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»Ich bin der Wolf«, rief Thelma und sprang ungeschickt durch den Raum. »Wuff, wuff!« Sie schnappte nach verschiedenen Gegenständen und verfehlte sie doch alle, und bestürzt erkannte er, daß etwas mit ihr nicht in Ordnung war. Zum ersten Mal sah er, daß sie hirngeschädigt war, und das erfüllte ihn mit einer unbestimmten Angst. Wie konnte so etwas nur geschehen?

»Er sagte: »Du bist nicht der Wolf.«

Aber trotzdem stolperte sie nach wie vor, als sie herumtappte und herumhinkte; trotzdem blieb, wie er plötzlich begriff, die Hirnschädigung weiter bestehen. Er fragte sich, wie es möglich war, daß …

Ich unglücksel’ger Atlas! Eine Welt,

Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen,

Ich trage Unerträgliches, und brechen

Will mir das Herz im Leibe.[17]

ein solches Maß an Leid existieren konnte. Er ging weg. Hinter ihm spielte sie immer noch. Sie strauchelte und fiel. Was mag man dabei empfinden? fragte er sich.

*

Er wanderte den Korridor entlang, weil er den Staubsauger suchte. Es war ihm aufgetragen worden, sorgfältig das große Spielzimmer zu saugen, in dem die Kinder den größten Teil des Tages verbrachten.

»Die Halle hinunter rechts.« Jemand wies ihm den Weg. Earl.

»Danke, Earl«, sagte er.

Als er vor der geschlossenen Tür stand, wollte er eigentlich erst klopfen, aber dann öffnete er sie statt dessen einfach so.

In dem Raum stand eine alte Frau, die drei Gummibälle in der Hand hielt, mit denen sie jonglierte. Ihr graues, strähniges Haar hing ihr bis auf die Schultern. Sie wandte sich ihm zu und grinste ihn zahnlos an. Sie trug weiße Sportsöckchen und Tennisschuhe. Er sah, daß ihre Augen tief in den Höhlen lagen; grinsende, eingesunkene Augen, leerer Mund.

»Schaffst du das auch?« schnaufte sie und warf alle drei Bälle hoch in die Luft. Sie fielen herab, trafen sie, sprangen auf den Fußboden. Sie beugte sich über die Bälle und lachte. Aus ihrem Mundwinkel tropfte Speichel.

»Nein«, sagte er und stand einfach nur da, zutiefst erschreckt.

»Aber ich.« Das dünne alte Geschöpf, dessen Armgelenke bei jeder Bewegung knackten, hob die Bälle wieder auf, blinzelte kurzsichtig und versuchte es noch mal.

Jemand erschien neben Bruce in der Tür und stellte sich neben ihn, um ebenfalls zuzuschauen.

»Wie lange übt sie schon?« sagte Bruce.

»Ganz schön lange.« Der andere rief der Frau zu: »Versuch’s noch mal. Bald hast du den Dreh raus!«

Die alte Frau gackerte, während sie sich niederbeugte und mit den Händen umhertastete, um die Bälle wieder aufzuheben.

»Einer ist da drüben«, sagte die Person neben Bruce. »Unter dem Nachtschränkchen.«

»Ohhhhhhh!« keuchte sie.

Sie sahen zu, wie die alte Frau wieder und wieder neue Versuche unternahm – die Bälle fallen ließ, die Bälle wieder aufhob, sorgfältig zielte, sich selbst ausbalancierte, die Bälle hoch in die Luft warf und sich dann krümmte, als sie auf sie herniederregneten und sie dabei manchmal auf den Kopf trafen.

Die Person neben Bruce schnüffelte und sagte naserümpfend: »Donna, du solltest dich jetzt besser waschen gehen. Du bist nicht sauber.«

Seltsam berührt sagte Bruce: »Das ist nicht Donna. Ist das wirklich Donna?« Er hob den Kopf, um die alte Frau zu beäugen, und er spürte ein großes Entsetzen in sich; so etwas wie Tränen standen in den Augen der alten Frau, als sie seinen Blick erwiderte, aber sie lachte, lachte, als sie die drei Bälle auf ihn warf, begierig, ihn zu treffen. Er duckte sich.

