Seine Frau löste die Bremse, trieb die Zugtiere an und lenkte das Gespann nach rechts, bis es hinter der Baumgruppe verschwunden war. Ben und Johnny Miller folgten dem Wagen und stiegen hinter den Bäumen von den Pferden.
»Sorgt dafür, daß die Gäule ruhig sind«, sagte Ben Miller und schlich sich mit seiner Gallagher ins Unterholz, bis er einen freien Blick auf das übrige Gelände hatte, selbst aber gut getarnt war.
Cora beugte sich aus dem Wagen und fragte, was los sei. Ihre Mutter erklärte es ihr und wies sie an, dafür zu sorgen, daß Ann ruhig war.
Keine zehn Minuten, nachdem der Kastenwagen hinter den Bäumen verschwunden war, passierten die Fremden die Stelle. Ben Miller kannte sie nicht. Aber er kannte die Pferde und den jungen Burschen, der wie ein totes Stück Fracht über dem Rücken eines Braunen lag. Johnny hatte sich nicht getäuscht.
Freund oder Feind? fragte sich der Farmer beim Anblick der drei fremden Reiter, konnte sich diese Frage aber beim besten Willen nicht beantworten.
So wenig wie die anderen Fragen, die ihn beschäftigten: War Cody tot oder nur verwundet? Waren die drei Reiter für seinen Zustand verantwortlich, oder hatten sie ihn nur gefunden?
Sie konnten zu Quantrill gehören oder genauso gut auf der Seite der Union stehen. Sie trugen keine Uniform. Man sah es ihnen nicht an. Jedenfalls schienen es keine Einwohner von Blue Springs zu sein. Die kannte Ben Miller alle. Und er war sich ziemlich sicher, die drei schmutzigen, unrasierten Fremden noch nie im Leben gesehen zu haben.
Ben Miller war kurz versucht, sie anzusprechen. Immerhin war er bewaffnet und konnte sie auf Distanz halten. Möglich, daß sie freundlich gesinnt waren und wußten, wo es Hilfe für die von Quantrill bedrohte Stadt gab. Von Cody war jedenfalls keine Hilfe mehr zu erwarten.
Aber der Farmer hielt den Mund. Vielleicht gaben seine Vorsicht und die Verantwortung für seine Familie den Ausschlag dafür. Vielleicht eine Art sechster Sinn. Oder auch nur das grausame Aussehen des Pockennarbigen auf dem Apfelschimmel.
Nein, Ben Miller wollte kein Risiko eingehen, wollte seine Familie nicht in Gefahr bringen. Er ließ die kleine Gruppe vorbeireiten und wartete geschlagene zwanzig Minuten, bevor er das Signal zur Weiterfahrt gab.
»Pa, was machen wir jetzt?« fragte Johnny, der den Fuchs an seine Seite lenkte. »Ich meine, was Cody betrifft. Er kann keine Hilfe mehr für Blue Springs holen.«
»Nein«, stimmte ihm sein Vater zu und dachte über das Problem nach.
*
Die Erde erzitterte unter den vielen hundert Hufen, als Quantrills wilde Schar die Hügel heruntersprengte. Wie schon beim ersten Angriff auf Blue Springs stießen die Freischärler gellende Schlachtrufe aus und feuerten ihre Waffen ab, obwohl die Distanz zu den Barrikaden einen Treffer so gut wie unmöglich erscheinen ließ. Aber es machte ihnen Mut und sollte die Männer in der Stadt einschüchtern und vielleicht zu voreiligen Schüssen verleiten. Über den Häuptern der Bushwackers wehte Quantrills schwarze Flagge. Den Reitern voran rasten zwei vierspännige Frachtwagen - brennende Wagen.
Die Verteidiger duckten sich in ihre Stellungen, brachten ihre Waffen in Anschlag und warteten ab, bis die Angreifer auf sichere Schußweite heran waren. Sie waren es jetzt schon gewohnt, und Byron Cordwainers Ermahnung, erst auf seinen Befehl hin zu feuern, war überflüssig.
Jacob lag ruhig da, den Maynard-Karabiner im Anschlag und den Blick unverwandt auf die heranstürmenden Guerillas gerichtet. Er wunderte sich über sich selbst, wie leicht es ihm auf einmal fiel, Soldat zu sein und auf Menschen zu schießen -wenn er es unbedingt mußte.
In seiner Nähe hatten sich Cordwainer und Hickok verschanzt. Letzterer hatte sich ebenfalls mit einem Gewehr bewaffnet, einem Robinson-Nachbau des Sharps-Karabiners, der im Scabbard des erbeuteten Rebellenpferdes gesteckt hatte. Cordwainer begnügte sich mit seinem Army Colt, der in seiner Rechten lag. Der schwere Kavalleriesäbel, der an seiner Seite baumelte, war für das bevorstehende Feuergefecht nutzlos; die Offizierswaffe dokumentierte nur Cordwainers Führungsanspruch über die Männer von Blue Springs.
