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»Möge noch viel Zeit bis zu jenem Tag vergehen, Vater«, erwiderte Valentin, und nur ein sehr aufmerksamer Zuhörer hätte einen sarkastischen Unterton in seiner Stimme entdecken können. »Du tust so viel für mich, und ich weiß es nie zu würdigen. Ich habe ein paar Mittelchen dabei, die den Intellekt schärfen und das Bewußtsein klären. Möchtest du vielleicht eines davon ausprobieren?«

»Nein, ganz bestimmt nicht! Ich habe noch nie Drogen benötigt, um meinen Verstand zu schärfen. Aber zeig mir, wie schlau du bist. Was meinst du, warum die Hexe uns diesmal zu sich zitiert hat?«

Valentin zog eine Blume aus dem Ärmel. Sie besaß einen langen Stiel, der vor Dornen nur so starrte, und ihre dicken, fleischigen Blütenblätter waren schwarz wie die Nacht. Er roch anerkennend an der Pflanze, bevor er eines der Blätter zwischen die Zähne nahm und es herausriß. Dann begann er langsam auf dem Blatt zu kauen und genoß sichtlich die Pflanzensäfte.

»Die Imperatorin scheint in letzter Zeit ziemlich besorgt zu sein, von dem Augenblick an, seit die Nachricht von den beiden neu entdeckten Alienrassen außerhalb des Imperiums eingetroffen ist, die technologisch zumindest auf unserer Entwicklungsstufe stehen. Eine hätte als potentielle Bedrohung schon ausgereicht, aber die Aussicht auf zwei hochentwickelte Spezies scheint die Ärmste förmlich um ihre Fassung gebracht zu haben. Dann gibt es da auch noch die Kyberratten, die ihre zerstörerischen kleinen Spielchen in unseren Rechnern spielen, die Klan-Bewegung, die ihre Botschaften überall verbreitet, wo man hinsieht, und nicht zu vergessen die kleinen Elfen mit ihren rabenschwarzen Seelen. Die Elfen sind in letzter Zeit immer überheblicher geworden, ganz zu schweigen von ihren letzten erfolgreichen Angriffen. Und dann gibt es da natürlich auch noch die endlosen Intrigen am Hof mit all ihren dunklen Verschwörungen, Ränkespielen und verschlungenen Plänen. An manchen Tages ist es gesünder, wenn man am Hof nicht hustet und sich nicht hinter dem Ohr kratzt, weil jemand es als geheimes Zeichen für den Beginn irgendeiner Gewalttat mißdeuten könnte. Aber das weißt du doch alles selbst, Vater. Dazu brauchst du mich nicht.«

Der alte Wolf lächelte schwach. Es war kein schöner Anblick. »Also hast du wenigstens aufgepaßt, Sohn. Deine Antwort ist so gut wie jede andere, aber welche würdest du dir aussuchen? Wo liegt die wahre Gefahr für die Imperatorin und für uns?«

Valentin Wolf riß ein weiteres Blütenblatt ab und kaute darauf herum. Helle Flecken erschienen auf seinem Gesicht wie schlecht aufgelegtes Rouge, und seine rätselhaften Augen sahen geheimnisvolle Dinge. »Die Fremdwesen sind zu weit von uns weg, um eine Gefahr darzustellen, die unserer geliebten Majestät bereits jetzt Sorgen bereiten könnte. Vielleicht sollten wir einfach hingehen und die beiden Rassen miteinander bekannt machen. Wir könnten uns zurücklehnen und zusehen, während sie die Sache unter sich auskämpfen. Die Kyberratten sind zu wenige und weit davon entfernt, mehr als ein Ärgernis darzustellen. Und die Klon-Bewegung hat nicht die Mittel, um als wirkliche politische Kraft aus dem Untergrund zu treten. Die Elfen waren in letzter Zeit erstaunlich ruhig.

Das ist sicher kein dauerhafter Zustand, aber ich würde sagen, sie haben zumindest in den vergangenen Tagen nichts verbrochen, was die plötzlichen Einberufungen seitens unserer geliebten Majestät begründen oder gar rechtfertigen könnte.

Nein, ich fürchte, der Anlaß ist weitaus banaler als all das.

