Er ging in den hinteren Teil des Ladens, wo Georgios’ Wohnung lag, und suchte nach einem Umhang, unter dem er seine blutbefleckte Kleidung verbergen konnte. Er würde sich umziehen müssen, bevor er zu seiner Familie stieß. Er hatte keine Lust, ihre dummen Fragen zu beantworten, und außerdem haßte er es, sich unter Menschen zu bewegen, wenn er nicht zurechtgemacht war. Schließlich hatte er einen Ruf zu verteidigen. Valentin blickte sich noch einmal nach den Leichen um, die auf dem Boden im Laden verstreut lagen. Armer Georgios.
Ah, mein liebes Brüderlein und meine kleine süße Schwester! Was soll ich nur mit euch beiden machen…?
Daniel und Stephanie Wolf, die jüngeren Geschwister Valentins, warteten in der Loge der Familie am Ende der Arena ungeduldig auf Neuigkeiten. Die Loge war recht groß, wie für Logen üblich, und mit jedem Luxus ausgestattet, den Geld und Einfluß verschaffen konnten. Der Sand lag nur drei Meter unter ihnen, so daß man die zahlreichen Kämpfe auf Leben und Tod aus unmittelbarer Nähe miterleben konnte, und sie war aus dem gleichen Grund mit einem eigenen Kraftfeld ausgerüstet, für den Fall, daß die Dinge dort unten außer Kontrolle gerieten und der Loge zu nahe kamen.
Stephanie marschierte mit vor der Brust verschränkten Armen auf und ab, während Daniel in entspannter Haltung an der Brüstung stand und mit finsterem Gesicht über die Arena blickte. Nach und nach begannen sich die Ränge mit Zuschauern zu füllen. Es war noch sehr früh. Niemand, der etwas auf sich hielt, würde freiwillig so früh vor Beginn der Kämpfe hier eintreffen. Normalerweise wären auch die beiden Wolf-Geschwister noch nicht hiergewesen, aber sie mußten ungestört sein, wenn die Information, auf die sie warteten, endlich eintraf. Und sie wollten sicherstellen, daß sie die Nachricht von ihrem Vater erhielten.
Daniel war der jüngste Wolf, gerade erst zwanzig geworden. Er hatte den hünenhaften Körperbau seines Vaters, aber weder die Muskeln noch die Erscheinung, um mit ihm mitzuhalten. Er war als Kind der reinste Tolpatsch gewesen. Sein Vater hatte versucht, es aus ihm herauszuprügeln – mit dem Ergebnis, daß er selbst heute noch seine Bewegungen so knapp wie nur möglich bemaß, wodurch ihnen eine übertriebene Eleganz und Bedächtigkeit anhaftete. Sein Haar bildete eine lange Mähne bronzeschimmernder Strähnen mit silbernen Farbtupfern darin, die allerneueste Mode. Daniel trug die formelle Kleidung, die sein Vater ihm für den Auftritt der Familie in der Öffentlichkeit vorgeschrieben hatte. Der Anzug war dunkel, langweilig und streng geschnitten, und Daniel fühlte sich überhaupt nicht wohl darin. Er wünschte sich oft, den Mut zu haben, seinem Vater die Stirn zu bieten, so wie sein Bruder Valentin – andererseits wünschte Daniel sich oft Dinge, die er nicht hatte. Was der Grund war, daß er immer wieder in Schwierigkeiten geriet.
Und dann war da noch die Sache mit seiner Schwester.
Stephanie Wolf, das mittlere Kind, kam nach ihrer Mutter.
Sie war groß und schlank und besaß lange Haare, die immer zerzaust wirkten, ganz egal, was sie mit ihnen anstellte. Ihr hagerer Körper steckte voller unterdrückter Energie, die immer in den ungeeignetsten Augenblicken auszubrechen drohte. Stephanie war vierundzwanzig Jahre alt und sah gut, aber langweilig aus, ganz egal, was sie mit Kosmetika auch anstellte. Sie war mager wie ein Junge, und das zu einer Zeit, da üppige Formen in Mode waren. Stephanie hatte einige Jahre zuvor auf der Suche nach einem akzeptableren Aussehen alle kosmetischen Läden des Planeten abgegrast, doch schließlich hatte ihre angeborene Starrköpfigkeit gesiegt, und sie hatte sich mit ihrem echten Gesicht und ihrer echten Figur abgefunden. Die Aristokratie setzte Trends, aber sie lief ihnen nicht hinterher. Niemand wagte, einen Kommentar zu Stephanies Entscheidung oder ihrem Aussehen abzugeben. Erstens, weil sie eine Wolf war, und zweitens, weil Daniel sie verehrte und nur zu bereit war, sich bei jeder erkennbaren Beleidigung seiner Schwester mit dem Übeltäter zu duellieren.
