Langsam schlenderte Hazel den Mittelgang zwischen den Körperbänken entlang. Vor ihrem geistigen Auge brannten die Bilder von Herzen und Lungen und Nieren, durch die frisches, hellrotes Blut pulsierte. Sie wußte zwar, daß die tiefgefrorenen Organe in Wirklichkeit ganz anders aussahen, aber ihr gefiel die Vorstellung. Ihre Kollegen redeten von den Organen als ›Handelsware‹. genauso beiläufig wie Metzger im Schlachthaus über das Vieh.
Hazel blieb stehen und sah sich um. Sie war umgeben von Hunderten menschlicher Organe und Gewebe. Genug, um ein ganzes Dutzend Schlachtfelder damit zu übersäen – doch jedes einzelne vollkommen wertlos, rettungslos mit einem heimtückischen Virus kontaminiert. Das kam davon, wenn man sich im Klonpascher-Geschäft Feinde machte.
Vor gar nicht langer Zeit hatte der Käpten den Friedhofsknaben mit seiner üblichen Mischung aus Risikobereitschaft und Gerissenheit ein Geschäft vor der Nase weggeschnappt.
Kontrakte, um die sich die Scherbe seit Jahren bemüht hatte, waren plötzlich wie durch Zauberei in ihren Schoß gefallen.
Hazel lächelte grimmig. Klonpaschen war ein halsabschneiderisches Geschäft. Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.
Klonpaschen war illegal. Ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe stand. Aber das verringerte keineswegs die Flut von Leuten, die willens waren, aus dem Tod ein Geschäft zu machen. Offiziell war es nur der obersten Oberschicht erlaubt, geklontes menschliches Gewebe für Transplantationszwecke zu verwenden. Nur denen, die eine entsprechende Erziehung und Position (und ein nicht zu kleines Vermögen) besaßen. Es ging schließlich nicht an, daß die niederen Klassen lange und gesunde Leben lebten; dazu gab es viel zu viele von ihnen – elbst wenn man die neu kolonisierten Welten mit berücksichtigte, die weiträumige Territorien zur Besiedelung eröffneten.
Außerdem mochte es sehr wohl dazu führen, daß die niederen Stände sich auf einmal für etwas Besseres hielten.
Das war die offizielle Version. Inoffiziell – wenn man genügend Geld besaß und die richtigen Leute (oder besser gesagt: die falschen!) kannte, konnte man sich jedes erdenkliche Organ transplantieren lassen. Entweder durch Klonen eigener Zellen oder durch illegal gewonnene Organe aus Körperbänken. Mit körpereigenen geklonten Geweben gab es niemals Abstoßungsprobleme, doch die ursprünglichen Organe wiesen überraschend häufig angeborene Defekte auf. Manchmal traten auch andere Schwierigkeiten auf, die ein Klonen unmöglich machten. An dieser Stelle kamen die Körperräuber ins Spiel. Niemand war vor ihnen sicher. Nicht die Toten, und auch nicht die Lebenden.
Auf den meisten Planeten wurden die Toten verbrannt. So lautete das Gesetz der Imperatorin. Es sollte sicherstellen, daß Spenderorgane nur für die richtigen Leute zur Verfügung standen. Aber Hinterweltplaneten unterhielten oftmals geheime, illegale Friedhöfe und Mausoleen. Man wußte nie, wann die Ernte einmal ausfiel und sonstige Geschäfte schlecht liefen, und dann benötigte man möglicherweise kurzfristig ein wenig Geld in der Tasche. Und so zogen die Klonpascher ihre Bahnen, und jeder verdiente sich ein wenig hinzu. Die Klonpascher verdienten sich dumm und dämlich. Die Nachfrage war gewaltig. Sie mußten nicht mehr tun, als ihre Lager zu füllen und darauf zu warten, daß jemand zaghaft an ihre Tür klopfte.
Leider war es nicht immer so einfach, wie es in der Theorie klang. Klonen war eine ziemlich diffizile Angelegenheit, bei der eine Menge danebengehen konnte. Die Organe, aus denen die Klonzellen gewonnen wurden, verbrauchten sich rasch, und dann mußte für Nachschub gesorgt werden. Die Körperbanken hatten einen unersättlichen Appetit, und versteckte Friedhöfe gab es nur wenige, weit verstreut, häufig durch exklusive Verträge an eine bestimmte Mannschaft von Klonpaschern gebunden. Und so mischten sich die Körperräuber immer häufiger unter die Lebenden und suchten nach Opfern, deren Verschwinden nicht allzu viel Aufsehen erregte. Eine Schande, natürlich – aber für ein Omelett benötigt man nun einmal Eier, und so weiter…
Der Käpten hatte Hazel versichert, daß sie nur Gräber berauben würden, als sie vor vier Planeten auf der Scherbe angeheuert hatte. Außer vielleicht, wenn die Geschäfte wirklich ganz schlecht liefen. Schnell hinein ins System, genügend Ware ausgegraben, um die Körperbanken aufzufüllen, und dann nichts wie weg, als wäre der leibhaftige Teufel hinter einem her – bevor man von irgendwem gegen eine Belohnung an das Imperium verraten werden konnte. Einen Judas gab es immer.
