Das Labyrinth zerfiel beinahe im gleichen Augenblick. Seine metallenen Wände rollten sich zusammen und lösten sich in Rauch auf wie Blätter, die von einem Flammenwerfer erfaßt werden. Schließlich schaltete der Kapitän die Disruptorkanone wieder ab und lauschte interessiert auf die neuen Sensorablesungen, die ihm von der Brückenbesatzung gemeldet wurden. Vom Labyrinth des Wahnsinns war nicht die kleinste Spur zurückgeblieben, und die dahinter liegende Stadt der Hadenmänner war ebenfalls in Schutt und Asche gefallen.
Luft und Temperatur sanken rasch wieder auf normale Werte zurück, aber schließlich schuldete das Schicksal Schwejksam auch einmal ein wenig Glück.
Er verließ die Pinasse als erster, nachdem das Schiff gelandet war, und trat auf die geschmolzene und wieder erstarrte Ebene hinaus. Frost kam direkt hinter ihm. Die Luft war noch immer heiß und trocken und reizte ihre Lungen. Sie entdeckten nicht mehr den kleinsten Hinweis, daß genau hier einmal das Labyrinth des Wahnsinns gestanden hatte. Frost kicherte fröhlich.
»Wer sich mit uns anlegt, ist selber schuld. Wir haben die größeren Kanonen. Nettes Schützenfest, das Ihr da veranstaltet habt, Kapitän. Habt Ihr je darüber nachgedacht, Investigator zu werden?«
»Zu schade um das Labyrinth«, brummte Lord Dram und gesellte sich zu Schwejksam und Frost. »Ich hätte es zu gerne eingehender studiert, aber die Zeit drängt. Die Rebellen dürfen auf keinen Fall die Gruft von Haden erreichen. Wollt Ihr vorangehen, oder soll ich es tun?«
»Ich gehe zuerst«, erwiderte Schwejksam. »Das ist immer noch meine Mission.«
Er versammelte den Rest seiner Truppen, ein Dutzend Techniker aus der Pinasse, die Wampyre und Stelmach mit seinem Schoßtier, und führte sie über die ausgedehnte Ebene auf die Überreste der Stadt zu. Alle hielten ihre Waffen schußbereit in den Händen, doch nichts mehr stellte sich ihnen in den Weg. Die metallenen Wände waren verschwunden, und mit ihnen die Körper der Gefallenen. Schwejksam nahm sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt einen Gottesdienst abzuhalten. Die Form sollte schließlich gewahrt bleiben, auch wenn die Leichname nicht mehr existierten. Dann erblickte er ein leuchtendes Etwas, das einsam und allein in der Mitte der Ebene ruhte, und beschleunigte seinen Schritt. Kurze Zeit später hatten sie sich um einen großen, strahlenden Kristall versammelt und starrten schweigend auf den winzigen menschlichen Säugling, der darin zu schlafen schien.
»Also das ist wirklich interessant«, sagte Frost. »Warum haben die Sensoren der Pinasse nichts davon entdeckt?«
»Zur Hölle mit den verdammten Sensoren«, erwiderte Schwejksam. »Was mich viel mehr interessiert: Wie konnte es das Feuer der Disruptorgeschütze überleben?«
»Ein Kraftfeld von unbekannter Struktur«, erklärte Dram.
»Richtig!«, stimmte Frost dem Lord zu. »Ein Kraftfeld, das unsere Sensoren nicht orten konnten und das überdies stark genug ist, um dem Feuer schwerer Disruptorgeschütze aus allerkürzester Distanz zu widerstehen. Wer auch immer dieses Baby zurückgelassen hat, er wollte auf keinen Fall, daß jemand seinen Schlaf stört.«
»Laßt es liegen«, befahl Dram. »Es ist nicht weiter wichtig.
Nur die Rebellen zählen jetzt.«
»Einverstanden«, sagte Schwejksam zögernd. »Los, Leute!
Setzt Euch in Bewegung! Bleibt zusammen, wenn wir in die Stadt vordringen, aber kommt Euch nicht gegenseitig ins Schußfeld. Wenn Ihr jemanden seht, der nicht zu uns gehört, dann schießt. Wir haben keine Freunde hier unten.«
Bevor das Labyrinth zerstört wurde, versammelten sich die fünf, die es durchquert und überlebt hatten, am Rand der Stadt der Hadenmänner und begannen nach und nach zu begreifen, wie weit die Veränderungen reichten, die das Labyrinth an ihnen vorgenommen hatte. Sie alle fühlten sich stärker, schneller, gesünder, und ihre Gedanken waren ungewohnt klar und hell. Selbst der Hadenmann gestand, daß seine Systeme weitaus besser arbeiteten als zuvor. Sie blickten sich gegenseitig an und warteten, daß einer von ihnen in Worte faßte, was alle fühlten, und doch zögerte jeder, die feierliche Stimmung des Augenblicks durch Reden zu stören. Schließlich war es Owen, der ungläubig den Kopf schüttelte.
