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»Das kann ich«, sagte er. »Aufs Klo gehen.«

»Magst du Tiere? Oder Gartenarbeit?«

»Tiere.«

»Na, mal sehen. Wir werden damit warten, bis wir dich besser kennen. Auf jeden Fall wird das ‘ne Weile dauern; alle, die zu uns kommen, müssen erst mal ‘n Monat lang Klos schrubben.«

»Irgendwie würde ich gerne auf dem Land leben«, sagte er.

»Wir unterhalten verschiedene Arten von Rehabilitationseinrichtungen. Wir werden später entscheiden, was für dich am besten ist. Du weißt, daß du hier rauchen darfst, aber es wird nicht gerne gesehen. Hier ist’s nicht wie in Syanon; die lassen dich nicht rauchen. «

Er sagte: »Ich habe keine Zigaretten mehr.«

»Wir geben jedem Insassen ein Päckchen pro Tag.«

»Geld?« Er hatte keines.

»Es kostet nichts. Hier ist alles umsonst. Du hast deinen Preis längst bezahlt.« George nahm den Scheuerlappen, tauchte ihn in den Eimer, zeigte ihm, wie man scheuern mußte.

»Weswegen habe ich eigentlich kein Geld?«

»Aus dem gleichen Grund, weswegen du keine Brieftasche und keinen Nachnamen hast. Das wird dir später zurückgegeben werden, das alles. Genau das ist ja unser Programm: dir zurückzugeben, was man dir weggenommen hat. «

Er sagte: »Diese Schuhe passen mir nicht.«

»Wir sind auf Spenden angewiesen, aber wir nehmen nur neue Sachen, von Läden. Später können wir dir vielleicht mal welche anmessen. Hast du alle Schuhe in der Kiste durchprobiert?«

»Ja«, sagte er.

»All right, das hier ist das Badezimmer im Erdgeschoß; mach das zuerst. Dann, wenn das erledigt ist, alles blitzblank und so, dann geh nach oben – nimm den Wischlappen und den Eimer mit – und ich werde dir das Badezimmer da oben zeigen. Und danach kommt dann das Badezimmer in der dritten Etage dran. Aber du mußt dir eine Erlaubnis holen, bevor du in die dritte Etage raufgehst, weil da die Puppen wohnen; also frag zuerst jemanden vom Personal und geh nie ohne Erlaubnis rauf.« Er klopfte ihm auf die Schulter. »All right, Bruce? Alles kapiert?«

»Okay«, sagte Bruce, während er weiterscheuerte.

George sagte: »Du wirst so lange Badezimmer schrubben, bis du so weit kommst, daß du gute Arbeit leisten kannst. Es ist völlig egal, was jemand tut; es kommt nur darauf an, daß er so weit kommt, daß er es richtig tun und darauf stolz sein kann.«

»Werde ich jemals wieder so werden, wie ich früher war?« fragte Bruce.

»Das, was du früher warst, hat dich hierhergebracht. Wenn du wieder so würdest, wie du früher mal warst, dann würde dich das früher oder später wieder hierherbringen. Und beim nächsten Mal würdest du’s vielleicht nicht mal bis hierhin schaffen. Stimmt doch, oder? Du hast Glück gehabt, daß du hierhergekommen bist; du hättest es fast nicht geschafft.«

»Jemand anderes hat mich hergefahren.«

»Du bist ein Glückspilz. Beim nächsten Mal würden sie’s vielleicht nicht tun. Vielleicht würden sie dich am Straßenrand aus dem Wagen kippen und sich sagen: Zum Teufel damit.«

Bruce scheuerte unbeirrt weiter.

»Am einfachsten geht’s, wenn du zuerst die Waschbecken machst, dann die Wanne, dann die Toiletten und erst ganz zuletzt den Fußboden.«

»Okay«, sagte er und legte den Scheuerlappen weg.

»Man muß erst mal den richtigen Dreh rauskriegen. Das wirst du schon schaffen.«

Als er genauer hinschaute, sah er vor sich Risse in der Emaille des Beckens; er träufelte Reinigungsmittel in die Risse und ließ heißes Wasser darüberlaufen. Der Dampf wallte auf, und er stand regungslos mitten darin, während der Dampf immer dichter wurde. Er mochte den Geruch.

*

Nach dem Mittagessen saß er im Gemeinschaftsraum und trank Kaffee. Die anderen ließen ihn in Ruhe, weil sie wußten, daß er auf Entzug war. Während er so dasaß und aus seiner Tasse trank, konnte er ihre Gespräche verfolgen. Sie kannten sich alle untereinander.

