Im Zentrum der Stadt, tief in ihrem blutigen, dunklen Herzen, lag die Arena: ein weites, offenes Rund aus sorgfältig geglättetem Sand, umrandet von nach außen ansteigenden Sitzreihen. Die Arena wurde durch eine Reihe von Kraftfeldern sorgfältig vom Rest der Stadt abgeschirmt. Sie wurden immer nur eines nach dem anderen gesenkt und gleich darauf wieder hochgefahren. Es war schwierig, in die Arena zu gelangen, aber noch schwieriger war es, sie wieder zu verlassen.
Wer hier lebte, verließ sie niemals. Wer hier lebte, der hatte seine eigenen Plätze in den Zellen, Kammern und verwinkelten Korridoren tief unterhalb der Arena. Die Gladiatoren schwelgten in relativem Luxus, während sie ihre Kampfkünste trainierten und von Ruhm und Ehre träumten. Trainer und Stab wohnten in einfacheren Räumlichkeiten, von wo aus sie für den glatten Ablauf der Veranstaltungen sorgten. Gefangene warteten in den dunklen Zellen des untersten Geschosses auf ihr Schicksal. Sie wußten, daß sie das Tageslicht nicht wieder erblicken würden, bis man sie stolpernd hinaus auf den blutigen Sand der Arena stieß. Gefangene gab es immer.
Menschen, Klone, Esper und Fremdrassige. Futter für den unersättlichen Appetit der Massen.
Von überall im Reich reisten die Menschen nach Parade der Endlosen, um in der Arena Blut und Leid zu sehen und wie die Karten von Leben und Tod nach den antiken Regeln der Vorväter ausgespielt wurden. Weitere Milliarden verfolgten die Spiele jede Nacht zu Hause auf ihren Holoschirmen.
Aber für die wahren Freunde der Schauspiele, die Kenner, war bloßes Sehen nicht genug. Sie mußten persönlich anwesend sein, mußten mit eigenen Augen sehen, die Atmosphäre in sich aufnehmen und die Lust auf Blut riechen, wenn die Menge ihren Lieblingen zujubelte, die Unfähigen niederschrie und einen weiteren Tod forderte. Die Massen hatten immer ihre Lieblinge, aber es war ein ehernes Gesetz, daß sie das nicht lange blieben. Das war auch der Grund, aus dem die Stadt ihren Namen hatte: Parade der Endlosen. Helden kamen und gingen, aber die Spiele überdauerten.
Die Stadt war auch in anderer Hinsicht einzigartig. Sie war die einzige Stadt auf Golgatha, die nicht von einem Clan beherrscht wurde. Die Imperatorin sorgte durch subtile Drohungen und weniger subtile Säuberungsaktionen dafür, daß die Spiele fair und unvoreingenommen blieben. Jedermann erhielt die gleiche Chance, auf dem blutgetränkten Sand der Arena zu sterben. Sonst hätte die Arena auch kein Vergnügen bereitet. Die Parade der Endlosen war auf diese Weise zu einem neutralen Gebiet geworden, einem Ort, an dem sich verfeindete Familien ehrenhaft treffen und miteinander reden konnten.
Die Clans ließen ihre Differenzen durch Stellvertreter in der Arena austragen. Man bewahrte das Gesicht, und der Ehre wurde Genüge getan. Wenn es dann für die Stellvertreter hart wurde… nun, niemanden kümmerte es. Jedenfalls niemanden, der wichtig war.
Als Gegenleistung für dieses Ventil entrichteten die Familien großzügige Beiträge zur Aufrechterhaltung des Arenabetriebes und seines Stabes. Noch mehr Geld floß allerdings in die Schatullen der Arena aufgrund der nie versiegenden Spielleidenschaft der Clans. Täglich wurden Vermögen gewonnen und verloren, wenn die Familien hohe Wetten zugunsten ihrer Gladiatoren und wegen der Ehre abschlossen. Die Kämpfer waren immer bezahlte Leute. Familienmitglieder würden nicht im Traum daran denken, in der Arena zu kämpfen. Es war eine Sache, in einem formellen Duell sein Leben zu riskieren; sich vor den Massen und zu ihrem Vergnügen zu erniedrigen, das war etwas ganz anderes. Außerdem war es nicht gut für die Moral der einfachen Bevölkerung, wenn sie ihre Aristokraten sterben sah. Es mochte sie auf dumme Ideen bringen.
Rund um die Arena lebten die Bürger der Stadt in ständig sich ausdehnenden Kreisen: die Händler, die Dienstleistungsindustrien, die, die bereits gekämpft hatten, und die, die erst noch planten, auf dem blutigen Sand zu kämpfen. Die Spiele standen allen offen. Der Appetit der Massen war grenzenlos, und es gab immer Bedarf für frisches Fleisch. Und so kamen sie herbei, aus allen Ecken des Reiches, auf der Suche nach Ruhm und Reichtum, nach Unterhaltung und Nervenkitzel, oder nur nach einem Platz, um in der Sonne zu sterben. Niemand wurde jemals abgewiesen. Der Tod ist eine sehr demokratische Angelegenheit.