»Nach allem, was wir durchgemacht haben, dürfte ich gar nicht mehr auf den Beinen stehen. Aber ich fühle mich, als könnte ich es mit einer ganzen Armee aufnehmen.«
»Richtig«, stimmte ihm Hazel zu. »Und zwar einer großen Armee. Ich fühle mich… wie neugeboren. Alles scheint so…«
»… klar zu sein«, beendete Ruby ihren Satz. »So deutlich. Als würde ich die Welt zum ersten Mal richtig sehen. Und das Labyrinth – ich verstehe…«
»… seine Funktion, ja«, sagte Ohnesorg. »Ich muß nur einen Blick darauf werfen, und ich weiß, welchen Sinn es erfüllt. Evolution. Transzendenz. Perfektion. Wenn wir uns lange genug darin aufhalten würden, wer weiß, was aus uns noch alles geworden wäre. Habt Ihr bemerkt, daß jeder von uns weiß, was der andere sagen will? Wir vollenden gegenseitig unsere Sätze.«
»Ja«, sagte Giles. »Es ist wie ein unsichtbares Band. Ich kann es spüren. Wie ESP, aber tiefer, fundamentaler, stärker.
Wir haben uns verändert. Wir sind…«
»… anders«, sagte Mond. »Sehr viel anders als zuvor. Ihr seid jetzt mehr als gewöhnliche Menschen, und ich bin mehr als ein gewöhnlicher Hadenmann. Interessant. Ich frage mich, ob die anderen aus meinem Volk ebenfalls durch das Labyrinth gegangen sind, bevor sie sich in die Gruft zurückzogen.«
»Gott, ich hoffe nicht!« sagte Owen. »Das ist alles, was der Menschheit noch fehlt. Eine Armee von weit fortgeschrittenen Super-Hadenmännern.«
»Was auch geschehen mag«, entgegnete Mond ruhig, »ich glaube, ich kann garantieren, daß meine Leute in der kommenden Rebellion nicht an der Seite des Imperiums kämpfen werden.«
»Aber ich bin nicht sicher, ob ich Euch an meiner Seite haben will«, sagte Owen.
»Verdammt richtig, Aristo«, stimmte Hazel ihm zu. »Ihr Typen habt euch beim letzten Mal ziemlich unpopulär gemacht. Das kommt davon, wenn man ›Tod der Menschheit!‹ als Schlachtruf verwendet.«
»Imperiale Propaganda, mehr nicht«, widersprach Mond.
»Wir wollten nie mehr als unsere Freiheit.«
»Er sagt die Wahrheit«, kam Ohnesorg dem Hadenmann zu Hilfe. »Ich kann es spüren.«
»Ich auch«, erklärte Ruby Reise. »Es ist, als… als würde man zum ersten Mal Farben sehen. Seltsam. Sind wir jetzt Esper oder was?«
»Ganz eindeutig ›was‹«, sagte Owen. »Ich glaube Mond zwar auch, aber er war lange Zeit von seinem Volk getrennt.
Die Menschen ändern sich, und das gleiche gilt für Hadenmänner. Giles, du bist so still. Stimmt irgend etwas nicht?«
»Das Universum selbst hat sich verändert, seit ich es das letzte Mal gesehen habe«, antwortete Giles. »Und jetzt scheint es, daß ich selbst ebenfalls tiefgreifenden Veränderungen unterworfen bin. Entschuldigt bitte, wenn ich ein wenig verwirrt erscheine.«
»Wir können später darüber reden«, sagte Hazel. »In der Zwischenzeit sollten wir uns Gedanken machen, wie wir auf dem schnellsten Weg hinauskommen. Die Imperialen Truppen sind nicht weit hinter uns.«
Sie unterbrach sich und sah zurück zum Labyrinth des Wahnsinns. Die Augen ihrer Kameraden folgten Hazels Blicken, und ihre Sinne schienen durch ein Gefühl unmittelbar bevorstehender Gefahr geschärft. Sie hörten das Donnern einer sich nähernden Pinasse und das Fauchen einer schweren Disruptorkanone. Owen hatte eine Warnung auf den Lippen, aber bevor er ein Wort herausbrachte, schien das gesamte Labyrinth in einem blendenden Aufflammen tosender Energien zu explodieren. Die Rebellen drängten sich instinktiv zusammen, und ein Kraftfeld hüllte sie ein, das aus purer kollektiver Willenskraft zu stammen schien. Selbst der wilde Sturm entfesselter Energien konnte das Kraftfeld nicht durchdringen.