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Alles, aber auch wirklich alles war schiefgegangen. Die Friedhofsknaben waren ihnen zuvorgekommen und hatten die Ware mit einem äußerst bösartigen Virus kontaminiert, der durch jeden der üblichen Tests geschlüpft war. Jetzt war jedes Organ an Bord wertlos, und zu allem Übel hatten sie auch noch Kontrakte mit Leuten zu erfüllen, die nicht eben für Geduld und Verständnis bekannt waren.
Also hatte Käpten Markee mit der Mütze in der Hand die Blutläufer im Obeahsystem aufgesucht und um einen Gefallen gebeten. Hazel erschauerte noch immer bei dem Gedanken an das, was sie und der Rest der Mannschaft als Gegenleistung für die Informationen hatten versprechen müssen, die die Blutläufer ihnen überließen. Nichts, aber auch wirklich gar nichts durfte bei diesem Deal schiefgehen. Es gab weitaus Schlimmeres als den Tod.
Die Blutläufer hatten sie mit Leuten auf Virimonde zusammengebracht, draußen am Rand, und die Scherbe war in das System gesprungen, um einmal mehr das alte Spiel zu spielen.
Ein allerletzter Wurf mit den Würfeln des Schicksals.
Hazel fragte sich nicht zum ersten Mal, wie sie in diese Geschichte hineingerutscht war. So hatte sie sich ihre Zukunft ganz gewiß nicht vorgestellt, als sie zehn Minuten vor dem Eintreffen eines Inhaftierungsbefehls und einem drohenden längeren Aufenthalt im Gefängnis ihren Heimatplaneten auf der Suche nach faszinierenden Abenteuern verlassen hatte.
Klonpascher waren die Niedrigsten der Niedrigen, der Abschaum des Imperiums. Selbst ein lepröser Bettler würde stehenbleiben, um auf einen Klonpascher zu spucken.
Menschen in gewissen höheren Kreisen brüsteten sich gerne mit ihren eigenen, persönlichen Klonpaschern, wie man das vielleicht mit einem wütenden Raubtier tun würde, das für die Arena trainiert ist – aber es gab niemanden, wirklich niemanden, der in der Öffentlichkeit ein gutes Wort für Klonpascher einlegen würde. Sie waren Parias, Ausgestoßene, Unberührbare, weil sie es wagten, ein Geschäft zu betreiben, dessen Existenz alle am liebsten totgeschwiegen hätten.
Hazel seufzte müde. Sie würde der Scherbe auf der Stelle den Rücken kehren, wenn sie gewußt hätte, wohin sie sich wenden könnte. Hazel d’Ark, dreiundzwanzig Jahre alt, groß, geschmeidig, muskulös, mit scharfgeschnittenem, markantem Gesicht und einer roten, unbezähmbaren Mähne auf dem Kopf. Mit grünen Augen, denen nichts entging, und einem Lächeln so schnell, daß andere es glatt übersehen konnten, wenn sie nicht darauf achteten.
Hazel hatte seit ihrer Flucht von zu Hause einen Drecksjob nach dem anderen angenommen, und das zeigte sich deutlich in ihrer vorsichtigen Haltung und ihrem kaum verhüllten Mißtrauen gegenüber anderen Menschen. Auf Loki hatte sie als Söldner gearbeitet, auf Golgatha als Leibwächter, und zuletzt auf Brahmin II bei den Sicherheitsbehörden. Dort hatte sie schließlich Kapitän Markee aufgelesen, als sie wieder einmal um ihr Leben rennen mußte. Ein vorgesetzter Offizier war der Ansicht gewesen, daß allein sein Rang ihm das Recht an gewissen Teilen ihres Körpers verschaffte – allerdings nicht zum Klonen. Hazel d’Ark hatte ihre abweichende Meinung kundgetan. Sie hatte schon vor langer Zeit entschieden, daß sie nichts umsonst hergeben würde, das sich auch verkaufen ließ. Es setzte Schläge und endete in Tränen – und Hazel fand sich einmal mehr auf der Flucht, während das Blut des Bastards noch immer von ihrem Messer tropfte.