Einige starben durch Eure Hand, andere nicht. Aber das spielt keine Rolle. Sie wären entsetzt, wenn sie sehen könnten, was Ihr mit dem Imperium macht, das zu erhalten Ihr geschworen habt. Unter Euch ist Ehre zu einem schlechten Witz verkommen, und zwielichtige Geschäfte sind an der Tagesordnung.
Gerechtigkeit gibt es nur noch für die Reichen, und der Tod droht allen, die es wagen, Euch zu widersprechen. Dreizehn Generationen Eurer Blutlinie haben dieses Reich erbaut, Löwenstein, nur um mit ansehen zu müssen, wie es unter Euren eisernen Fäusten zerfällt. Ihr seid die Krebsgeschwulst im Herzen des Imperiums, die Blattlaus auf der Rose.«
Betroffenes Schweigen breitete sich aus. Niemand wagte auch nur zu atmen. Löwenstein hatte sich wütend auf ihrem Thron nach vorn gebeugt, doch dann entspannte sie sich wieder und lehnte sich zurück, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.
»Er hat immer zu viel geredet, alter Mann. Seine eigenen Worte verurteilen Ihn. Niemand wird sagen können, daß Wir Ihm keine faire Chance gegeben hätten…«
»Ach, hört doch auf damit«, unterbrach Sommer-Eiland.
»Ihr wollt ein Exempel an mir statuieren, um andere zum Schweigen zu bringen. Das wußte ich bereits, bevor ich herkam. Schickt Euren Henkersknecht nur her, damit wir endlich anfangen können.«
Der alte Lord starrte Dram herausfordernd an, aber der Witwenmacher erwiderte seinen Blick, ohne auch nur die Hände in die Nähe der Waffen zu bewegen. Löwenstein
lächelte zuckersüß.
»Er ist es nicht wert, gegen den Kriegerprinzen anzutreten, Sommer-Eiland. Ich habe einen… geeigneteren Henker für Ihn ausgesucht.«
Sie nickte einer ihrer Dienerinnen zu, die auf die Beine sprang und die Klauenhände über den Kopf erhob. Sie klatschte zweimal, und ein dritter Mann erschien aus dem Nichts, als ein weiteres Hologramm sich abschaltete. Er stapfte durch das schlammige Wasser und näherte sich grinsend Lord Sommer-Eiland. Eine extrem schlanke Gestalt in schwarzsilberner Rüstung, mit blassem, langem blondem Haar, eiskalten blauen Augen und dem Lächeln eines Mörders. Der Mann trug an jeder Hüfte ein Schwert und bewegte sich wie ein Raubtier. Die Menge wich bei seinem Anblick entsetzt zurück, und ein leises Flüstern ging durch den Raum:
»Kid Death… Kid Death…«
Der Angesprochene grinste und nickte den Höflingen zu, und die am nächsten Stehenden wichen zurück, als hätte er eine Giftschlange in ihre Mitte geworfen. Sie wußten, wer und was er war. Jedermann am Hof hatte von Kid Death gehört, dem lächelnden Mörder. Er schlenderte langsam herbei, und das leise plätschernde Geräusch des Wassers zu seinen Füßen klang schaurig laut in der Stille. Schließlich hielt er auf Armeslänge vor dem alten Sommer-Eiland, und die beiden standen sich Auge in Auge gegenüber: der alte Mann und der junge. Der unüberwindliche Krieger und der unbezwungene Duellist.
Kid Death zog das Schwert an seiner rechten Hüfte, faßte es an der Klinge und bot es lässig dem alten Sommer-Eiland an.
Der Lord verbeugte sich förmlich, nahm die Waffe entgegen und ging in Kampfstellung. Der jüngere Mann zog die Waffe an der linken Hüfte und ging ebenfalls in Kampfstellung.
Sommer-Eiland nickte anerkennend.
»Wenigstens war all dein Training nicht verschwendet, Kid.
Du warst der beste Schüler, den ich je hatte.«
»Danke, Großvater« Die Stimme des jüngeren Mannes klang leicht und dünn.
»Noch ein Kind, aus dem nichts rechtes geworden ist. Was zur Hölle stimmt bloß nicht mit eurer Generation? Vielleicht lag es am Wasser…?«
»Ich bin genau das, was du aus mir gemacht hast, Großvater: der geschickteste Schwertkämpfer des gesamten Imperiums. Du hast meine Klinge geschärft; hast du nie Angst gehabt, daß ich sie eines Tages gegen dich erheben könnte?«
Sommer-Eiland hob das Schwert und blickte seinem Enkel fest in die Augen. »Du hast deinen Vater und deine Mutter getötet, genau wie deine beiden Brüder. Das Gesetz konnte dir nichts anhaben, weil du dich damit gerechtfertigt hast, daß es Duelle gewesen seien. Niemand konnte deine Behauptungen widerlegen. Ich hätte dich höchstpersönlich umbringen sollen, aber ich konnte es nicht. Du und ich, wir beide sind alles, was noch von den Sommer-Eilands übriggeblieben ist, Kid. Laß es nicht hier in sinnlosem Blutvergießen enden, Junge, nur um der Eisernen Hexe eine Freude zu bereiten.«
»Ich mache das hier zu meiner eigenen Freude, Großvater.
