Ein erstickter Schrei ertönte in der Versammlung der Lords, als Lord Gregor Shreck mit unverhülltem Entsetzen auf eine der Dienerinnen starrte. Er wollte sich nach vorne in Bewegung setzen, und die Dienerinnen spannten sich. Shrecks Familie drängte sich rasch um den Lord zusammen. Sie hielten ihn an Ort und Stelle fest, während andere beruhigend auf ihn einflüsterten. Schließlich war er wieder genügend bei Sinnen, um den Blick abzuwenden. Aber seine Hände und sein Mund bebten noch immer voll ohnmächtiger Wut und Sorge. Ein leises Murmeln lief durch die Menge, als allen klar wurde, daß die Gerüchte also doch gestimmt hatten. Die Nichte von Gregor Shreck war vor kaum einem Monat aus ihren
Gemächern verschwunden und seither nicht wieder gesehen worden. Niemand war ernsthaft überrascht. Es hatte sich zunehmend herumgesprochen, daß sie sich mit den falschen Leuten abgab. Die Gerüchte sprachen von Verrat, doch das taten sie andererseits immer. Und jetzt war sie hier, aller Erinnerungen und ihrer Persönlichkeit beraubt, so daß ihr Körper der Herrscherin dienen konnte. Der alte Shreck hatte seine Nichte wiedererkannt, aber dann hatte er doch den Mund gehalten und nichts gesagt. Was hätte er auch sagen können?
Die Imperatorin beugte sich auf ihrem Thron nach vorn, und alle Gespräche verstummten. Als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme ruhig, gleichmäßig und entschlossen, und sie erreichte jedes Ohr im Hof und noch weit darüber hinaus.
Die Höflinge lauschten respektvoll, während sie sich mit Seidentüchern den Schweiß abwischten, der über ihre Schläfen rann. Die Dienerinnen lauschten nicht. Sie beobachteten.
»Liebe loyale Untertanen! Willkommen an Unserem Hof.
Wir sind sicher, daß Ihr sein gegenwärtiges Aussehen interessant findet. Normalerweise würden jetzt Begrüßungszeremonien und Respektbekundungen stattfinden, aber heute werden Wir diesen Punkt überspringen. Wir haben wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Das Imperium sieht sich einer Bedrohung gegenüber, die größer ist als alles bisher Dagewesene. Nicht eine, nein, gleich zwei fremde Rassen wurden entdeckt, deren Technologie auf einer der Unseren vergleichbaren Stufe angelangt ist. Sie bedeuten eine Bedrohung für Unser Reich, die sowohl höchst real als auch imminent ist. Sie könnten uns jederzeit angreifen. Wir haben die Armee und die Flotte aus diesem Grund in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Alle Reservisten werden einberufen, und die Industrie wird für die Dauer des Notfalls auf Kriegsproduktion umgestellt. Leider ist das alles recht kostspielig, und aus diesem Grund haben Wir alle Steuern und Abgaben mit sofortiger Wirkung um sieben Prozent erhöhen lassen.«
Die Imperatorin unterbrach sich und blickte auf die Runde, als erwartete sie Widerspruch, aber niemand war dumm genug, um den Mund aufzumachen. Es würde noch mehr kommen, das konnten alle spüren. Löwenstein lächelte graziös und fuhr fort:
»Die Nachrichten des heutigen Tages sind nicht ausschließlich schlecht. Unsere Wissenschaftler haben vor kurzer Zeit einen neuen Hyperraumantrieb für Unsere Raumschiffe fertiggestellt, der stark und in einem Maße unerschöpflich ist, wie Wir das zuvor nicht für möglich gehalten haben. In Kürze wird die Massenfertigung beginnen, und Wir werden jedes Schiff der Flotte damit ausrüsten lassen.«
Sie legte eine Pause ein, aber noch immer meldete sich niemand zu Wort, obwohl sich hinter manch leidenschaftslosem Gesicht die Gedanken beinahe überschlugen. Wenn diese neue Maschine all das konnte, was die Worte der Herrscherin andeuteten, dann wären alle anderen Hyperraumantriebe mit einem Schlag veraltet. Und das bedeutete, daß die Schiffe der Imperatorin allen anderen haushoch überlegen sein würden.
