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»Versuch’s einfach« erwiderte Owen resignierend. »Es fällt mir sowieso schwer, an dieser ganzen verdammten Geschichte etwas zu finden, das mir zusagt.«

»Der Name lautet Jakob Ohnesorg.«

»Was? Jakob ist hier? Auf Nebelwelt? « Owens Gedanken rasten. »Wie zur Hölle ist er in die Intrigen meines Vaters hineingeraten? Ich hätte nicht im Traum gedacht, daß die beiden in der gleichen Klasse spielen.«

»Das ist eine gute Frage, Owen. Ich habe bisher keine befriedigende Antwort darauf.«

»Du bist verdächtig höflich geworden, seit Hazel an Bord ist«, stellte Owen anklagend fest.

»Beschwerst du dich etwa?«

Owen überlegte. Sein Kopf begann allmählich zu schmerzen. Jakob Ohnesorg. Der berufsmäßige Rebell. Der legendäre Krieger. Er kämpfte gegen das System. Gegen jedes System. Er hatte mehr als zwanzig Jahre gegen das Imperium gekämpft und auf unzähligen Planeten eine Rebellion nach der anderen angezettelt. Jakob war ein begnadeter Redner, besaß einen glühenden Gerechtigkeitssinn und hatte keinerlei Schwierigkeiten gehabt, heißblütige Dummköpfe zu finden, die ihm bedingungslos folgten. So war das viele Jahre gegangen. Aber das Imperium war trotz aller Anstrengungen so stark wie eh und je, und die Menschen erinnerten sich eher an die unzähligen verlorenen Schlachten als an die wenigen Triumphe. Und sie hörten auf, Jakob Ohnesorg zuzuhören. Der Preis auf seinen Kopf wurde immer verlockender, und schließlich hatten sich Kopfgeldjäger auf seine Fersen geheftet. Er war gezwungen gewesen unterzutauchen, und seit Jahren hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen.

»Das sieht meinem Vater ähnlich, sich mit einem der

größten Verlierer aller Zeiten einzulassen«, sagte Owen. »Sogar ich habe genügend Verstand, um mich nicht mit Jakob Ohnesorg abzugeben. Sicher, ein berühmter Kämpfer und Held, aber ein hundserbärmlicher General. Hazel, ich lege mein Schicksal in Eure Hände.«

»Davon träumst du wohl, Aristo«, schnappte Hazel. »Aber tu mir einen Gefallen, Owen, ja? Paß auf, wo du hintrittst.

Und überlaß das Reden mir. Wenn die Leute, mit denen wir uns treffen, auch nur den kleinsten Verdacht schöpfen, wer du wirklich bist, sind wir beide tot.«

»Beruhigt Euch«, entgegnete Owen. »Ich bin nicht ganz unerfahren. Ich weiß sehr wohl, wie ich mich in der Öffentlichkeit zu komportieren habe.«

»Siehst du, genau das meine ich! Du kannst nicht draußen herumlaufen und Worte wie komportieren benutzen; damit verrätst du dich sofort! Hör zu, du sagst einfach kein Wort, und ich stelle dich überall als meinen taubstummen Vetter vor.«

Owen blickte sie an. »Tu mir nur keinen Gefallen!«

»Vertrau mir«, entgegnete Hazel. »Auf die Idee würde ich nie kommen.«

Owen hielt den Mund geschlossen und die Augen offen, als Hazel ihn durch die engen Straßen von Nebelhafen führte. Die Stadt war in erbärmlichem Zustand. Überall waren Aufräum- und Renovierungsarbeiten im Gange, und die Menschen, denen sie begegneten, schienen alle verbittert und hatten die Lippen fest aufeinandergepreßt. So, wie der Ort aussah, machte Owen ihnen keinen Vorwurf. Die Fachwerkhäuser ragten über die Straße hinaus wie betrunkene alte Männer, die sich voreinander verbeugten. Die Straßen waren voller Dreck und Abfall. Der Gestank war atemberaubend. Dichter Nebel waberte in der Luft und ließ alle Farben zu unterschiedlich hellen Grautönen verblassen. In unregelmäßigen Abständen brannten Straßenlaternen, obwohl es bereits auf Mittag zuging. Menschen drängten sich durch die Straßen, dicht eingehüllt in schwere Felle und Umhänge. Sie benutzten ihre Ellbogen mit jener Form von Geschick, die nur durch Übung zu erreichen ist.

