Schwejksam zuckte die Schultern und lehnte sich in seinem Kommandostuhl zurück: ein großer, schlanker Mann in den Vierzigern, mit beginnendem Bauchansatz. Sein Haar zog sich allmählich immer mehr zurück, doch er versuchte, deswegen nicht zu empfindlich zu sein. Schwejksam saß mit stiller Würde in seinem Kommandantensitz, als würde er genau hierhin gehören und nirgendwo sonst. Seit er erwachsen geworden war, hatte er der Imperatorin nach besten Kräften gedient, und wenn er sich hin und wieder auf einer Mission befand, die ihm auf den Magen schlug – nun, so war das Imperium eben heutzutage, unter der Regierung Ihrer Imperialen Majestät Löwenstein XIV. Auch Eiserne Hexe genannt.
Schwejksam unterbrach sich mitten in seinen Gedanken. Man konnte nie wissen, ob nicht gerade ein Esper lauschte.
Schwejksam konzentrierte sich wieder auf das Piratenschiff im Orbit. Klein, sehr klein. Gebaut, um schnell zu sein. Kein Kampfschiff. Keine Gefahr für einen Sternenkreuzer. Aber der Pirat hätte nicht hier sein dürfen… nicht ausgerechnet jetzt. Schwejksam blickte seinen Komm-Offizier fragend an.
»Haben wir inzwischen eine Identifikation?« »Noch nicht, Sir. Ihre KI jammert uns die Ohren voll, aber sie verrät nicht viel. Sie versucht, uns irgendwelchen Unsinn über ein Ambulanzschiff auf einer humanitären Mission aufzuschwatzen, aber es ist der falsche Schiffstyp. Und die Identifikationskodes stimmen ebenfalls nicht. Wahrscheinlich wollen sie uns nur lange genug ablenken, bis sie genügend Energie für einen Hyperraumsprung gesammelt haben. Sollen wir sie stoppen, Sir? Oder lassen wir sie entkommen?«
»Wir stoppen sie«, entschied eine ruhige, kalte Stimme.
Schwejksam nickte Investigator Frost zu, die herankam und sich neben ihn stellte. Frost war Ende Zwanzig, großgewachsen und geschmeidig muskulös. An ihrer Hüfte baumelte eine Waffe, und auf ihrem Rücken hing ein Langschwert. Selbst wenn sie reglos dastand, wirkte sie noch kompetent und extrem gefährlich – wie ein Raubtier in einer Welt voller Beute.
Dunkle Augen glitzerten eiskalt in einem blassen, kontrollierten Gesicht, das von rötlichbraunem, millimeterkurz geschorenem Haar umrahmt wurde. Man konnte sie nicht schön nennen, doch sie besaß eine eigenartige Ausstrahlung, attraktiv und einschüchternd zugleich.
Investigatoren wurden von Kind an erzogen, loyal, effizient und tödlich zu sein. Ihre Aufgabe war es, neuentdeckte Alienrassen zu studieren und dann zu entscheiden, ob von ihnen eine Gefahr für das Imperium ausgehen könnte. Abhängig von den Ergebnissen, zu denen die Investigatoren kamen, wurde die Alienrasse entweder versklavt oder ausgelöscht. Eine dritte Möglichkeit gab es nicht. Investigatoren wurden außerdem als Sicherheitschefs, Leibwächter und Assassinen beschäftigt.
Sie waren eiskalte, berechnende Mordmaschinen, und sie waren entweder sehr gut in ihrem Job – oder tot.
Schwejksam und Frost hatten bei verschiedenen Missionen miteinander gearbeitet und kamen recht gut miteinander aus.
Das war so dicht an Freundschaft, wie man mit einem Investigator nur kommen konnte.
»Wir haben keine Eile«, sagte Schwejksam. »Ein derart winziges Schiff braucht Ewigkeiten, um genügend Energie bereitzustellen. Sie werden im Augenblick nirgendwohin verschwinden.«
»Das gefällt mir nicht«, entgegnete Frost ausdruckslos.
