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Die Männer hinter der inneren Verteidigungsstellung schossen aus allen Rohren auf die unter der schwarzen Flagge heranjagenden Reiter, deren gellendes Schlachtgeschrei die Schüsse fast übertönte. Einige der Reiter stürzten aus den Sätteln, aber auch viele der Verteidiger sackten getroffen zu Boden.

Und dann waren die Angreifer bei den Wagen. Einige versuchten ihre Pferde über die Deichseln springen zu lassen. Andere stellten sich auf die Sättel und sprangen selbst über die Wagen, wo es zu einem wilden Handgemenge kam.

Byron Cordwainer hatte seinen Army Colt gerade leergeschossen, als ein Rebell seinen Grauschimmel zum Sprung über die Verteidiger zwang. Hinter den wenigen Männern, die hier noch die Stellung hielten, riß der Guerilla sein Pferd herum, zog seinen Revolver und trieb den Grauschimmel mitten unter die Feinde. Cordwainer warf ihm seinen Colt entgegen, riß dann den Säbel heraus und stürmte dem Reiter mit blanker Klinge entgegen.

Die Klinge bohrte sich tief in den Pferdehals und brachte das stark blutende Tier zu Fall. Der Major verwickelte den Rebell in ein Handgemenge, aber letzterem gelang es, seinen Revolver auf den Uniformierten zu richten.

Jacob sah das und schwenkte seinen 44er auf den Südstaatler. Er hatte seine Schüsse nicht gezählt und hoffte, daß wenigstens in einer Kammer noch eine Patrone steckte, als er den Abzug durchzog. Der Schuß krachte, und der Freischärler brach über seinem Gegner zusammen.

Cordwainer schüttelte ihn von sich ab, nahm den Revolver des Getroffenen an sich und warf dem Deutschen einen knappen Dankesruf zu. Dann sah der Major in die Runde, um festzustellen, was noch zu retten war.

Nicht viel. Die meisten der Verteidiger waren gefallen oder geflohen, um sich in ihren Häusern zu verschanzen. Nur noch eine Handvoll Männer scharte sich um Cordwainer, Hickok und Jacob, während immer mehr von Quantrills Reitern durchbrachen.

»Es hat keinen Sinn mehr!« rief Jacob, als rechts und links neben ihm zwei Männer starben; einer gehörte zu den Bürgern der Stadt, der andere war ein Mitreisender von der PRIDE OF MISSOURI.

Cordwainer nickte traurig und erwiderte: »Wir ziehen uns zum Haus meines Vaters zurück!«

Ohne auf die anderen zu warten, rannte der Major davon. Hickok und die wenigen Überlebenden von Cordwainers Männern schlossen sich ihm an.

Als Jacob ihnen folgen wollte, kletterte eine Gestalt über den Conestoga-Wagen, hinter dem der Deutsche gehockt hatte, und warf sich auf ihn. Jacob sah in das bärtige, haßverzerrte Gesicht eines Südstaatlers.

»Habe ich dich endlich, Dutch!« knurrte Bloody Bill Anderson und fletschte seine Zähne wie ein hungriges Raubtier.

*

Virginia schlug die Augen auf, als Hatfield die Riechsalzflasche unter ihrer Nase entlangführte. Verwirrt sah sie um sich und riß ihre großen grünen Augen noch weiter auf, als sie das Kindergeschrei vernahm.

»Ist das.«

Vor Aufregung brachte sie den Satz nicht zu Ende.

»Ihr Sohn«, sagte Hatfield und nahm Irene das frischgewaschene und in ein dickes, flauschiges Tuch gehüllte Neugeborene aus den Armen, um es der Mutter hinzuhalten.

»Ein Sohn«, flüsterte Virginia ungläubig und sah das Kind an wie eins der sieben Weltwunder. »Er ist so winzig!«

»Er ist auch ein paar Wochen zu früh gekommen«, erwiderte der Arzt. »Aber dafür und gemessen an der Tatsache, wie schwierig es für ihn war, ans Tageslicht zu kommen, ist er ziemlich munter. Dem ersten Eindruck zufolge ist er kerngesund.«

Zögernd nahm die frischgebackene Mutter das Kind an sich, um es dann um so fester - wenn auch mit der gebotenen Vorsicht - an sich zu drücken.

Irene und Beth waren erleichtert und freuten sich.

Beth beugte sich über das Bett. »Wie soll er denn heißen, Ma'am?«

Ohne zu überlegen, antwortete Virginia: »Custis.«

Auf einmal verdunkelte sich ihr eben noch freudiges Gesicht. Ihr war bewußt geworden, daß sie ihr Kind nicht nach seinem wahren Vater benennen konnte, wenn sie die Frau des Mannes war, der für den Tod des Vaters verantwortlich war. Byron Cordwainer würde dafür kein Verständnis haben. Vielleicht würde es auch für Virginia selbst zu schmerzvoll sein, ständig an ihren toten Geliebten erinnert zu werden. Aber - wurde sie das nicht sowieso, schon allein durch die Existenz des Kindes?

