Grund genug für den jungen Will, die Verfechter der Sklaverei zu hassen. Seine Mutter kannte seinen Haß und wollte ihren Sohn davor bewahren, ihm selbst zum Opfer zu fallen. Deshalb das Versprechen, das Will ihr geben mußte.
Und jetzt war er in ein Abenteuer verwickelt, das viel gefährlicher war als der Dienst in einer regulären Einheit der Armee. Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Er hatte für die Armee als Kurier und Pferdefänger gearbeitet, um wenigstens etwas für die Sache des Nordens zu tun, wenn es ihm schon verwehrt war, die blaue Uniform anzuziehen. Auf der Suche nach ein paar Pferden, die ihm gestohlen worden waren, hatte er seinen alten Freund und Lehrmeister James Hickok wiedergetroffen. Die gestohlenen Pferde waren Quantrills Guerilla-Bande zugeführt worden, in die sich Hickok gerade einschlich. Cody packte die Abenteuerlust, und er schloß sich seinem älteren, von ihm bewunderten Freund an.
Nun war er hier, ritt um das Leben einer ganzen Stadt und fragte sich, was seine Mutter dazu sagen würde. Es war besser, er erzählte es ihr gar nicht erst.
Er durchritt hügeliges, bewaldetes, unüberschaubares Land und geriet unverhofft an einen kleinen Creek. Die Pferde wieherten erfreut, als sie die Witterung des Wassers aufnahmen, und auch Cody verspürte Durst.
Am Ufer des Baches stieg er aus dem Sattel und ließ die Pferde trinken, darauf achtend, daß sie nicht zuviel Wasser in sich hineinschlürften. Dann kniete er sich hin, nahm den speckigen Hut mit der verbogenen Krempe ab und gönnte sich selbst eine Erfrischung.
Als er sich wieder erhob und seinen Hut aufsetzte, wußte er, daß er einen Fehler gemacht hatte. Für kurze Zeit war er unaufmerksam gewesen, hatte einfach nur das belebende Gefühl des Wassers genossen, das seine Kehle hinunterrann. Er hatte Hickoks Rat nicht beherzigt, in der Nähe von Feinden stets mindestens ein Auge offenzuhalten.
Deshalb war es ihnen gelungen, den jungen Kurier zu überraschen. Sie waren von ihren Pferden gestiegen und hatten sich durch das Buschwerk am anderen Ufer des Creeks angeschlichen. Jetzt standen sie ihm gegenüber und richteten ihre Waffen auf ihn, nur durch das keine sechs Yards breite Gewässer von ihm getrennt.
Aber er kannte die drei Männern, die zu Quantrills Bande gehörten und die er hier nicht vermutet hatte. Der Größte von ihnen, der in der Mitte stand, ein pockennarbiger Texaner mit nach unten hängenden Mundwinkeln, die seinem Gesicht einen grausamen Zug verliehen, wurde Jasper genannt. Ein ziemlich brutaler, gemeiner Kerl, mit dem nicht zu spaßen war. Seine beiden Begleiter hörten auf die Namen Morgan und Jones.
Sie waren nicht bei Quantrill gewesen, als Cody und Hickok mit George Todds Partisanentrupp nach dem Überfall auf das Depot von Liberty über den Missouri gekommen waren. Also konnten sie nicht wissen, was sich in den letzten beiden Tagen ereignet hatte. Cody, dessen erster Impuls gewesen war, den 44er aus dem Holster zu reißen, beschloß zu bluffen.
Lässig schob er seinen Hut nach hinten und rief: »Hallo, Leute! Weshalb richtet ihr eure Waffen auf einen Freund? Habt ihr vergessen, daß auch ich für Quantrill reite?«
»Nein, haben wir nicht«, antwortete Jasper in seinem breiten Texasdialekt, ohne seinen auf Cody gerichteten Army Colt sinken zu lassen. »Als wir das Wiehern deiner Pferde hörten, wußten wir nicht, mit wem wir es zu tun haben.«
»Jetzt wißt ihr es und könnt eure Schießeisen wegstecken.«
»Nicht so hastig«, meinte der Texaner mit unbewegtem Gesicht. »Erklär uns erst mal, was du in dieser Gegend suchst.«
»Euch«, setzte Cody seinen Bluff fort, ohne eine Ahnung zu haben, wohin er ihn bringen würde.
»Uns?« Zum erstenmal zeigte das pockennarbige Gesicht des Texaners eine menschliche Regung: Erstaunen.
»Yeah, der Captain braucht euch, und zwar dringend!«
»Quantrill?« vergewisserte sich Jasper.
