Der Deutsche holte das Letzte aus sich heraus und erreichte den brennenden Mann, dessen Kräfte schwanden und der ins Torkeln geriet. Jacob warf sich auf ihn und riß ihn mit sich zu Boden, wo er den schreienden Kutscher hin und her wälzte, um die Flammen zu ersticken.
Als die letzte Flamme erloschen war, lag der grausam entstellte Mann reglos unter Jacob. So sehr dich der Deutsche auch bemühte, er konnte bei ihm kein Lebenszeichen mehr feststellen. Beim Anblick der starken Verbrennungen durchzuckte Jacob der Gedanke, daß es so für den Mann vielleicht sogar besser war.
Kaum war der Explosionslärm verklungen, den die tödliche Fracht des brennenden Wagens ausgelöst hatte, da hörte Jacob neue Detonationen von den Barrikaden: Schüsse. Vermischt mit Schreien und Hufgetrappel.
Er sah auf. Quantrills Männer galoppierten durch die Lücke, die in die Barrikaden gerissen worden war, und schossen auf alles, was sich bewegte.
Einer trieb sein Tier direkt auf Jacob zu.
*
»Was. ist. das?« fragte Virginia gequält, als draußen an den Rändern der Stadt die Wagen explodierten.
»Kümmern Sie sich nicht darum«, riet ihr der Arzt, als er das desinfizierte Skalpell an ihren Bauch führte. »Denken Sie nur an das Kind!«
Konzentriert setzte Hatfield das Messer an, um die natürliche Öffnung zu erweitern. Das Kind lag quer, was bei hundert Geburten einmal vorkam.
Obwohl es nicht das erstemal war, daß er ein Kind auf diese Weise zur Welt brachte, stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Es war gefährlich, und doch mußte er sich beeilen. Die Wehen brachten die geschwächte Frau fast um.
Gerade wollte er zum Schnitt ansetzen, als die Tür aufgestoßen wurde. Aus den Augenwinkeln nahm er einen Mann mit einem Revolver wahr.
Es war Martin, der in der linken Hand einen 44er De-Brame-Revolver hielt, den er sich von Avery Cordwainer geholt hatte, um bei der Verteidigung des Hauses zu helfen, falls es nötig sein sollte.
Der Hausherr, seine Frau und sein schwarzer Butler kamen hinter dem Deutschen die Treppe herauf, um hier im Obergeschoß in Stellung zu gehen. Unten war alles verbarrikadiert. Bis auf den Butler und Beth hatten alle Bediensteten das Haus verlassen; die Männer kämpften draußen an den Barrikaden, und die Frauen waren daheim bei ihren Familien, um zu beten.
»Was wollen Sie?« herrschte Hatfield den Störenfried an.
»Ihnen sagen, daß Sie sich beeilen sollen. Es sieht ganz so aus, als ließen sich Quantrills Männer nicht mehr lange zurückhalten. Ich glaube, sie haben die äußeren Barrikaden bereits durchbrochen.«
»Beeilen?« fragte der Arzt ungläubig. »Was, glauben Sie, tun wir hier? Einen Kuchen backen?«
»Ich. ich wollte nicht stören«, stammelte Martin verlegen.
»Das tun Sie aber«, erwiderte der Arzt. »Sehen Sie zu, daß Sie uns Quantrills Banditen vom Leib halten! Wir kümmern uns um Virginia!«
»Ja«, sagte Martin nur, ging hinaus und schloß die Tür, durch die gerade die Cordwainers neugierige Blicke werfen wollten.
Hatfield wischte mit einem Taschentuch den Schweiß aus seinem Gesicht. Dann beugte er sich wieder über die Schwangere und begann mit der Operation.
*
Für einen Augenblick war Jacob wie gelähmt. Er stand neben der von Brandwunden entstellten Leiche des Fuhrkutschers auf der Main Street und starrte den Reiter an, der auf ihn zujagte und ihn offenbar über den Haufen reiten wollte.
Der Freischärler war jung, ein paar Jahre jünger noch als der Auswanderer. Noch keiner von ihnen hatte richtig gelebt. Und doch sollte einer das Leben des anderen auslöschen, weil irgendwelche Politiker entschieden hatten, daß ihr Konflikt nur durch einen Krieg zu bereinigen war.
Als Jacob in dem jugendlich glatten Gesicht des Guerillas die grimmige Entschlossenheit las, sein Leben auszulöschen, fiel die Lähmung von ihm ab. Er zerrte den 44er aus dem Holster und wollte auf den anderen anlegen. Aber der war bereits zu nah. Jacob konnte sich nur noch mit einem Sprung hinter die nächste Hausecke vor den Hufen des Rappen in Sicherheit bringen.