»Wenn du durch die Augen eines Toten hinaussehen könntest, könntest du immer noch etwas erkennen, aber du könntest die Augenmuskulatur nicht mehr betätigen, und darum könntest du den Blick nicht auf eine bestimmte Stelle richten. Dir bliebe nichts anderes übrig, als zu warten, bis sich irgendein Objekt an dir vorüberbewegt. Du würdest wie eingefroren sein. Einfach nur warten und warten. Das wäre bestimmt ganz schrecklich.«

Er starrte hinunter auf den Dampf seines Kaffees; nur darauf. Der Dampf stieg auf; er mochte den Geruch.

»Hey«.

Eine Hand berührte ihn. Die Hand einer Frau.

»Hey«.

Er schaute ein wenig zur Seite.

»Wie geht’s dir?«

»Gut«, sagte er.

»Fühlst du dich schon ein bißchen besser?«

»Ich fühle mich gut«, sagte er.

Er betrachtete den Kaffee und den Dampf und schaute weder die Frau noch einen der anderen Anwesenden an; er schaute bloß hinunter auf den Kaffee, schaute und schaute. Er mochte die Wärme des Geruchs.

»Du könntest dann jemanden sehen, wenn er direkt vor dir hergeht, aber eben nur dann. Du könntest nur das sehen, was in der Richtung liegt, in die du schaust, aber nichts, was in einer anderen Richtung liegt. Wenn ein Blatt oder sonst was über deine Augen fallen würde … tja, das wär’s dann. Für immer. Nur noch das Blatt. Nichts anderes; du könntest dich ja nicht bewegen. «

»Okay«, sagte er, den Kaffee, die Tasse, mit beiden Händen haltend.

»Stell dir mal vor, Empfindungen zu haben, aber nicht zu leben. Zu sehen und sogar zu begreifen, aber nicht zu leben. Einfach nur hinauszuschauen. Zu erkennen, aber nicht zu leben. Ein Mensch kann sterben und trotzdem weiterexistieren, Vielleicht ist das, was manchmal aus den Augen eines Menschen auf dich hinausschaut, schon damals in seiner Kindheit gestorben. Das, was in einem Menschen schon tot ist, schaut immer noch hinaus. Es ist nicht einfach der Körper, der dich anblickt, der leere Körper; da ist immer noch etwas darin, aber das ist irgendwann gestorben und schaut nur einfach weiter und weiter hinaus; es kann nicht damit aufhören, zu schauen. «

Jemand anderes sagte: »Genau das bedeutet es ja letztlich, zu sterben: wenn man nicht mehr aufhören kann, das anzustarren, was auch immer vor dir ist. Da ist irgendein verdammtes Ding, genau vor dir, und du kannst einfach nichts dagegen unternehmen, also zum Beispiel eine Wahl treffen oder etwas verändern. Du kannst nur noch das, was vor dich hingestellt wird, akzeptieren – und zwar so, wie es ist. «

»Wie würde es dir gefallen, in alle Ewigkeit auf eine Bierdose zu starren? Vielleicht war’ das gar nicht mal so schlimm. Wenigstens müßte man sich davor nicht fürchten.«

*

Vor dem Abendessen, das sie im Speiseraum zu sich nahmen, hatten sie Diskussionsstunde. Verschiedene philosophische Konzepte wurden von verschiedenen Mitgliedern des Betreuerstabes auf eine Tafel geschrieben und dann gemeinsam diskutiert.

Er saß mit im Schoß gefalteten Händen da, betrachtete den Fußboden und lauschte darauf, wie sich die große Kaffeemaschine aufheizte; es klang wie blub-blub, und das Geräusch machte ihm Angst.

»Das Lebende gibt ununterbrochen seine Eigenschaften an das Nichtlebende ab und umgekehrt.«

Alle saßen im Raum verstreut auf Klappstühlen und diskutierten das. Das Konzept schien ihnen vertraut zu sein. Offensichtlich waren solche Sätze Teile der Denkweise des Neuen Pfades und wurden vielleicht sogar auswendig gelernt, damit man wieder und wieder über sie nachdenken konnte. Blub-Blub.

»Das Nichtlebende drängt stärker vorwärts als das Lebende.«

Sie sprachen auch darüber. Blub-blub. Das Geräusch, das von der Kaffeemaschine ausging, wurde lauter und lauter und ängstigte ihn immer mehr, aber er bewegte sich nicht und schaute nicht hinüber; er saß nur da, an seinem Platz, und lauschte. Es war schwierig, zu hören, was die anderen sagten; die Maschine war so laut.