»Rein zufällig befindet sich ein Schiff im Orbit und wartet auf uns? Ich glaube nicht an Zufälle. Irgendwer hat unsere Zielperson gewarnt und ihr verraten, daß sie vogelfrei ist. Dieses Schiff im Orbit soll sie entweder beschützen oder in Sicherheit bringen. Aber das spielt keine Rolle. Unsere Befehle sind eindeutig. Das Ziel darf unter keinen Umständen entkommen.«
Schwejksam nickte. In der Öffentlichkeit wurde von dem Gesetzlosen nur als Ziel gesprochen. Es war nicht gut, wenn die niedrigeren Stände erführen, daß die Eiserne Hexe einen Lord für vogelfrei erklärt hatte. Ganz besonders einen mit einem so berühmten Namen. Der Name Todtsteltzer wurde in einigen Gegenden noch immer respektiert, und möglicherweise hätte es sogar Verbündete auf den Plan gerufen, ganz gleich, was die Imperatorin wünschte oder befahl. Genau aus diesem Grund hatte sie auch einen Imperialen Sternenkreuzer gesandt. Er sollte sicherstellen, daß die Ächtung des Todtsteltzers glattging. Er war gefangenzunehmen und zu exekutieren, bevor die Nachricht zu potentiellen Freunden gelangen konnte. Aber es schien, als wäre ihnen jemand zuvorgekommen.
»Das Schiff könnte nur dazu dienen, unsere Aufmerksamkeit abzulenken, während das Ziel entkommt«, sagte Frost.
»Wir können es uns nicht leisten, Zeit darauf zu verschwenden. Mit Eurer Erlaubnis werde ich eine Entermannschaft zusammenstellen und mir einige Antworten persönlich abholen.«
»Nicht so schnell, Investigator. Wir werden uns an die Vorschriften halten. Esper Fortuna?«
»Ja, Sir?« der Esper der Sturmwind, Thomas Fortuna, trat herbei und stellte sich auf die andere Seite, gegenüber Investigator Frost. Fortuna war klein und pummelig. Seine Uniform sah aus, als hätte er sie von jemand Größerem geerbt.
Sein kahlrasierter Kopf glänzte.
»Ich wünsche eine vollständige Überprüfung dieses kleinen Schiffs«, sagte Schwejksam. »Seht zu, was Ihr in Erfahrung bringen könnt.«
»Jawohl, Sir.« Fortunas Bewußtsein wuchs über seinen Körper hinaus und nach draußen. Sein Gesicht entspannte sich Jede Spur von Leben und Persönlichkeit verschwand. Dann, nach einer Weile, verzog sich das Gesicht zu einer Grimasse, und Fortunas Geist war zurück. Angewidert schüttelte er den Kopf. »Dieses Schiff ist voller Tod und Erinnerung an den Schmerz. Es gibt so viele Spuren, daß ich nicht einmal die Ursprünge identifizieren kann, außer, daß sie alle menschlicher Natur sind. Und alle tot. Auf diesem Schiff befinden sich Körperbänke, Sir. Sie quellen über vor Leid. Das sind Klonpascher da drüben, Sir.«
»Sie haben nichts mit unserem Ziel zu tun?« fragte Schwejksam. »Seid Ihr sicher?«
»So sicher, wie ich nur sein kann, Sir.«
»Damit wäre die Sache geklärt«, sagte Frost leichthin. »Wir können keine Zeit mit einer Handvoll Grabräuber verschwenden. Laßt das Schiff in Stücke schießen, Kapitän. Das Universum wird weniger stinken, wenn sie nicht mehr sind.«
»Ich könnte es nicht besser formulieren«, stimmte Schwejksam zu. »Fangt an, Investigator. Viel Vergnügen dabei.«
Das Piratenschiff Scherbe schüttelte sich, als die Sturmwind das Feuer eröffnete. Hannah brachte die Schutzschilde gerade noch rechtzeitig hoch, um die rasenden Energieströme aus den gegnerischen Disruptorbatterien abzulenken, aber das war auch schon alles, was die KI unter dem konstanten gegnerischen Beschuß zur Rettung der Scherbe tun konnte. Hazel d’Ark feuerte zurück, aber ihre beiden Kanonen ließen die überlegenen Schilde der Sturmwind unbeeindruckt. Als die KI mehr und mehr Energie abzog und in die Schilde umleitete, gingen überall an Bord die Lichter aus. Die Energie, die sie für den Hyperraumsprung gesammelt hatten, war innerhalb von Sekunden aufgebraucht. Die Körperbänke schalteten sich eine nach der anderen ab, und ihr empfindlicher Inhalt begann sich zu erwärmen und verrottete. Die Scherbe zappelte wie ein Fisch am Haken mal in die eine, dann in die andere Richtung, während Hannah ein Ausweichmanöver nach dem anderen durchführte, doch die Sturmwind ließ sich nicht abschütteln. Ihre Kanonen feuerten unablässig und ließen den Schilden der Scherbe keine Gelegenheit zur Erholung.