Ist es nicht so, daß der Schüler seinen Lehrer immer zu übertreffen sucht? Und da ich der Imperatorin als Mörder diene, muß ich auch dahin gehen, wo ich morden kann, nicht wahr?
Meine Eltern waren enttäuscht, daß ich mir ein solches Leben ausgesucht habe, und sie versuchten mich aufzuhalten. Also mußte ich sie erledigen. Genau wie meine Brüder, als sie kamen und auf Rache sannen. Niemand wird sie vermissen, keinen von ihnen. Sie haben wenig gewagt und noch weniger erreicht. Aber ich, ich bin der Beste der Besten, der Tod auf zwei Beinen, der Henker Ihrer Majestät persönlich, bis auf den Namen. Aber auch den werde ich mir eines Tages holen, und dann wird es einen neuen Obersten Krieger geben.«
»Du wirst nicht lange genug leben, Kid. Die Hexe wird schon dafür sorgen. Sag mir, Junge – hast du eigentlich jemals etwas für deine Familie empfunden? Ich habe sie sehr geliebt.«
»Nein, Großvater. Nicht eine Spur. Ich empfand noch nicht einmal etwas dabei, sie zu töten. Aber genug geredet, alter Mann. Der Tanz beginnt.«
Kid Death machte einen Schritt nach vorn, und sein Schwert schnitt auf der Suche nach einer Schwachstelle in der Deckung des alten Sommer-Eiland scheinbar mühelos durch die Luft. Der alte Lord parierte die Streiche des Jüngeren und bewegte sich dabei nicht mehr, als er unbedingt mußte. Die Spitze seines Schwertes war immer genau auf das Herz seines Enkels gerichtet, und seine Augen blickten kühl und ruhig.
Einige Sekunden lang umkreisten sich beide lauernd, und dann bildeten sie ein blitzendes Knäuel aus schimmerndem Stahl und aufeinanderkrachenden Klingen. Der Zusammenprall war im Bruchteil einer Sekunde wieder vorüber, und sie kreisten erneut umeinander. Auf Kid Deaths linker Wange war ein langer, tiefer Schnitt zu sehen, und ein rotes Rinnsal lief an seinem Hals herab. Sommer-Eiland hatte das erste Blut vergossen. Sein Enkel grinste breit und stürzte sich auf den alten Mann. Das Schwert des Jüngeren schien überall zugleich zu sein, und die schiere Gewalt seines Angriffs zwang den anderen zurück, Schritt um Schritt. Aber dann verharrte der alte Mann und wich keinen Millimeter mehr, egal wie hart Kid Death ihn auch bedrängte; es war als wolle er sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Ihre Schwerter prallten aufeinander, und sie standen sich Angesicht in Angesicht gegenüber, kämpften mit aller Kraft um die Oberhand. Sommer-Eilands Atem ging schwer, und sein Gesicht war rot angelaufen. Sein Enkel atmete nicht einmal schneller. Kid Death blickte dem Großvater tief in die Augen und zückte verstohlen den kleinen Dolch, der in einer verborgenen Scheide seines Ärmels steckte. Sommer-Eiland lächelte plötzlich und nickte seinem Enkel zu, und Kid Death stieß dem alten Mann die Klinge zwischen die Rippen.
Sommer-Eiland stöhnte unterdrückt und hustete Blut. Hellrote, blubbernde Blasen liefen aus seinem Mund, und alle Kraft schien ihn zu verlassen. Das Schwert polterte zu Boden, und Kid Death stieß in einer kurzen, brutalen Bewegung erneut zu. Sommer-Eiland sank auf die Knie, und sein Blut mischte sich mit dem umgebenden Wasser. Kid Death zog seine Waffe aus dem Körper des alten Mannes und beugte sich zu ihm hinunter. Er brachte sein Gesicht ganz dicht an das von Lord Sommer-Eiland.
»Du kanntest den Trick«, sagte der junge Mann leise. »Du selbst hast ihn mich gelehrt. Du wußtest, daß er kommen würde, und du hast nichts getan, um mich aufzuhalten. Warum nicht?«