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Der verwundete Cody wurde in die zum Hospital umgewandelte Kirche geschafft.

Aber Martin traf hier Jacob wieder. Der junge Zimmermann befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Sein Körper war mit Wunden übersät, das Gesicht vor Prellungen und Hautabschürfungen kaum noch erkennbar.

Fassungslos beugte sich Martin über seinen Freund. »Jacob! Was haben die Schweine mit dir angestellt?«

»Sie wollten, daß ich ihnen Auskunft gebe«, röchelte Jacob.

»Auskunft? Worüber?«

»Über euch. Über die Verteidiger von Blue Springs. Aber ich habe nichts gesagt.«

»Warum nicht? Es hätte an unserer Lage nichts geändert.«

»Wenn ich geredet hätte, hätte es mir nicht geholfen. Sie wollten mich fertigmachen. Wegen der Sache mit Präsident Lincoln. Wenn ich mich wenigstens hätte wehren können... Aber sie hatten mich gefesselt.«

»Wer hat dich so zugerichtet?«

»Anderson«, antwortete Jacob grimmig. »Und die beiden jungen Burschen, Cole Younger und Jesse James. James hat etwas von seinem Mittelfinger geredet, den er unseretwegen verloren hat.«

»Viel Feind, viel Ehr«, meinte Hickok lakonisch. »Wenn man uns begräbt, wird man sagen, daß wir uns vor Ehre nicht retten konnten.«

Byron Cordwainer starrte ihn feindselig an. »Das ist nur Ihre Schuld!«

Hickok sagte nichts. Er wollte sich in seinen letzten Stunden nicht streiten.

*

Mit der Abenddämmerung senkte sich eine auf unechte Weise friedvolle Stille über Blue Springs.

Die Einwohner, die noch am Leben waren, konnten sich nicht so recht über diesen Zustand freuen. Sie beschäftigte die bange Frage, wie lange er noch andauern würde.

Im Vergleich zu dem, was sie befürchtet und von anderen Städten gehört hatten, in die Quantrills Schwarze Brigade eingeritten war, war Blue Springs geradezu glimpflich davongekommen.

Ein paar Häuser am Stadtrand hatten gebrannt, weil das Feuer der explodierenden Wagen auf sie übergegriffen hatte. Aber Quantrill, der sonst ganze Städte einzuäschern pflegte, hatte seinen Männern diesmal gar befohlen, beim Löschen zu helfen.

Übermütige Guerillas waren in ein paar Häuser eingedrungen, hatten randaliert und die Frauen belästigt. Das hatte die Einwohner nicht überrascht. Sie hatten schon gehört, daß die Bushwackers die männlichen Bürger der überfallenen Städte abschlachteten und über die Frauen herfielen. Aber Quantrill hatte seine Leute zur allgemeinen Verwunderung zurückgepfiffen und ihnen untersagt, die Einwohner zu belästigen. Letztere sollten sich nur an die Auflage halten, ihre Häuser nicht zu verlassen und nichts gegen die Freischärler zu unternehmen. Das taten sie gern, wenn sie dafür ungeschoren blieben. Mehr noch, Quantrill schien geradezu versessen darauf, die Spuren des Überfalls auf Blue Springs möglichst rasch zu tilgen. Von Bushwackers bewacht, mußten alle arbeitsfähigen männlichen Gefangenen und Bürger die Barrikaden beseitigen, tote Männer und Pferde wegräumen sowie Brandspuren an den Gebäuden mit Farbe übertünchen.

Bis weit nach Einbruch der Dämmerung dauerte diese Arbeit. Quantrill schien so schnell wie möglich aus Blue Springs wieder ein friedliches Städtchen machen zu wollen.

Und doch war es seltsam, und die Einwohner trauten dem unverhofften Frieden nicht.

Gewiß, die Guerillas hatten die Bank geplündert. Aber waren die paar tausend Dollar, die sie erbeutet hatten, die erlittenen Verluste wert gewesen? Und wenn die Bank tatsächlich der Grund für den Überfall auf Blue Springs gewesen war, weshalb hielten sich die Bushwackers dann noch immer in der Stadt auf? Sie mußten doch damit rechnen, daß irgendwann Truppen anrückten.

Trotz der abgefangenen Kuriere. Sei es auch nur, weil die Armee festgestellt hatte, daß die Telegrafenverbindung gewaltsam unterbrochen worden war.

Nein, der Frieden, der am Abend über Blue Springs lag, war nicht echt, nicht endgültig. Daß sich noch etwas Großes ereignen würde, lag geradezu in der Luft, war so greifbar wie die Männer der Schwarzen Brigade, die in Dreiergruppen durch die stillen Straßen patrouillierten.