Um konkurrenzfähig zu bleiben, müßten alle privaten Schiffseigner die neuen Maschinen kaufen, und das zweifellos zu exorbitanten Preisen. Das war eine weitere Form indirekter Steuern. Auf der anderen Seite würde irgend jemand die Lizenz zur Massenproduktion des Antriebs erstehen, und dieser jemand würde ein unglaubliches Vermögen verdienen…
Es dauerte einen Augenblick, bis die Höflinge bemerkten, daß die Herrscherin wieder zu sprechen begonnen hatte. »Wir bedauern, Euch darüber in Kenntnis setzen zu müssen, daß die Elfen in letzter Zeit wieder am Werk waren und Schmerz und Zerstörung über das Reich gebracht haben. Aber Unsere Ratgeber versichern Uns, daß sie keine wirkliche Gefahr darstellen. Sie sind zu wenige, und sie haben nur beschränkten oder gar keinen Zugang zu fortgeschrittener Waffentechnologie.
Wir werden sie eliminieren, nicht wahr, mein lieber Lord Dram?«
Plötzlich erschien ein Mann neben der Imperatorin, als das Holo erlosch, hinter dem er sich verborgen gehalten hatte.
Groß und finster, in schwarze Gewänder gehüllt, unter denen eine schwere Rüstung zum Vorschein kam, stand er steif da wie zum Appell. Seine Haltung war von beinahe übernatürlicher Vollkommenheit. Er schien Anfang Dreißig zu sein, aber niemand kannte sein wirkliches Alter. Lord Dram war vor einigen Jahrzehnten anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht, und er hütete sein Geheimnis wohl. Er war beinahe gutaussehend – wenn nicht seine dunklen Augen und sein schwaches Lächeln so eiskalt gewirkt hätten. An der Hüfte trug er eine Energiewaffe und ein Schwert, und das in der Gegenwart der Imperatorin; er war der einzige Mann im gesamten Reich, der sich das erlauben durfte. Er war der Hohe Lord Dram, Oberster Krieger des Imperiums.
Einmal durch allgemeine Abstimmung in diese Position gewählt, behielt er sie für den Rest seines Lebens (obwohl Oberste Krieger in der Regel nicht besonders alt wurden). Die Herrscherin hatte ihm den Befehl über das gesamte Militär übertragen, mit allem, was damit zusammenhing, und ihn
außerdem persönlich für ihre Sicherheit verantwortlich gemacht.
Er war der edelste Kämpfer, den das Imperium je hervorgebracht hatte, erprobt in mehr als hundert größeren Schlachten, bewundert vom gemeinen Volk, verehrt vom Parlament und ganz und gar abgelehnt von den Lords wegen seiner Macht und seines Einflusses bei der Imperatorin. Man war davon überzeugt, daß die beiden etwas miteinander hatten, aber niemand wußte Genaueres. Die meisten Besucher des Hofes fanden allein die Vorstellung, daß Ihre Majestät irgend etwas mit einer so warmen, zerbrechlichen Angelegenheit wie Liebe zu tun haben könnte, einfach lächerlich. Was eine ganze Menge von Leuten nicht davon abhielt, alles zu tun, um irgendwie an Beweise für diese Geschichte zu kommen. Es konnte die eigene Position sehr stärken.
Dram war zum Obersten Krieger gewählt worden, nachdem er persönlich den Angriff auf das Hauptquartier der Elfen geleitet hatte, das sich zwischen den pastellfarbenen Türmen der schwebenden Stadt Neutrost versteckt hatte und vollkommen zerstört worden war. Dram und seine Elitetruppen waren auf Gravitationsschlitten aus der Sonne gefallen und hatten das Feuer im selben Augenblick eröffnet, als sie in Reichweite gekommen waren. Die zerbrechlichen Türme krachten und splitterten, als das Feuer durch sie hindurchschnitt, und Menschen flüchteten sich schreiend in die Straßen. Die Soldaten feuerten weiter. Die Bewohner von Neutrost hatten gewußt, worauf sie sich einließen, als sie den Elfen gestatteten, unter ihnen zu leben. Dram hatte seine Befehle, und Gefangene zu machen war keiner davon. Also stürzten die Türme ein, Menschen kamen zu Tode, und die Elfen mußten sich schließlich im offenen Kampf stellen, wenn sie nicht einfach niedergemetzelt werden wollten.