Beth schlug eine Hand vor ihren Mund, als ihr bewußt wurde, was sie mit ihrer Frage angerichtet hatte.

Hatfield wusch seine Hände in einer Schüssel mit bereits blutigem Wasser, trocknete sie an einem Handtuch und krempelte die Hemdsärmel nach unten. »Ruhen Sie sich aus, Virginia. Schlafen Sie viel. Sie haben es nötig.«

»Sie wollen schon gehen, Doktor?« fragte Irene.

»Ich muß. Für Virginia habe ich alles getan, was in meiner Macht stand. Da draußen werde ich jetzt dringender gebraucht.«

Er zeigte durch das Fenster auf die Stadt, die von Detonationen und Schreien widerhallte. Hinten im Westen sah man einen großen Feuerschein; ein Gebäude mußte in Flammen stehen.

Der Arzt streifte seine Jacke über, griff nach seiner Tasche und öffnete die Tür, als schwere Schritte die Treppe herauf stürmten. Ein paar Männer erschienen auf dem Gang, von denen einer - in blauer Uniform - ins Zimmer drängte.

»Was ist los?« fragte Byron Cordwainer.

»Wir. ich habe einen Sohn«, sagte Virginia und drückte das Kind so fest an sich, als befürchtete sie, ihr Mann könne es ihr wegnehmen.

Der Major würdigte seinen Sohn - was das Kind zumindest nach dem Gesetz war - keines Blickes, sah statt dessen den Arzt an. »Wo wollen Sie hin, Doc?«

»Nach draußen, den Verletzten helfen.«

Hatfield wollte durch die Tür auf den Gang treten, aber Cordwainer versperrte ihm den Weg. »Vergessen Sie das, Doc. Draußen ist alles verloren. Wir brauchen Sie hier im Haus. Wir müssen hier die Stellung halten, bis die Truppen aus Kansas City kommen.«

»Aber Quantrill hat doch den Kurier abgefangen«, meinte Irene verwirrt.

»Hat Ihnen das der Doc nicht erzählt?« fragte Cordwainer verwundert und zeigte auf den Mann mit der roten Schärpe, der hinter ihm stand. »Der Freund dieses Mannes, ein gewisser Cody, ist unterwegs zu General Ewing, um Hilfe zu holen.«

Irene antwortete nicht. Ihre Gedanken waren schon woanders.

Ängstlich sah sie Cordwainer an und fragte: »Wo ist Jacob?«

»Mr. Adler? Er hat sich tapfer geschlagen und bis zuletzt mit uns die Stellung gehalten. Aber dann haben ihn die Rebellen erwischt.«

*

Bloody Bill Andersen hatte Jacob zu Boden geworfen und kauerte auf ihm, ein Bowiemesser in der Rechten.

Jacob fühlte sich an den Kampf erinnert, den er und Quantrills Unterführer damals im Guerillalager ausgetragen hatten, als die Freischärler versucht hatten, Präsident Lincoln in ihre Hände zu bringen. Damals hatte der Deutsche den Kampf für sich entscheiden können. Diesmal sah es nicht so aus.

Beim Sturz hatte Jacob seinen Revolver verloren. Mit beiden Händen blockte er Andersons Hand mit dem Messer ab. Der Deutsche war groß und kräftig, aber der Südstaatler stand ihm darin nicht nach. Und Bloody Bill hatte den fanatischen Haß auf seiner Seite, den er gegen den »Dutch« entwickelt hatte. Die scharfe Klinge kam Jacobs Gesicht immer näher.

Jacob dachte an seinen nahen Tod und daran, daß er seine Familie nie wiedersehen würde. Seinen Vater, den Zimmermannsmeister Heinrich Adler, seine Schwester Marthe, seine Brüder Fritz und Lukas. Sie wollte er in Amerika wiederfinden; deshalb hatte er die weite Reise unternommen.

Der Gedanke an seine Familie gab Jacob Kraft, eine Kraft, die Andersons blindem Haß überlegen war. Der junge Deutsche hatte alle Muskeln angespannt und stieß jetzt den Angreifer mit einer gewaltigen Anstrengung von sich. Quantrills Unterführer schrie vor Überraschung auf und landete vier Yards entfernt im Schmutz der Straße.

»Du dreckiger Hund«, fluchte der Bärtige und stand auf, das große zweischneidige Messer noch immer in der Rechten. »Noch mal wird dir das nicht gelingen.«