Die Straßen in der näheren Umgebung der Arena waren wie immer vollgestopft mit Menschen, die kamen oder gingen oder versuchten, den Kommenden oder Gehenden etwas zu verkaufen. Das Rufen der Marktschreier übertönte das allgemeine Geschwätz wie das Gekreisch von Vögeln, die ihr Territorium abgrenzten; unmöglich zu überhören, wenn man vorbeikam. Aber selbst ihr Überschwang schien ein wenig gedämpft zu werden, wenn ein Mitglied der Familien in ihre Nähe kam. Man konnte den Weg eines Aristokraten durch das Gedränge einfach verfolgen, wenn man nur auf die relative Stille der ihn umgebenden Menschen achtete.
Valentin Wolf schlenderte lässig durch die Massen. Er nahm nicht mehr Notiz von dem respektvollen Schweigen als von der Luft, die er atmete. Groß, feingliedrig und finster bot er nicht gerade einen beeindruckenden Anblick – trotzdem wagte niemand, ihn anzurempeln oder ihm den Weg zu versperren. Jedermann kannte die maskarageschminkten Augen und das purpurne Lächeln, wie man alle Clangesichter von Bedeutung kannte. Und niemand spürte den Wunsch, etwas zu tun, das der Wolf-Clan als Beleidigung aufnehmen könnte.
Und so schlenderte Valentin Wolf unbehelligt durch die Menge, die Gedanken unter der aufgemalten Maske verborgen und die Augen verschleiert und weit, weit weg. Er umgab sich niemals mit Leibwächtern. Manche sagten, er sei zu stolz dazu, aber die Wahrheit war, daß Valentin lieber mit seinen Gedanken allein blieb und Wächter ihn nur ablenkten.
Schließlich hielt er vor eine kleinen Konditorei an, nur ein paar Schritte abseits der ausgetrampelten Pfade, und betrachtete nachdenklich die wunderbaren Konfektkreationen in der Auslage. Valentin war gelegentlichen Gaumenfreuden nicht abgeneigt, aber das war nicht der Grund, der ihn hergeführt hatte. Der Eigentümer des Ladens, der einzigartige Georgios, versorgte Valentin regelmäßig mit Naschereien und Aromen, die weit süßer schmeckten als alles, was in seiner Auslage zu finden war. Georgios war der Endpunkt eines komplizierten Systems von Drogenkanälen, für dessen Aufbau Valentin Jahre benötigt hatte. In seiner Position konnte ein Mann durch bloßes Fragen beinahe alles bekommen, was er begehrte, aber Valentin zog es vor, seine Nöte und Vorlieben verborgen zu halten. Wissen bedeutete Macht. Und nebenbei waren einige der Dinge, die er begehrte, auch für jemanden seines Ranges tabu. Was zumindest teilweise der Grund war, aus dem er danach verlangte.
In der linken Ecke des Schaufensters stand eine einzelne schwarze Rose in einer schlanken Vase, und Valentin betrachtete die Blume nachdenklich. Die Rose war ein geheimes Zeichen, durch das Georgios ihm mitteilte, daß Valentins Bestellung bereitlag. Aber die Rose stand in der linken statt in der rechten Ecke der Auslage, und damit teilte Georgios ihm mit, daß irgendwas anderes nicht stimmte. Valentin lächelte leicht und überdachte seine Möglichkeiten. Er könnte einfach davonspazieren und allen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, was immer es auch sein mochte. Höchstwahrscheinlich irgendeine Art Falle. Wie alle, die beim großen Spiel der Ränke und Intrigen mitmischten, hatte auch Valentin eine nicht unbeträchtliche Menge von Feinden – und noch ein paar mehr.
Doch wenn er sich einfach davonmachte, würde er nie erfahren, wer ihm die Falle gestellt hatte und wie seine Gegner von Georgios erfahren hatten. Außerdem würde es bedeuten, daß er den netten Burschen im Stich ließ, und das könnte er sich nie verzeihen. Er durfte nicht zulassen, daß andere seine Freunde und Geschäftspartner bedrohten, oder er würde am Ende allein dastehen.
Und ein guter Geschäftspartner war verdammt schwer zu ersetzen.
Er stieß die Tür auf und schlenderte lässig in den Laden, als gäbe es überhaupt keine Sorgen in der Welt. Innen war es finster. Jemand hatte die Schaufenster polarisiert, um die Sonne draußen zu halten. Valentin ließ die Tür hinter sich ins Schloß gleiten und blieb bewegungslos stehen. Er konzentrierte sich auf eine bestimmte Art und Weise, und auf seinen mentalen Befehl hin öffneten sich tief in seinem Kreislauf gehorsam Drogenspeicher und entließen ihren Inhalt in seinen Körper. Frisches, sauerstoffangereichertes Blut strömte in seine Muskeln und ließ sie leicht anschwellen, bereit zum Handeln. Seine Sinne schärften sich, und die Schatten vor ihm begannen, ihre Geheimnisse zu enthüllen. Sie waren zu zwölft. Regungslos verharrten sie im hinteren Teil des Ladens. Zwei hatten Georgios gepackt und hielten ihm den Mund zu. Valentin roch Georgios’ Furcht und die Anspannung der anderen. Er konnte die leisen, unbewußten Bewegungen der anderen hören, die sich in der Finsternis sicher fühlten. Valentins Lächeln wurde ein wenig breiter. Es gab keine Sicherheit für seine Gegner. Sie waren schon tot. Alle.