größere Summen an Bestechungsgeldern zukommen ließen. In der letzten Zeit hatte sich das Parlament zunehmend besorgt über eine drohende Steuererhöhung gezeigt. Sie sollte der Finanzierung einer Ausweitung der Imperialen Flotte dienen, mit der man der möglichen Bedrohung durch zwei neuentdeckte Fremdrassen begegnen wollte.
Theoretisch war die Imperatorin durch das Gesetz an die Entscheidungen des Parlaments und der Versammlung der Lords gebunden – egal, wie diese Entscheidungen auch immer zustande kommen und was sie auch immer beinhalten mochten. Theoretisch zumindest. In der Praxis sah es jedoch so aus, daß die Herrscherin die Sitzungen verfolgte, wenn sie in der Stimmung dazu war, und anschließend ihre eigene Meinung durchsetzte. Löwenstein wußte die Armee und die Flotte im Rücken, und solange das der Fall war, konnte sie niemand dazu bringen, etwas zu tun, das ihr verdammt noch mal gegen den Strich ging. Deswegen verursachte die Aussicht auf höhere Steuern und eine noch mächtigere Flotte auch eine Menge verschwitzter Hände und schlaflose Nächte unter den Parlamentariern und den Lords. Man hatte einige Abgeordnete sagen hören, daß sie die Geschichte von den neuentdeckten Fremden nicht glaubten, aber bisher hatte niemand gewagt, öffentlich an dieser Nachricht zu zweifeln, geschweige denn hier bei Hofe.
Andererseits war die Stellung Löwensteins nicht mehr so unumstritten wie früher einmal. Eine große Anzahl nachgeborener Söhne der aristokratischen Oberschicht hatte – ohne die Aussicht, eines Tages einen Titel zu erben – eine Karriere in der Armee oder der Flotte angestrebt. Und wie diese jungen Aristokraten in den Rängen emporstiegen, so wuchs auch ihr Einfluß. Armee und Flotte waren Löwenstein XIV. nicht länger so blind ergeben wie noch vor wenigen Jahren.
Im Endeffekt lief alles darauf hinaus, daß die politische Struktur am Imperialen Hof eher einem vollständigen Chaos ähnelte als einer Regierung, und über allem thronte die Eiserne Hexe mittels schierer persönlicher Macht und gerissener politischer Schachzüge.
Nach den Abgeordneten des Parlaments kam die große Masse: Familienangehörige, politischer Anhang, Geschäftsleute und Offiziere und jeder und jede, die sich durch Bestechung, Betteln oder Diebstahl eine Einladung hatten verschaffen können. Der Imperiale Hof war die politische und soziale Achse, um die sich das gesamte Reich drehte, und alle wollten dort sein – oder zumindest, daß andere sie dort sahen… Man war ein Niemand, wenn man nicht am Hof gesehen wurde.
Und schließlich, ganz zum Schluß, in abgetragenen Kleidern und mit verhärmten Gesichtern, erschienen die zehn Bürgerlichen, die die jährliche Imperiale Lotterie gewonnen hatten. Der Gewinn bestand aus einem Besuch bei Hofe, zusammen mit dem Recht, die Herrscherin persönlich um Beistand, Milde oder Gerechtigkeit anzuflehen. Selbstverständlich war es ein höchst riskantes Unterfangen, als Bürgerlicher die Stimme bei Hofe zu erheben. Bürgerliche besaßen hier keine Freunde, und manchmal war es besser, wenn die Imperatorin einen erst gar nicht bemerkte. Ihr Gerechtigkeitssinn war höchst unberechenbar, obwohl sie hin und wieder zugunsten eines Bürgerlichen entschied – aber nur, um irgendwelche Aristokraten zu brüskieren, die ihr Mißfallen erregt hatten. Im großen und ganzen tendierten die glücklichen Lotteriegewinner dahin, die Gelegenheit zu nutzen, um einfach nur am Hof zu verweilen. Manche verbrachten ein ganzes Jahr dort, ohne je ihre Bitte oder Frage zu stellen.
Die höfische Empfangshalle selbst war diesmal ein Sumpf.
Dichte Nebelbänke hingen in der feuchten Luft zwischen knorrigen, verdrehten Bäumen, und überall stand zumindest knöcheltief schwarzes Wasser. Verknotete Schlingpflanzen hingen von den ausladenden Ästen der Bäume herab und schleiften im Wasser, und die Luft schwirrte vor Fliegen und anderen Insekten. Die Höflinge stapften unbeirrt durch den Sumpf voran, während sie aufmerksam nach Krokodilen und anderen Unerfreulichkeiten Ausschau hielten, die in der undurchsichtigen schwarzen Brühe lauern konnten. Wenn der Sumpf auch nicht echt war, so hieß das noch lange nicht, daß sich keine höchst realen Gefahren darin herumtrieben.