»Wer sonst?«
»Aber warum?«
Ohne zu wissen, wie der erste Angriff auf Blue Springs verlaufen war und wie nahe er der Wahrheit kam, antwortete der junge Kurier: »Weil er sich beim Angriff auf Blue Springs eine blutige Abfuhr eingehandelt hat. Eine Menge guter Männer haben ins Gras gebissen. Wir brauchen jeden Reiter, um die Stadt zu nehmen. Deshalb sollte ich euch holen.«
Jasper zog die Stirn in Falten. Hinter ihr arbeitete es merkbar, aber die Skepsis blieb auf sein Gesicht geschrieben.
»Quantrill weiß doch, daß wir wieder zu ihm stoßen, sobald wir die Telegrafenleitung nach Kansas City an mehreren Stellen unterbrochen haben. So lautet unser Auftrag. Wir sind mit der Arbeit fertig und jetzt auf dem Weg zu ihm.«
So war das also. Es war ein verdammtes Pech gewesen, daß Cody den drei Guerillas in die Arme geritten war.
»Aber ihr sollt euch beeilen und nicht herumtrödeln. Quantrill will den nächsten Angriff auf Blue Springs so schnell wie möglich unternehmen.«
»Was will er bloß in dieser Stadt?«
»Mir hat er's nicht gesagt«, antwortete Cody. »Euch?«
»Nein«, sagte der Texaner, noch immer nicht zufrieden. Er zeigte mit der Linken auf den Schimmel. »Ich kenne das Pferd. Es gehört Matt Boulder. Weshalb reitest du es?«
»Weil es schnell ist und weil ich ein schnelles Pferd brauchte. Und Boulder nützt es nicht mehr. Er ist gefallen.«
Das war nur die halbe Wahrheit. Boulder konnte mit dem Pferd tatsächlich nichts mehr anfangen, aber er lebte noch. Er gehörte zu den Verletzten, die Quantrill auf der Miller-Farm zurückgelassen hatte. Hatfield, der Arzt aus Blue Springs, hatte Boulder einen Arm abnehmen müssen.
Jasper nickte und steckte langsam seinen Sechsschüsser ins Holster. Jones ließ seinen Karabiner sinken, und auch der bullige Morgan steckte seine beiden Revolver zurück an seine Hüften.
Cody triumphierte innerlich, bemühte sich aber, das nicht nach außen zu zeigen. Es freute ihn, wie überzeugend seine Lügengeschichte auf die drei anderen gewirkt hatte. Zum erstenmal erkannte er sein außerordentliches Talent, Fakten mit Legenden zu vermischen und andere damit zu beeindrucken.
»Holt eure Pferde«, sagte Cody. »Und dann folgt mir. Wir müssen so schnell wie möglich zurück nach Blue Springs.«
»All right«, meinte Jasper und wandte sich an den links neben ihm stehenden Morgan. »Hol unsere Gäule.«
Der bullige Mann aus Alabama war kaum zwischen Sträuchern und Büschen verschwunden, da stieg Cody in den Sattel des Braunen. Für das, was er jetzt vorhatte, benötigte er ein frisches Pferd. Es würde der mörderischste Ritt seines jungen, aber erlebnisreichen Lebens werden.
Er nahm den Schimmel am Zügel und ritt langsam durch den flachen Creek, der den Pferden an seiner tiefsten Stelle gerade mal bis zu den Bäuchen reichte. Als er das andere Ufer erreichte, ließ er den Schimmel los, gab ihm einen festen Klapps auf die Kruppe, stieß einen gellenden Schrei aus und gab gleichzeitig dem Braunen die Sporen, lenkte ihn auf Jasper zu.
Der überrumpelte Texaner wollte ausweichen, hob abwehrend die Hände, stolperte über einen flachen Felsen und stürzte zu Boden. Dann war Cody auch schon an ihm vorbei. Aus den Augenwinkeln sah er noch, daß es Jones nicht viel anders ergangen war als Jasper. Der plötzlich wild herumtänzelnde Schimmel hatte Jones veranlaßt, sich mit einem weiten Satz hinter einen Haselnußstrauch in Sicherheit zu bringen.
Ganz so, wie es Cody geplant hatte. Zufrieden trieb er den Braunen mit aufmunternden Worten an, während er sich tief über den Hals des Tieres beugte. Nicht nur, um schneller zu sein, sondern auch, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Er war sich bewußt, daß er noch nicht außer Gefahr war.
Wie zur Bestätigung dieses Gedankens krachten hinter ihm Schüsse. Eine Kugel klatschte dicht neben den Vorderhufen des Braunen in den Schlamm, eine andere riß den Hut von Codys Kopf. Er trauerte nicht um den alten Deckel. Wichtiger war, daß er noch lebte. Eine Handbreit tiefer, und die Kugel hätte seinen Kopf erwischt.