Die liebe Löwenstein hat jemanden mit heruntergelassenen Hosen oder den Händen in der Kasse erwischt und möchte uns einschüchtern. Wir sollen kleinlaut zusehen, während sie ein sehr lehrreiches und unerfreuliches Exempel an dem armen Bösewicht statuiert. Die Schöne ohne Gnade. Unsere Dame der Schmerzen. Die Eiserne Hexe.«

Jakob Wolf nickte nachdenklich und dehnte seine gewaltigen Muskeln. »Gut. Wahrscheinlich hast du recht. Einem von uns Lords soll der Kopf abgerissen werden, und sie will, daß wir dabei zusehen und uns daran erinnern, wer das Sagen am Hof hat. Also nichts wirklich Neues, mit Ausnahme der Tatsache, daß ich zum ersten Mal nicht die leiseste Ahnung habe, wer es sein könnte. Und das erscheint mir doch ziemlich eigenartig. Normalerweise sind die Gerüchte so laut, daß meine Agenten sie gar nicht überhören können. Also nimm dich in acht, wenn wir am Hof eintreffen, Junge. Halte deinen Mund fest verschlossen und bewahre einen klaren Kopf, und laß dich von mir führen.«

»Du kannst dich auf mich verlassen, Vater.« Valentin schluckte das letzte Blütenblatt und begann auf dem Stengel zu kauen, ohne die Dornen zu beachten. Ein dünner Faden aus Speichel vermischt mit Blut rann über sein Kinn, als er lächelte. Sein Vater wandte angewidert die Augen ab.

Die Vorhalle des Imperialen Hofes war groß genug, um jeden anderen Hof in Verlegenheit zu bringen. Eine gewaltige, weitläufige Halle aus glänzendem Stahl und Messing, die sich in jede Richtung weiter erstreckte, als das Auge sehen konnte.

Hier und da wurde die Aussicht von reichverzierten Säulen aus Gold und Silber unterbrochen, die in regelmäßigen Abständen mehr wegen des Eindrucks denn als Stützen errichtet worden waren. Eine wahre Menschenmasse erfüllte dichtgedrängt die Halle von einer Wand zur anderen. Jeder, der etwas auf sich hielt oder etwas darstellte (oder das zumindest von sich dachte), erschien zur Audienz der Herrscherin bei Hofe, um die Hände derer zu schütteln, die zur Zeit in der Gunst der Imperatorin standen – oder die Nase über die zu rümpfen, die in Ungnade gefallen waren. Man verabredete Hochzeiten, besprach geschäftliche Transaktionen oder fand sich einfach nur ein, um sich vor den Myriaden draußen im Imperium auf den Holoschirmen zu zeigen. Speisen und Getränke aller Arten waren frei und wurden von livrierten Dienern gereicht, aber nur wenige griffen zu. Das Warten auf die Herrscherin und die gespannte Frage, in welcher Stimmung sie sein würde, beflügelte nicht gerade den Appetit. Außerdem besaß Löwenstein eine ziemlich scheußliche Art von Humor, die sich hin und wieder im angebotenen Essen entlud.

Alle Familien waren anwesend: die Crème de la Crème der Aristokratie, in vorsichtigem Abstand von eingeschworenen Feinden oder sorgfältig darauf bedacht, nicht in der Nähe derer mit deutlich niedrigerem Status zu stehen. Jeder Clan lag mit mindestens einem anderen Clan in blutiger Fehde, aber das wurde auch so erwartet.

Auf einer Seite standen die Hologramme, nickten sich gegenseitig freundlich zu und verrieten sich durch gelegentliches schwaches Schimmern, wenn das eine oder andere Sicherheitsfeld das Übertragungssignal für Sekundenbruchteile unterbrach. Gesetz und Brauch verboten ihnen zu sprechen oder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und so trieben sie zwischen den prächtigen Lords und Ladies hindurch wie Geister bei einem Gelage.

Die Familien betrieben leise Konversation, während sie warteten, und suchten Unterstützung oder Vorteile oder interessierten sich einfach für das neueste Geschwätz. Wissen war Macht am Hof von Löwenstein XIV., selbst wenn es nur das rechtzeitige Wissen war, in welche Richtung man sich zu ducken hatte. Jeder verdächtigte jeden, das voraussichtliche Opfer der bevorstehenden Audienz zu werden, und verstohlene Blicke sahen hierhin und dorthin auf der Suche nach Schwäche – wie Geier, die über einem sterbenden Mann kreisten. Niemand sprach offen über das Bevorstehende – natürlich nicht. So etwas tat man nicht. Nein.

Hier und dort hatten schwerbewaffnete Wachen Posten bezogen, prunkvoll in scharlachrote Rüstungen und Visierhelme gekleidet. Niemand schenkte ihnen die leiseste Beachtung.

Die Familien wußten, daß man sie beobachtete, und die Wachposten waren nur der offensichtlichste Teil der Überwachung. Sie standen eigentlich nur herum, um sicherzustellen, daß befeindete Familien keinen Streit untereinander vom Zaun brachen. Leibwächter oder gar Waffen waren den Besuchern am Hof strengstens verboten, doch wenn die Worte hitzig wurden, folgten hin und wieder Schlägereien. Das war der Zeitpunkt, zu dem sich die Wachen einmischten und mit primitiver Lust die Ordnung wiederherstellten. Ein Niedriggeborener bekam nicht häufig die Gelegenheit, einen Lord zu