Als der Major seine Leute zum wiederholten Mal aufforderte, mit dem Schießen zu warten, bis die Reiter nah genug für einen sicheren Treffer waren, rief Hickok dazwischen: »Die Wagen! Sie dürfen uns nicht erreichen! Schießt auf die Zugpferde!«
Die anderen sahen den Scout fragend an.
»Schießpulver und Munition«, erklärte Hickok. »Aus dem Depot von Liberty.«
Der Major wiederholte Hickoks Befehl, brüllte ihn den Männern zu, die ihn zu ihren Kameraden weitertrugen.
Die Fahrer auf den Böcken trieben die Zugpferde mit lauten Schreien und Peitschenhieben an, ließen die Gespanne mit immer größerer Geschwindigkeit auf die Stadt zurasen.
Die Entfernung zu den Wagen betrug nur noch hundert Yards, als Hickok den Feuerbefehl gab.
Die Kugeln ließen rings um die Wagen den Boden aufspritzen. Die Gespanne fuhren so schnell, daß viele Schüsse zu weit hinten angesetzt waren.
Jacob hatte auf eins der vorderen Zugtiere des Gespanns gezielt, das eine halbe Wagenlänge vor dem anderen fuhr. Sein ihm fast unheimliches Talent für Schußwaffen bestätigte sich auch diesmal. Das Pferd wieherte laut und wäre gestürzt, wäre es nicht angeschirrt gewesen. Aber die drei anderen Pferde rissen es weiter mit sich.
Als das hinter dem getroffenen Pferd laufende Tier ebenfalls von einer Kugel erwischt wurde, brach das Gespann nach rechts aus und bot den Verteidigern seine Breitseite dar. Hastig lud Hickok, der für den zweiten Treffer verantwortlich war, den Robinson-Karabiner nach, zielte genau auf eins der Pulverfässer und zog ruhig den Abzug durch.
Der Wagen explodierte wie zuvor der im Guerilla-Lager. Der Flammenhauch war so gewaltig, das er sogar die Männer hinter den Barrikaden streifte und ihnen für Sekunden die Luft zum Atmen raubte. Auch einzelne, zum Teil brennende Trümmerstücke regneten auf die Stellungen der Verteidiger herab. Der vom Bock geschleuderte Fahrer wurde regelrecht in der Luft zerfetzt. Über den Resten des Wagens stieg ein großer Pilz aus schwarzem Rauch in den Himmel.
Die Männer hinter den Barrikaden konnten sich nicht lange über diesen Erfolg freuen.
Obwohl zwei seiner Zugtiere getroffen wurden, hatte es der Fahrer des zweiten Wagens geschafft, sein Gespann bis kurz vor die Stellung der Verteidiger zu lenken. Jetzt stieß er sich vom Bock ab, landete auf dem Boden, rappelte sich auf und lief davon, um Deckung vor der bevorstehenden Explosion zu finden.
Cordwainer legte seinen Colt an und schoß die Trommel leer. Seine Kugeln trafen beide bislang unverletzten Zugpferde. Das brennende Gefährt geriet ins Schlingen und stürzte schließlich um. Aber es war zu spät. Sein Ladung schlitterte mitten in die Barrikaden und flog dort in die Luft.
Der Lärm der explodierenden Pulverfässer und Munitionskisten übertönte die Detonationen vom Westende der Stadt, wo es ebenfalls ein Wagen geschafft hatte, die Barrikaden zu erreichen.
Um Jacob, Hickok und Cordwainer herum brach die Hölle aus. Verwundete und verstümmelte Menschen schrien, rannten ziellos umher.
Jacob spürte einen sengenden Schmerz an seiner linken Wange. Eine der Kugeln aus den unter lautem Geknatter explodierenden Munitionskisten hatte einen großen Fetzen Haut aus seinem Gesicht gerissen. Einen Zoll weiter nach rechts, und die Kugel hätte mitten in sein Gesicht getroffen.
Als er einen der Fuhrkutscher erblickte, der die Reisenden von der PRIDE OF MISSOURI nach Blue Springs gebracht hatte, vergaß er seine Verletzung. Der Mann lief schreiend die Main Street hinab, lichterloh brennend, wie eine lebendige Fackel.
Jacob ließ den Karabiner fallen, sprang auf, rannte ihm nach und rief immer wieder, der Mann solle sich hinwerfen. Aber der in Flammen stehende Fuhrmann hörte nicht auf ihn. Ihn regierten nur noch die Panik und der Schmerz.