lichter sehen konnten. Aber inzwischen hatten die Qualen für ihn begonnen; sie konnte das deutlich erkennen, und es blieb ihnen nicht mehr viel Zeit. Sie hatte sich so sehr gewünscht, noch einmal mit ihm zusammenzusein. Tja, sie hatte wohl zu lange gewartet. Tränen rannen ihr über die Wangen, und er hatte jetzt begonnen zu würgen und sich zu übergeben.

»Wir bleiben ein paar Minuten hier sitzen«, erklärte sie ihm, während sie ihn durch die Büsche und das Unkraut führte, über den sandigen Boden, zwischen weggeworfenen Bierdosen und allerlei anderem Müll hindurch. »Ich –«

»Hast du deine Hasch-Pfeife dabei?« brachte er mühsam heraus.

»Ja«, sagte sie. Sie mußten sich weit genug von der Straße entfernen, um nicht von der Polizei bemerkt zu werden. Oder wenigstens weit genug, damit sie die Hasch-Pfeife verschwinden lassen konnten, wenn ein Polizist vorbeikam. Sie würde den Polizeiwagen anhalten sehen, mit ausgeschalteten Scheinwerfern, ein Stück entfernt in sicherer Deckung, und die Beamten, die sich zu Fuß näherten. Es würde genügend Zeit sein.

Sie dachte: Dafür jedenfalls. Zeit genug, um sicher vor dem Gesetz zu sein. Aber Bob Arctor hatte keine Zeit mehr. Jedenfalls keine Zeit nach menschlichen Maßstäben mehr – die war abgelaufen. Es war eine andere Art von Zeit, in die er jetzt eingetreten war. Ähnlich der Zeit, dachte sie, die eine Ratte hat: nämlich Zeit, hin und her zu rennen, nutzlos zu sein. Sich ziellos zu bewegen, hin und her, her und hin. Aber wenigstens kann er noch die Lichter unter uns sehen. Obwohl ihm das vielleicht nichts mehr bedeutet.

Sie fanden einen geschützten Platz, und sie holte den in Alufolie gewickelten Klumpen Hasch hervor und zündete die Hasch-Pfeife an. Bob Arctor, der neben ihr hockte, schien es nicht einmal zu bemerken. Er hatte sich beschmutzt, aber sie wußte, daß er nichts dafür konnte. Tatsächlich war er sich dessen vielleicht nicht einmal bewußt. Während des Entzugs wurden sie alle so.

»Hier.« Sie beugte sich zu ihm hinüber, um ihn aufzuladen. Aber er bemerkte auch sie nicht. Er saß einfach nur da, völlig weggetreten, von Magenkrämpfen geschüttelt, kotzte und beschmutzte sich, zitterte und wimmerte wie wahnsinnig vor sich hin. Es klang fast wie eine Art Lied.

Sie mußte plötzlich an einen Typen denken, den sie einmal gekannt hatte – einen Typen, der Gott gesehen hatte. Er hatte sich ganz ähnlich verhalten, gewimmert und geweint, ohne sich allerdings selbst zu beschmutzen. Er hatte Gott während eines Flashbacks nach einem Acid-Trip gesehen, zu einem Zeitpunkt, als er gerade mit riesigen Dosen wasserlöslicher Vitamine experimentierte. Ihre orthomolekulare Struktur sollte angeblich die neuralen Impulse im Gehirn anregen, beschleunigen und synchronisieren. Bei diesem Typen jedoch hatten sie anders gewirkt. Er war nicht einfach nur smarter geworden – er hatte Gott gesehen. Er war völlig überrascht gewesen.

»Ich nehme an«, sagte sie, »wir wissen nie, was das Schicksal für uns bereithält. «

Neben ihr stöhnte Bob Arctor und antwortete nicht.

»Kanntest du einen Macker namens Tony Amsterdam?«

Keine Reaktion.