»Nein, Donna, das sollst du doch nicht tun«, sagte die Person neben Bruce zu ihr. »Nicht nach anderen Leuten werfen. Probier einfach nur, das nachzumachen, was du im Fernsehen gesehen hast. Du weißt schon, fang sie selbst wieder auf und werf sie sofort wieder hoch. Aber zuerst machst du dich jetzt mal sauber; du stinkst.«

»Okay«, stimmte die alte Frau zu und eilte davon, gebückt und klein. Die drei Gummibälle, die immer noch auf dem Boden umherrollten, ließ sie zurück.

Die Person neben Bruce schloß die Tür, und sie gingen gemeinsam durch die Halle. »Wie lange ist Donna schon hier?« sagte Bruce.

»Lange. Sie war schon da, bevor ich gekommen bin, und das ist sechs Monate her. Sie versucht seit ungefähr einer Woche zu jonglieren.«

»Dann ist das nicht Donna«, sagte er. »Nicht, wenn sie schon so lange hier ist. Ich bin nämlich gerade erst vor einer Woche hierhergekommen.« Und Donna, dachte er, hat mich mit ihrem MG hierhergefahren. Ich erinnere mich daran, weil wir anhalten mußten, um Kühlflüssigkeit nachfüllen zu lassen. Und da sah sie noch gut aus. Ruhig und gelassen, mit dunklen, traurigen Augen, in Lederjäckchen und Stiefeln, mit dem Geldbeutel, an dem der Hasenfuß baumelte. So, wie sie immer aussieht.

Dann ging er weiter, immer noch auf der Suche nach dem Staubsauger. Er fühlte sich jetzt viel besser. Aber er verstand nicht, warum.

XV

Bruce sagte: »Könnte ich irgendwo arbeiten, wo es Tiere gibt?«

»Nein«, sagte Mike, »ich glaube, ich werde dich auf eine unserer Farmen schicken. Ich möchte, daß du es erst mal mit Pflanzen versuchst, ein paar Monate lang. Draußen im Freien, wo du den Boden berühren kannst. Die Menschen versuchen viel zu oft, nach dem Himmel zu greifen. Diese ganzen Raumsonden, die sie mit Raketen hochschicken … Ich möchte, daß du mit dem Boden –«

»Ich möchte aber bei etwas Lebendigem sein. «

Mike erklärte: »Der Boden ist lebendig. Die Erde lebt noch. Das wird dir gut tun. Hast du Ahnung von Landwirtschaft? Weißt du, wie man sät, den Boden kultiviert und erntet?«

»Ich hab’ in einem Büro gearbeitet.«

»Von jetzt an wirst du im Freien arbeiten. Wenn dein Verstand zurückkommen soll, dann muß das auf natürlichem Wege geschehen. Du kannst nicht durch eigene Anstrengungen wieder zu denken lernen. Du kannst nur immer weiter arbeiten, also zum Beispiel auf unseren Gemüseplantagen – wie wir sie nennen – die Saat ausstreuen oder den Boden bestellen. Oder Insekten vernichten. Das machen wir viel – Insekten mit der richtigen Sorte Sprays ausrotten. Wir sind allerdings bei der Verwendung von Sprays sehr vorsichtig. Sie können mehr Schaden anrichten, als sie Nutzen bringen. Sie können nicht nur die Ernte oder den Boden vergiften, sondern auch den, der sie benutzt. Sein Gehirn angreifen.« Er fügte hinzu: »So wie deins.«

»Okay«, sagte Bruce.

Man hat dich eingesprüht, dachte Mike, als er auf den Mann ihm gegenüber blickte, und darum bist du jetzt zu einer Wanze geworden. Wenn man eine Wanze mit einem Gift besprüht, dann stirbt sie; wenn man einen Mann, sein Gehirn, damit besprüht, dann wird er zu einem klickenden und klackenden Insekt, das sich für immer in einem geschlossenen Kreis bewegt. Eine Reflexmaschine, wie eine Ameise. Eine Maschine, die immer nur die letzte Anweisung wiederholt, die man ihr gegeben hat.

Dein Gehirn wird nie mehr etwas Neues aufnehmen, dachte Mike, weil dieses Gehirn sich aufgelöst hat.

Und zugleich mit dem Gehirn auch jener Mensch, der einmal aus diesem Kopf herausschaute. Jener Mensch, den ich nie gekannt habe.

Aber wenn er an den richtigen Ort und in die richtige Stellung gebracht wird, kann er vielleicht immer noch hinunterschauen und den Boden sehen. Und erkennen, daß dieser Boden existiert. Und etwas, das lebt, das also anders ist als er, darin einpflanzen. Auf daß es wachse und Frucht bringe.

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Anm. d. Übers.: Deutsch im Original