Sie hatte weder Zeit für die wilden Farben und die noch wilderen Insignien, die die Aufmerksamkeit so vieler ihrer Höflinge und Hofdamen beanspruchten, noch für sonst irgend etwas anderes, das vom Eindruck dessen ablenken mochte, was sie darstellte. Die ausgeprägten Gesichtszüge mit dem breiten Mund und den leuchtendblauen Augen wurden von einer Masse blonden Haares umrahmt, das sich auf ihrem Kopf auftürmte. Der Rücken war gerade, die Haltung straff, der Kopf hoch erhoben, und ihr Blick konnte einen auf hundert Meter Entfernung erschauern lassen. Löwenstein XIV. war wunderschön. Alle erzählten sich das.
Ihre Mägde flatterten erregt um sie herum, legten hier eine Falte und korrigierten dort einen Saum. Ihre Hände waren ununterbrochen in Bewegung, und ihre Berührung war freundlich, aber bestimmt. Löwenstein vertraute ihnen vollkommen; sie selbst beaufsichtigte die Konditionierung jeder einzelnen, bevor sie erlaubte, daß sie zu ihren anderen Mägden gesteckt wurde. Sie sprach niemals mit ihnen, weder um sich zu unterhalten, noch um sie nach einer Meinung zu fragen. Die Mägde hatten nichts zu sagen. Löwenstein XIV. hatte ihnen die Zungen herausschneiden lassen, damit sie nicht hinter ihrem Rücken über die Imperatorin tuscheln konnten.
Sie hatte sie auch blenden lassen und ihnen das Gehör genommen. Die Mägde traten nur mit Hilfe kybernetischer Sinne mit ihrer Umwelt in Kontakt. Es schickte sich nicht und hätte eine Lücke im umfassenden Sicherheitsnetz bedeutet, wenn irgend jemand Ihre Majestät in ihren privatesten und wehrlosesten Augenblicken gehört oder gesehen hätte, und so wurden die Mägde der Imperatorin ihrer natürlichen Sinne beraubt und erhielten im Gegenzug viel vollkommenere (und leichter kontrollierbare) künstliche Systeme.
Es galt als große Ehre, der Imperatorin persönlich dienen zu dürfen, und es gab eine lange Liste von Bewerberinnen, von den Höchsten bis zu den Niedrigsten im Reich, dieser Löwenstein XIV. wollte keine von ihnen – zur insgeheimen Erleichterung der Kandidatinnen. Ihre Mägde waren allesamt ehemalige Rebellen, Schuldner oder Gesetzlose. Oder vielleicht hin und wieder auch jemand, dem sie die Gunst entzogen hatte.
Die Imperatorin ließ ihren Mägden das Gehirn ausbrennen und programmierte sie um, und wo sich einst Widerspruch gegen sie geregt hatte, da fand sie nun ihre unterwürfigsten und hingebungsvollsten Sklavinnen.
Sie hatte auch noch andere Dinge mit ihnen angestellt, aber darüber sprach nie jemand. Oder zumindest nicht dann, wenn ein unbefugtes Ohr lauschen konnte.
Löwenstein XIV. trommelte ungeduldig mit den langen Fingernägeln auf den Lehnen ihres Sessels und wartete darauf, daß die Mägde ihrer Robe den letzten Schliff gaben. Sie verharrte unbeweglich, bis die große, gezackte Krone, die man aus einem einzigen Diamanten herausgeschliffen hatte, respektvoll auf ihren Kopf gesenkt worden war, dann erhob sie sich und verscheuchte die Mägde mit einer ungeduldigen Bewegung ihrer Hand. Sie betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel, und die Reflexion nickte anerkennend zurück Der Körperpanzer paßte wie angegossen und reichte vom Hals bis zu den Füßen. Er schimmerte stumpf, wo er nicht von dicken, luxuriösen Fellen von den Inneren Welten verdeckt wurde.
Nur ihr Gesicht blieb ungeschützt, wie es die Tradition von ihr verlangte. Im Zeitalter der Klone und anderer Doppelgänger oder Duplikate wollte das Imperium sicher sein, wer genau eigentlich herrschte.
Der Körperpanzer der Imperatorin beherbergte weitere Lebensretter und Sicherheitsmaßnahmen, und sie ging schnell die Prüfliste durch, während ihr persönliches Logik-Implantat die Ergebnisse direkt in ihren Sehnerv einspeiste. Alles schien in Ordnung zu sein – nicht, daß sie den leisesten Zweifel daran gehabt hätte –, und sie gestattete sich einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie ihr Boudoir verließ und die Mägde hinter ihr hereilten. Schnell hatten sie aufgeholt und verteilten sich auf die übliche, abschirmende Weise mit alarmbereiten kybernetischen Systemen um die Herrscherin, bereit, auf jede Respektlosigkeit zu reagieren. Die Mägde waren genauso Leibwächter wie Dienerinnen, und sie wichen niemals von ihrer Herrin, ganz egal, ob sie wachte oder schlief.