Owen und Hazel hatten die Kapuzen ihrer Umhänge tief in die Stirn gezogen, so daß ihre Gesichter im Schatten verborgen blieben. Niemand starrte sie an oder zeigte auch nur eine Spur Neugier; offensichtlich war Anonymität auf Nebelwelt etwas Alltägliches. Owen trottete durch Schlamm und Dreck und schlug seine behandschuhten Hände gegeneinander, um die Kälte zu vertreiben. Er hatte die wärmste Kleidung aus der Garderobe der Sonnenschreiter gekramt. Viel Auswahl hatte es nicht gegeben. Owen starrte finster auf Hazels Rücken vor sich. Sie stapfte durch die Straße, als wäre es das normalste auf der Welt. Owen brummte vor sich hin und mühte sich, nicht den Anschluß zu verlieren. Er setzte mit grimmiger Befriedigung seine Ellbogen ein, um die Leute zur Seite zu schieben, die ihm im Weg standen. Niemand sagte ein Wort.

Auch das schien nichts Außergewöhnliches zu sein.

Hazel schleppte ihn auf der Suche nach alten Bekannten von einer Spelunke zur nächsten, aber niemand wollte mit ihnen reden. Nach den Schwierigkeiten, die die Einwohner erst kürzlich hinter sich gebracht hatten, waren alle viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Hazel mühte sich weiter ab. Owen verließ langsam der Mut. Er konnte nicht einmal mit Oz reden, um sich die Langeweile zu vertreiben; sie hatten vereinbart, die Kommunikation aus Sicherheitsgründen auf ein Minimum zu beschränken. Man konnte nie sicher sein, wer einen auf Nebelwelt gerade belauschte.

Owen verzog mürrisch das Gesicht und zog dem Umhang fester um seine Schultern. Alles dauerte viel zu lange.

Schließlich brachte Hazel einen Namen in Erfahrung: Ruby Reise.

»Nie gehört«, sagte Owen.

»Warum solltest du auch, Aristo. Du bewegst dich nicht in unseren Kreisen. Ruby ist Kopfgeldjägerin, und zwar eine verdammt gute. Wir sind alte Freundinnen und kennen uns schon eine Ewigkeit. Sie wird uns mit den richtigen Leuten in Kontakt bringen – vorausgesetzt, wir machen ihr ein gutes Angebot.«

»Keine weiteren zehn Prozent!« sagte Owen mit Bestimmtheit.

Hazel zuckte die Schultern. »Wie du meinst. Aber wenn du das Beste haben willst, dann muß du entsprechend dafür zahlen. Mach dir keine unnötigen Gedanken, Todtsteltzer. Sie wird dir sicher einen Rabatt geben, weil du zu mir gehörst.

Wir müssen sie nur erst finden.«

»Oh? Großartig!« sagte Owen. »Noch mehr hin und her rennen.«

»Worüber beschwerst du dich denn jetzt schon wieder?«

»Wollt Ihr das wirklich hören? Also gut: Ich habe die Qual der Wahl. Abgesehen von der Verrücktheit, daß Ihr unsere Sicherheit einer Kopfgeldjägerin anvertraut – es ist bitter kalt, ich habe keine Ahnung, wo wir sind, ich kann meine Hände schon nicht mehr spüren, und meine Füße sind wie abgestorben. Wir laufen seit einer halben Ewigkeit durch diese erbarmungswürdige Stadt, ohne auch nur einen Schritt weitergekommen zu sein, und mein Magen denkt wahrscheinlich bereits, daß man mir den Mund zugenäht hat. Außerdem stinkt es ganz entsetzlich. In den Kanälen muß eine gewaltige Verstopfung herrschen.«

»Kanäle! Wovon redest du da?« fragte Hazel. »Zeig deine Unwissenheit nicht so deutlich. Abwasserkanäle gelten hier als Luxus, den sich keiner leisten kann. Sei froh, daß der Nachtschmutz bereits eingesammelt worden ist. Das nächste Lokal, zu dem wir gehen, wird dich wahrscheinlich ein wenig aufmuntern. Der Schwarzdorn. Eine weitere alte Freundin von mir ist die Besitzerin. Sie wird wissen, wo wir Ruby finden. Cyder weiß alles. Los, laß uns gehen.«

Hazel marschierte los, gut gelaunt und voller Zuversicht.

Owen trottete wieder hinterher und fluchte lautlos. Er blieb einen Augenblick stehen, um seinen Umhang zurechtzurücken, und ein Fremder drückte ihm eine Münze in die Hand.

Verblüfft starrte Owen auf das Geldstück, bis er mit einem Mal erkannte, daß man ihn für einen Bettler gehalten hatte. Er spürte das Bedürfnis, dem Spender die Münze hinterherzuwerfen, aber er tat es nicht. Geld war schließlich Geld.