Jacob erhob sich hinter dem Haus auf die Knie und spähte um die Ecke, den Revolver noch immer in der Rechten. Er sah, daß der Rebell sein Pferd gezügelt und herumgerissen hatte. Er hielt jetzt einen Revolver in der Hand und gab einen Schuß auf das Versteck des Deutschen ab. Zwei Handbreit über Jacobs Kopf fuhr das Geschoß splitternd in das Holz der Hauswand.
Jacob erwiderte das Feuer und jagte zwei Schüsse aus dem Dean-Harding-Revolver. Sie trafen den Reiter in die Brust und rissen ihn vom Pferd.
Er schlug auf dem schlammigen Boden der Main Street auf und rührte sich nicht mehr.
Der Deutsche wirbelte herum, als er dicht hinter sich Schüsse hörte. Keine zehn Yards von ihm entfernt sackte ein Mann zu Boden, der noch den Karabiner in den Händen hielt, mit dem er auf den Auswanderer gezielt hatte. Hinter ihm stand ein weiterer Mann, groß, mit einer roten Schärpe um den Leib, einen rauchenden Colt in der Rechten.
»Sie haben Glück gehabt, daß ich den Kerl gesehen habe«, sagte James Butler Hickok.
»Leider habe ich hinten keine Augen«, meinte Jacob.
»Das ist ein Manko in diesem Land.«
Hickok warf einen kurzen Blick zu den Barrikaden am Ortseingang. Das Abwehrfeuer der Verteidiger war fast erstorben. Wer nicht ein Opfer der Explosion oder der angreifenden Bushwackers geworden war, hatte die Beine in die Hand genommen und sich in den inneren Verteidigungskreis zurückgezogen. Byron Cordwainer, der zu den Überlebenden gehörte, hatte Vorsorge getroffen und Fuhrwerke bereitstellen lassen, die jetzt auf die Straßen gezogen wurden, um sie gegen die angreifenden Reiter zu versperren.
»Machen wir, daß wir hier wegkommen«, schlug Hickok vor. »Quantrill gönnt seinen Männern und uns keine Pause.«
Tatsächlich formierten sich in diesem Augenblick die Reiter an den brennenden Barrikaden zu einem neuen Angriff.
Jacob und der Kundschafter rannten auf den inneren Verteidigungskreis zu, wo sie Cordwainers blaue Uniform hinter einem Prärieschoner schimmern sahen. Der Major hatte seinen Hut verloren, und sein schmales Gesicht war vom Pulver geschwärzt.
»Wie ist die Lage, Major?« fragte Hickok, als er und Jacob hinter dem Conestoga-Wagen in Deckung gingen.
»Es sieht schlecht aus«, antwortete Cordwainer. »Die verfluchten Rebellen sind auch im Westen mit dem Wagentrick durchgebrochen. Mein Bruder Ellery hat mit seinen Männern ebenfalls den inneren Verteidigungskreis bezogen. Vielleicht schaffen wir es ja doch!«
Mit dem letzten Satz schien er sich selbst Mut zusprechen zu wollen.
Auf der Main Street galoppierte die Schwarze Brigade heran.
*
Die Schmerzen überwältigten Virginia Cordwainer. Der Kopf der jungen Frau rollte zur Seite, und ihre Augen schlossen sich.
»Ma'am!«. schrie Beth auf und beugte sich angsterfüllt über ihre Herrin.
Als die nicht reagierte, sah die Schwarze den Arzt an: »Ist sie. tot?«
»Keine Ahnung«, keuchte Hatfield, damit beschäftigt, das Kind aus dem Leib seiner vielleicht toten Mutter zu holen. Irene unterstützte ihn dabei. Beider Hände waren rot vor Blut.
Dann hielt der Arzt es plötzlich in der Hand: einen kleinen blutigen Fleischklumpen, durch die Nabelschnur noch mit dem Mutterleib verbunden.
»Lebt es?« fragte Irene flüsternd, als wagte sie nicht, die Frage laut zu stellen - vielleicht aus Angst vor der Antwort.
Hatfield drehte das Kind herum und nahm es hoch. Plötzlich hob und senkte sich die kleine Brust, und das Neugeborene strampelte heftig mit Armen und Beinen. Es begann zu schreien.
Der Arzt unterband die Nabelschnur und trennte sie durch. Das selbständige Leben des Neugeborenen hatte begonnen.
Hatfield putzte seine Hände an einem Handtuch ab und kümmerte sich um Virginia.
*