Außerhalb des Boudoirs hatte sich eine Menschenmenge auf dem Gang versammelt, die sich verzweifelt wie immer um die Aufmerksamkeit der Imperatorin bemühte. Angestellte, Militärattachés, Lobbyisten aller Glaubensbekenntnisse und Überzeugungen, und alle wollten Antworten und Entscheidungen wegen Angelegenheiten, die nicht ohne Imperiales Nicken vonstatten gingen. Sie schwärmten aus und redeten von allen Seiten gleichzeitig auf die Imperatorin ein, während Löwenstein XIV. durch den Korridor schritt. Die Dienerinnen verhinderten, daß die Bittsteller zu nahe kamen. Ganz egal, wie verzweifelt die Antragsteller sein mochten – sie besaßen genügend Verstand, um die Dienerinnen Löwensteins nicht zu verärgern. Die Imperatorin schien den Auflauf zu ignorieren, aber hin und wieder blickte sie doch in ein Gesicht und nickte ein kurzes Ja oder Nein oder Später. Alles von wirklicher Bedeutung würde so oder so an ihr Ohr dringen, und zwar durch die dafür vorgesehenen Kanäle – auch wenn die vorgesehenen Kanäle manchmal auf die eine oder andere Weise… abgelenkt wurden, von Leuten mit genügend Geld oder Einfluß beispielsweise. Löwenstein XIV. war dennoch überzeugt, daß sie sich stets auf dem neuesten Stand der Dinge befand.
Schließlich erreichten sie und ihre Dienerinnen den Aufzug am Ende des Korridors, und die Imperatorin signalisierte der Menge, zu verschwinden. Die meisten von ihnen zogen sich sofort in sichere Entfernung zurück, und die wenigen, die nicht schnell genug reagierten, fielen bei ihrem Rückzug beinahe übereinander, als Löwensteins Dienerinnen ihre kalten Blicke auf sie richteten. Die Herrscherin funkelte die geschlossenen Aufzugstüren an, während sie darauf wartete, daß der Lift eintraf. Sie war auf dem besten Weg, sich zu ihrer eigenen Audienz zu verspäten, und das war nicht zu entschuldigen. Natürlich würde niemand wagen, etwas zu sagen; wenn sie entschieden hatte, sich zu verspäten, dann war das ihre Angelegenheit, und niemand besaß das Recht oder die Kühnheit, daran Mißfallen auszudrücken. Aber in bestimmten Kreisen würde schnell und leise das Wort umgehen, daß die Imperatorin sich möglicherweise gehenließ und zunehmend laxer wurde, und die Sorte Leute, die Assassinen auf ihrer Gehaltsliste stehen hatten, würden sich in Erwartung der kommenden Dinge die Lippen lecken.
Ein dezentes Klingeln unterbrach sie in ihren Gedankengängen. Der Lift war angekommen und die Türen glitten zur Seite. Die Dienerinnen überprüften den Fahrstuhl mit ihren geschärften künstlichen Sinnen und entschieden zögernd, daß sich niemand daran zu schaffen gemacht hatte. Dann erst erlaubten sie der Herrscherin einzutreten. Die Türen schlossen sich vor den tiefgesenkten Köpfen der zurückbleibenden Menge im Korridor, und der Aufzug setzte sich rasch aus dem Innern des Bunkers in Richtung der oberen Etagen in Bewegung, wo die Audienz abgehalten wurde. Ein schwaches Grinsen stahl sich auf das Gesicht der Imperatorin, und wenn die Höflinge es hätten sehen können, wären ihnen gewiß mancherlei dringende Gründe eingefallen, um diesen Tag woanders zu verbringen.
Die Hofgemächer von Golgatha waren nur auf einem einzigen Weg zu erreichen: Untergrundzüge, die direkt von Palastrechnern gesteuert und kontrolliert wurden. Die Züge verkehrten pünktlich, waren bequem und garantiert unfallfrei, aber noch immer fuhr niemand gerne mit ihnen. Wichtige Persönlichkeiten waren es nicht gewohnt und unglücklich über die Tatsache, daß sie die Kontrolle über ihre persönliche Sicherheit aufgeben mußten, aber in dieser Hinsicht (genau wie in vielen anderen Dingen, die die Imperatorin betrafen) blieb ihnen keine andere Wahl. Löwensteins Sicherheit kam an erster Stelle. Immer. Das Ergebnis war, daß jeder, der seinen Fuß in einen der palastkontrollierten Züge setzte, dies in dem Wissen tat, daß er sein Leben buchstäblich in die Hände der Herrscherin legte. Manchmal benutzte Löwenstein XIV. die Züge als probates Mittel, um sich derer zu entledigen, die ihr Imperiales Mißvergnügen erregt hatten. Auf ein unhörbares Kommando seitens der Rechner hin hielt der Zug an, die Türen verriegelten sich, stählerne Blenden senkten sich über die Fenster, und dann strömte ein tödliches Gas durch den gesamten Zug. Die Düsen waren noch nicht einmal besonders geschickt verborgen.