Daniel und Stephanie Wolf. Bruder und Schwester. Aneinandergekettet durch Liebe, Weltanschauung und brennenden Ehrgeiz. Reich, jung, aristokratisch. Die Welt hätte zu ihren Füßen liegen können, aber so einfach war das nicht. Sie waren die jüngeren Geschwister, und sie würden wenig oder gar nichts erben, solange Valentin lebte. Und da sie pragmatische und entschlossene Kinder ihrer Zeit waren – nicht zu vergessen, Wolfs bis ins Mark –, intrigierten sie gegen ihren älteren Bruder und schmiedeten Pläne. Gelegentlich setzten sie ihre Pläne auch in die Tat um und arrangierten kleine Unfälle für Valentin. Sie hätten seinen Tod nur zu gerne in Auftrag gegeben, aber so dumm waren sie nun doch wieder nicht. Falls Valentin einen gewaltsamen oder nur irgendwie verdächtigen Tod sterben sollte, würde der Imperiale Hof sie als allererste durch einen Esper verhören lassen. Schuld wäre gleichbedeutend mit augenblicklicher Exekution, ohne Ansehen ihres Ranges und ihrer Position. Und wenn sie es versuchten und das Attentat danebenging, dann würde man sie am gesamten Hof verspotten. Sie wären bei den Familien schlichtweg unten durch. Also beschränkten sie sich auf das Arrangieren von Unfällen. Anscheinend zufällige Ereignisse, die Valentin hoffentlich weh taten und ihn vielleicht sogar verkrüppeln würden. Zumindest würden sie ihn inkompetent aussehen lassen.
Und wenn Valentin sich als unfähiger Trottel herausstellte, dann würde sein Vater ihn in der Erbfolge vielleicht zugunsten Stephanies oder Daniels übergehen. Wenn es jemals jemandem gelang, auch nur einen einzigen dieser Unfälle auf die beiden Geschwister zurückzuführen, dann würden sie schwer dafür bezahlen müssen. Nicht zuletzt durch ihren Vater. Aber ehrlich gesagt – das Risiko war schon der halbe Spaß. Es machte ja auch keinen Spaß zu spielen, wenn man sich das Verlieren leisten konnte. Daniel und Stephanie brauchten den Nervenkitzel beinahe genausosehr wie den Sturz ihres Bruders.
Selbst wenn sie mit dem Streß nicht besonders gut fertig wurden.
Mit einer bewußten Anstrengung beendete Stephanie ihre nervösen Runden und warf sich in einen der extrem komfortablen Sessel, die von den Wachen herbeigeschafft worden waren, bevor sie sich in einen diskreten Abstand zurückgezogen hatten. Stephanie und Daniel versicherten sich, daß die Wachen außer Hörweite waren, und ignorierten sie ansonsten völlig. Wachen befanden sich immer in der Nähe, ganz egal, wohin die Geschwister gingen. Das gehörte einfach dazu, wenn man Aristokrat war. Daniel wandte sich zu seiner Schwester um und lächelte schwach.
»Das wurde aber auch allmählich Zeit. Du hast mit deinem ständigen Auf- und Abgehen beinahe eine Rille in den Teppich gelaufen. Wir wollen doch nicht, daß unser lieber Papa auf die dumme Idee kommt, wir hätten einen Grund zur Nervosität, oder?«
Stephanie lächelte ihren Bruder zuckersüß an.
»Hör auf mit dem Sarkasmus, Brüderchen. Er paßt einfach nicht zu dir. Man braucht dazu unter anderem Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart, und beide Eigenschaften liegen weit jenseits deiner Fähigkeiten. Vater wird bald eintreffen und bringt hoffentlich die Nachricht von dem Mißgeschick mit, das deinem lieben Bruder zugestoßen ist. Wenn es soweit ist, dann versuch bitte, nicht zu aufgeregt zu reagieren. Man wird uns wahrscheinlich verdächtigen, aber es macht keinen Sinn, wenn wir unsere Feinde auch noch mit Munition versorgen.