Donna nahm einen Zug aus der Hasch-Pfeife und versenkte sich in die Lichter, die unter ihnen ausgebreitet lagen; sie roch die Luft und lauschte. »Nachdem er Gott gesehen hatte, fühlte er sich richtig gut, so ungefähr ein Jahr lang. Und dann fühlte er sich richtig mies. Mieser, als er sich je zuvor in seinem Leben gefühlt hatte. Weil er eines Tages schlagartig kapierte, daß er Gott nie wieder sehen würde; er würde für den Rest seines Lebens – Jahrzehnte, fünfzig Jahre vielleicht – dahinvegetieren und nichts außer dem sehen, was er schon immer gesehen hatte. Das, was auch wir sehen. Er war schlechter dran, als wenn er Gott nicht gesehen hätte. Er erzählte mir später mal, daß er daraufhin richtig durchgedreht wäre; er flippte einfach aus und fing an zu fluchen und zerdepperte alle möglichen Sachen in seinem Apartment. Er zerschlug sogar seine Stereoanlage. Er hatte begriffen, daß er für alle Zeit so würde weiterleben müssen, wie er jetzt lebte – nämlich ohne etwas zu sehen. Ohne jeden Sinn. Einfach nur ein Fetzen Fleisch, der sich dahinquält, ißt, trinkt, schläft, arbeitet und scheißt.«

»Wie wir anderen auch.« Es war das erste, was Bob Arctor zu sagen fertiggebracht hatte; die Worte kamen heraus, als müsse er jedes einzelne von ihnen unter großen Schwierigkeiten erbrechen.

Donna sagte: »Genau das habe ich ihm auch gesagt. Ich hab’ versucht, ihm das klarzumachen. Wir säßen alle im gleichen Boot, und es würde den Rest von uns auch nicht zum Ausflippen bringen. Und er sagte: ›Du weißt nicht, was ich gesehen habe. Du weißt es nicht.‹«

Ein Krampf ging durch Bob Arctor und erschütterte seinen ganzen Körper, und dann würgte er heraus: »Hat er … hat er gesagt, wie es war?«

»Funken. Ganze Kaskaden von farbigen Funken, ungefähr so, als würde an deinem Fernseher was kaputtgehen. Funken, die die Wände hochgingen, Funken in der Luft. Und die ganze Welt war ein lebendiges Wesen, wohin auch immer er blickte. Und es gab keine Zufälle: alles paßte zusammen und geschah planvoll, weil damit etwas erreicht werden sollte – irgendein Ziel in der Zukunft. Und dann sah er eine Pforte. Ungefähr eine Woche lang sah er sie, wohin auch immer er schaute – drinnen in seinem Apartment oder draußen, wenn er zum Laden ging oder durch die Gegend fuhr. Und sie hatte immer die gleichen Proportionen; sie war sehr schmal. Er sagte, sie sei – beglückend gewesen. Das ist der Begriff, den er immer gebraucht hat. Er hat nie versucht, durch die Pforte hindurchzugehen; er hat sie einfach nur angeschaut, weil sie so beglückend war. Klare Konturen aus lebendigem roten und goldenen Licht, sagte er. Als ob sich die Funken entlang bestimmter Linien versammelt hätten, wie in der Geometrie. Und dann, hinterher, meine ich, hat er sie nie wieder gesehen, in seinem ganzen Leben nicht, und das war es, was ihn schließlich so fertiggemacht hat.«

Nach einer Weile sagte Bob Arctor: »Und was war auf der anderen Seite.«

Donna sagte: »Er sagte, da sei noch eine Welt auf der anderen Seite gewesen. Er konnte sie sehen.«

»Er … ist nie hindurchgegangen?«

»Das ist ja der Grund, warum er wie ein Irrer in seinem Apartment rumgetobt ist; er hat nie auch nur daran gedacht, hindurchzugehen, er hat einfach nur die Pforte bewundert, und später konnte er sie überhaupt nicht mehr sehen, und da war’s zu spät. Sie öffnete sich ihm nur für ein paar Tage, und dann war sie wieder dicht und für immer verschwunden. Er hat wieder und wieder jede Menge LSD und diese wasserlöslichen Vitamine genommen, aber er hat sie nie wieder gesehen; er hat nie die richtige Dosierung gefunden.«