Aber die Bürger wollten es sich nicht eingestehen. Die Vorstellung, noch einmal mit dem Schrecken davongekommen zu sein, so man nicht nahe Angehörige verloren hatte, war einfach zu verführerisch.

Zwei Männer gingen durch die unwirklichen stillen Straßen der nächtlichen Stadt. Durch die sauberen, gepflegten Straßen im Wohnviertel der besseren Bürger. Sie kamen vom Cordwainer-Haus und wollten zum Anwesen des Bankiers Armstrong Lawrence.

Hier hatte William Clarke Quantrill sein provisorisches Hauptquartier aufgeschlagen. Ein schwarzes Tuch, über dem großen Haus aufgezogen, verkündete, daß hier der Captain der Schwarzen Brigade anzutreffen war.

Das Anwesen wurde von einem Haufen Bewaffneter gesichert, die ihre Revolver und Karabiner in Anschlag brachten, sobald die beiden Besucher um die Ecke bogen.

»Halt!« durchschnitt eine scharfe Stimme die nächtliche Stille. »Keinen Schritt weiter, oder wir schießen!«

Die beiden Besucher blieben stehen, und einer sagte: »Ihr werdet doch nicht auf eure Freunde schießen, Gents.«

»Wir müssen erst mal sehen, ob ihr unsere Freunde seid«, sagte die mißtrauische Stimme. »Jubal, leuchte den beiden Figuren mal heim!«

Ein Mann mit einer Blendlaterne trat auf die beiden im Schatten einer Stallung stehenden Besucher zu, hielt die Laterne hoch, schob die Blechverdeckung vom Glas, und der helle, durch die mattglasige Vergrößerungslinse verstärkte Lichtschein fiel grell in ein weißes und ein dunkles Gesicht.

In einer Reflexreaktion kniffen Custis Hunter und Melvin die Augen zusammen. Das Licht traf sie fast so schmerzhaft wie die scharfe Klinge eines Messers.

Der Mann vom Wachtrupp nahm die Laterne ein Stück zurück und rief nach hinten: »Es sind Hunter und sein Schwarzer.«

Bei dieser Formulierung lief ein Zucken über Melvins Gesicht. Daß der Freischärler statt »Schwarzer« nicht »Nigger« gesagt hatte, war auch schon alles, was von ihm an Feinfühligkeit erwartet werden konnte.

Wieder spürte der ehemalige Sklave deutlich, daß er nicht zu diesen Männern gehörte. Weder von sich aus noch aus ihrer Sicht. Er ritt mit der Schwarzen Brigade, die trotz ihres Namens nichts für die Schwarzen übrig hatte, nur, weil sie ihm helfen sollten, seine und Custis Hunters Rache zu verwirklichen.

Aber wie sah diese Rache aus?

Jetzt, nachdem sie Blue Springs eingenommen hatten, verspürte er nicht die Befriedigung, die er erwartet, geradezu herbeigesehnt hatte. Seine Frau Lisa und ihr ungeborenes Kind waren tot. Nichts konnte sie wieder lebendig machen. Auch nicht die Tatsache, daß er mit den Bushwackers über die Stadt herfiel, aus der Lisas Mörder kamen.

Melvin erkannte, daß er sich Quantrill nicht wegen Lisa angeschlossen hatte, sondern ganz allein um seiner selbst. Um die Trauer um Lisas Tod mit seinem Haß bekämpfen zu können.

Doch als er die gefallenen Verteidiger von Blue Springs sah, wurde ihm schlagartig bewußt, den falschen Weg eingeschlagen zu haben. Er wußte jetzt, daß nicht nur Männer aus der Stadt unter ihnen waren, sondern viele Menschen, die mit dem Überfall auf Starcrest nicht das geringste zu tun hatten: Fuhrkutscher und Passagiere eines Flußdampfers.

Melvin konnte nicht sagen, wer von den Toten durch seine Kugeln gefallen war. Aber er war dabei gewesen, hatte die Angreifer unterstützt. Das trug ihm auf jeden Fall eine Mitschuld am Tod Unschuldiger ein. Er hatte ebensolches Unglück über ihm fremde Menschen und Familien gebracht, wie es die Jayhawkers auf der Plantage getan hatte.

Er empfand Ekel vor sich selbst und fühlte sich der Schwarzen Brigade nicht länger zugehörig. Custis erging es ähnlich. Das Wiedersehen mit Virginia und die Begegnung mit seinem Sohn hatten ihm die Augen geöffnet.