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mißhandeln, und die Wachen machten stets das Beste daraus. Also standen sie reglos herum, beobachteten und warteten auf ihre Chance, und die Wolfs hielten sich von den Feldglöcks fern, und die Feldglöcks hielten sich von den Shrecks fern, und… und so weiter und so fort. Offene Gewalt war sowieso etwas Linkisches, Plumpes.

Lord Crawford Feldglöck, Oberhaupt seines Clans,

manövrierte gemächlich mit wachen Augen und breitem Lächeln zwischen den Familien hindurch wie ein Hai, der sich in einem Schwarm von Heringen bewegte. Er war unterdurchschnittlich groß, aber dafür wog er überdurchschnittlich viel und gab einen Dreck darauf. Die Feldglöcks hatten immer die Ansicht vertreten, daß die Größe eines Mannes sich in der Breite seiner Vorlieben äußerte, und Crawford Feldglöck war weithin für seine zahlreichen Schwächen bekannt. Er war bereits über hundert, doch die moderne Wissenschaft hielt sein Gesicht voll und faltenlos wie das eines Kindes. Was allerdings nichts am Intellekt des Mannes änderte, der noch immer rasiermesserscharf und gefährlich war. Die Feldglöcks standen im Augenblick in der Gunst des Hofes, nicht zuletzt weil Crawford so viele andere ans Messer geliefert hatte, die ihm im Weg gewesen waren. Natürlich konnte niemand irgend etwas beweisen. Die Gebräuche und das Protokoll waren immer eingehalten worden. Überall, wo Crawford Feldglöck vorbeikam, nickten die Leute respektvoll und machten ihm vorsichtig und weitläufig Platz. Er nahm es auf, als stünde es ihm zu. Und wenn hin und wieder einer der niedrigeren Lords hinter seinem Rücken das Gesicht verzog, gab Crawford Feldglöck einen Dreck darauf. Er konnte es sich leisten.

In seinem Kielwasser – und gelegentlich auch an seiner Seite – trieb wie ein kunterbunter Paradiesvogel Crawfords ältester Sohn und Erbe, Finlay Feldglöck, wie immer in die schrillsten Seidengewänder gehüllt und mit dem leuchtendsten Schmuck behängt, den die neueste Mode hervorgebracht hatte. Hoch aufgeschossen, elegant und modisch bis ins Detail, von den polierten Stiefeln bis hin zur samtenen Mütze glitt Finlay nach allen Seiten hin lächelnd und hier und da freundlich murmelnd zwischen den Lords und dem niedrigeren Adel hindurch und zeigte sich so vielen der Anwesenden wie nur irgend möglich. Vielleicht sah er sogar ganz ansehnlich aus unter all der Kosmetik, die seinem Gesicht eine maskenhafte Starre verlieh, aber das war unmöglich zu erkennen.

Die herrschende Mode verlangte nach fluoreszierender, silbern schimmernder Haut und nach schulterlangem, metallisch glänzendem Haar – jede einzelne Strähne mit allen möglichen Metallen eingefaßt, die augenblicklich angesagt waren. Finlay trug einen Frack, der seine bezaubernde Figur noch betonte, und einen Kneifer, den er eigentlich gar nicht benötigte (niemand benötigte heutzutage einen Kneifer). Jede Geste, jede Pose, alles an ihm war der Inbegriff von Eleganz und Stil.

Finlay Feldglöck war ein Stutzer und Geck, und obwohl er zu allen Gelegenheiten, bei denen die Mode danach verlangte, ein Schwert an seinem Gürtel trug, hatte noch niemand jemals beobachten können, daß er es im Streit gezogen hätte. Andererseits zog niemand jemals gegen ihn die Waffe – natürlich nicht. Er war immerhin ein Feldglöck, und bei den Feldglöcks wußte man nie so recht…

Sein Vater hatte den Versuch aufgegeben, seinen Sohn zu verleugnen, weil es nicht funktionierte – auf der anderen Seite machte er kein Geheimnis aus der Verachtung, die er für den launischen Poeten empfand, der irgendwie seinen männlichen Lenden entsprungen war. Trotzdem wagte es niemand, gegen Finlay zu intrigieren. Der alte Feldglöck war tödlich genug für beide, sich und seinen mißratenen Sohn, und er würde keine Beleidigung seines Familiennamens hinnehmen.