Meist handelte es sich jedoch nur um Hologramme, die der physischen Realität eben stark genug nachempfunden waren, um den Höflingen einen Schauer über den Rücken zu jagen.
Löwenstein fand Gefallen daran, ihren Hof ›interessant‹ zu halten, und ihr Geschmack in dieser Hinsicht war sowohl hinterhältig als auch weit gefächert. In der Vergangenheit hatte sie den Hof bereits als Wüste, als arktische Einöde und als städtisches Elendsviertel erscheinen lassen. Das Elendsviertel war wirklich ziemlich gefährlich gewesen, und hinterher waren alle von Flöhen befallen gewesen. Die Wüste war die hinterhältigste Landschaft von allen: überall Sand und die Luft so heiß, daß man kaum atmen konnte. Und um die Dinge noch ein wenig spannender zu gestalten, hatte Löwenstein winzige Metallskorpione im Sand verstecken lassen; kleine, widerliche Apparate mit Neurotoxinen in ihren Stacheln. Ein geringerer Lord hatte eine Woche lang mit dem Tod gekämpft. Löwenstein mußte heute noch kichern, wenn sie an diesen köstlichen Streich dachte.
Die Höflinge schleppten sich voran und murmelten düstere Verwünschungen vor sich hin. Die Gewißheit, daß das gesamte Reich an den Fernsehern saß und ihnen zusah, trug nicht gerade zu einer besseren Laune bei. Jeder Planet, gleichgültig wie arm er auch sein mochte, hatte dank kunstvoll getarnter Holokameras Zugang zum Treiben bei Hofe. Die Lords und die Abgeordneten schworen sich jedes Jahr, endlich Schluß zu machen mit diesem überholten Brauch, aber irgendwie kam es nie dazu. Niemand konnte dem Gedanken widerstehen, daß ein so riesiges Publikum zusah.
Hin und wieder tauchten silbern schimmernde Statuen im Nebel auf und zeigten die Formen zahlreicher fremder Rassen, die in das Reich eingegliedert und über ihren Platz in der Hierarchie belehrt worden waren. Es gab eine ganze Menge davon. So viele, daß niemand die genaue Zahl kannte.
Doch niemand scherte sich einen Dreck darum. Einige der Statuen hatten länger überlebt als die Spezies, die sie
repräsentierten. Aber auch darum scherte sich kaum jemand einen Dreck. In erster Linie war das Imperium eben ein menschliches Imperium. Einige der älteren Höflinge lehnten sich für eine Verschnaufpause gegen die Statuen, allerdings erst, nachdem sie sie sorgfältig auf hinterlistige Fallen untersucht hatten.
Die Herrscherin saß gelassen auf ihrem großen Thron aus schwarzem Eisen und glitzernder Jade. Das Möbel ragte genau so weit aus dem Wasser, daß ihre Füße trocken blieben.
Löwenstein sah aus, als würde sie sich vollkommen wohl fühlen, obwohl der Thron offensichtlich für eine sehr viel größere Person entworfen worden war. Die Nebel schienen auf geheimnisvolle Weise ihren ruhigen Platz mit seinem eigenen kleinen Kreislauf kühler Luft zu vermeiden. In ihren
majestätischen Gewändern und mit der Diamantenkrone auf dem Kopf wirkte Löwenstein kalt, majestätisch und vollkommen; jeder Zoll eine wahre Imperatorin. Die wartenden Dienerinnen hockten nackt im schmutzigen Wasser am Fuß des Throns, angespannt wie ungeduldige Jagdhunde an unsichtbaren Leinen.
Nach und nach versammelten sich die Höflinge vor dem Thron, sorgsam darauf bedacht, einen respektvollen Sicherheitsabstand einzuhalten, und verneigten sich tief vor der Herrscherin. Sie blickte gelangweilt über Hunderte gesenkter Köpfe hinweg und gähnte laut. Die Höflinge verharrten erhitzt und schwitzend in ihrer Haltung und warteten geduldig, daß sie ein Zeichen gab. Einmal hatte Löwenstein sie für eine ganze Stunde so stehen lassen. Schließlich gab sie mit einem müden Winken ein Signal, und eine Fanfare erklang. Die Höflinge richteten sich erleichtert wieder auf, und hier und da rieben sich einige verstohlen den Nacken. Niemand war dumm genug, etwas zu sagen. Ein Blick auf die Imperialen Dienerinnen reichte vollkommen aus, um allein den Gedanken daran aus jedermanns Bewußtsein zu verscheuchen. Die Gesichter der nackten Frauen waren leer, seelenlos, unmenschlich, und ihre künstlichen Augen besaßen den direkten, unheimlich starren Blick von Insekten. Sie beobachteten die Höflinge mit unerschütterlicher Konzentration, und hier und da glitten einsatzbereite Metallklauen unter den Fingernägeln hervor.