Ungezwungen bahnte sich Crawford Feldglöck den Weg durch die Menge, nickte denen zu, die in seiner oder der Gunst der Herrscherin standen, und schnitt alle anderen mit selbstgerechter Verachtung. Seine Bewegung durch die Halle mochte zufällig erscheinen, aber in Wirklichkeit durchmaß er den großen Saal mit militärischer Präzision und stellte sicher, daß er all jene traf, die von Bedeutung waren, und prägte sich ihre Gesichter und ihren Standort gründlich ein. Wissen war Macht im Dickicht der Intrigen und Täuschungen, das an

Löwensteins Hof herrschte. Der alte Feldglöck nickte anerkennend, während er darüber nachdachte. Eine gewisse vornehme Wildheit half, die Schwachen und Zaghaften auszusieben.

Sein Ausdruck hellte sich unvermittelt auf, als sein Blick auf ein bekanntes, aus der Versammlung hervorstechendes Gesicht fiel. Er beschleunigte seinen Schritt durch die Menge und ließ den Menschen vor sich gerade genug Zeit, aus dem Weg zu gehen – wenn sie schnell genug waren.

»Sommer-Eiland, mein alter Freund!« rief er schließlich, und eine ungewöhnliche Wärme bahnte sich ihren Weg an dem üblichen Grollen vorbei in seine Stimme. »Welch eine Freude, Euch hier zu treffen! Wie immer! Aber was führt Euch an den Hof?«

Lord Roderick Sommer-Eiland verbeugte sich zur Antwort förmlich. Entgegen der herrschenden Mode zeigte sich sein wirkliches Alter in den tiefen Falten seines Gesichts und der dichten weißen Mähne auf dem Kopf, obwohl sein Rücken noch immer gerade und sein Kinn hoch erhoben war. Der alte Sommer-Eiland mißbilligte den augenblicklichen Hof mindestens genausosehr, wie der augenblickliche Hof ihn mißbilligte. Er zeigte sich nur selten in der Öffentlichkeit. Sommer-Eiland kleidete sich im formellen Stil des vorhergehenden Herrschers, obwohl das nicht gestattet war, und seine Bekanntschaft war gefährlich. Niemand wagte je, etwas zu sagen. Der alte Sommer-Eiland war in früheren Tagen ein Meister des Duells gewesen, und keiner wußte mit Bestimmtheit, ob diese Tage wirklich vorüber waren. Er lächelte den Feldglöck beinahe zögernd an und schüttelte schließlich die angebotene Hand.

»Feldglöck! Wie ich sehe, lauft Ihr so schäbig wie immer durch die Gegend. Genießt Ihr noch die Gunst Ihrer Majestät?

Oh, natürlich. Was für eine dumme Frage! Es muß Jahre her sein, daß ich es als notwendig erachtete, den Hof zu besuchen, aber manche Dinge scheinen sich niemals zu ändern. Keiner achtet die Tugenden, und der Abschaum steigt noch immer bis an die Spitze auf.«

Feldglöck grinste. »Ihr habt Euch schon immer an mir gestört, mein lieber Sommer-Eiland. Ein Glück, daß wir Freunde sind, sonst hätten wir uns bereits vor Jahren gegenseitig umgebracht.«

»Oh? Das wage ich zu bezweifeln«, widersprach der alte Sommer-Eiland feierlich. »Ihr wart nie besonders gut mit dem Schwert.«

Feldglöck brach in schallendes Gelächter aus, und Leute, die sich vorsichtig näher herangeschoben hatten, um der Unterhaltung der beiden zu lauschen, zogen sich hastig wieder zurück. Viele behaupteten – und die meisten davon glaubten es wirklich –, daß der Humor des alten Feldglöck noch viel gefährlicher war als seine Wut. Feldglöck und Sommer-Eiland waren von Geburt an Rivalen gewesen, und während der langen zurückliegenden Jahre hatten sie zu ihrer nicht gelinden Überraschung feststellen müssen, daß es einfacher war, einen Feind zu mögen, den man bewunderte, als einen Verbündeten, der aus familiären Gründen unterstützt werden mußte. Der Dieb und der Ehrenmann, trotz aller Gegensätze Freunde und so fest miteinander verbunden, wie Gegensätze es nur sein konnten. Feldglöck fixierte Sommer-Eiland mit einem nachdenklichen Blick und rückte ein wenig näher heran.

»Was bringt Euch nach all diesen Jahren hierher? Ich dachte, ihr wärt zu der Erkenntnis gelangt, daß Politik etwas für niedrigere Stände wie meinesgleichen ist?«

»Meine Ansichten über diesen Hof haben sich nicht um ein Jota geändert, Feldglöck. Ihr selbst seid der lebende Beweis, mein Lieber. Wie viele bessere Leute habt Ihr unter Euren Füßen zertreten, um Eure gegenwärtige Stellung zu erreichen?«

»Ehrlich gesagt – ich habe aufgehört zu zählen. Mit der Zeit bekam ich Kopfschmerzen.«